Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Neue Theaterstücke.

heute noch nicht abzuschütteln vermocht habe"; daß der Herzog zwar an seine
"Untreue nicht habe glauben wollen," daß er aber "in dem haßerfüllten Blicke
des Erbprinzen seine Verurteilung gelesen" und deshalb "in stummer Ent¬
sagung" sich selbst " zu thatenloser Ruhe verurteilt habe." Lothar heizt uun
dem Narren noch etwas mehr ein und bittet schließlich um die Erlaubnis, dem
Verleumder "mit einem Knebel von Banknoten den Mund zu stopfen." Das
aber kann der Graf unter keinen Umständen annehmen; er beteuert daher aufs
neue, daß seine "Ehre, dem Himmel sei Dank! nicht auf der Zungenspitze eines
Abenteurers stehe"; Lothar muß unverrichteter Sache das Feld räumen, und
Hertha schmiegt sich an dem alten Papa und giebt ihm die Versicherung, daß
sie jetzt "mit verzehufachtcr Zärtlichkeit sich an den "Dulder" schmiegen" wolle,
sodaß der Graf "in seiner fröhlichen Unschuld" das gute Kind bewundernd ans
aristokratische Herz drückt, womit der erste Akt beendigt ist.

Im zweiten Akte erfahren wir, daß der unheimliche "Abenteurer" wirklich
sein grausames Verlenmdungswerk (wenn wir wenigstens wüßten, weshalb?) aus¬
geführt hat. Wie wirkt nun dieser Zeitungsartikel auf die "Gesellschaft" unsers
Stückes? Leider entsetzlich, denn ein Zeitungsartikel, ein Zeitungsartikel! und
zumal, wenn man bedenkt, mit welcher Ehrfurcht die aristokratischen Kreise zu
der Presse hinaufsehen! Wenn zur Zeit des Verrates alle Herrschaften sich
von dem Staatsmanne zurückgezogen, wenn die Spatzen von den Dächern ge¬
pfiffen hätten: Seht den Verräter! so könnten die Freunde des Mannes vielleicht
großherzig genug sein, um ihn trotz alledem noch unter sich zu dulden -- aber jetzt,
zwanzig Jahre nach dem seltsamen, längst vergessenen Vorgange, und obenein,
da ein ehrloser Verleumder eine kopflose Zeitschrift gefunden hat, die seiue Ver¬
leumdung, ohne sich über ihre Voraussetzungen zu unterrichten, abgedruckt hat --
nein, der Fall ist zu schwer; mich die besten Aristokraten sind nur Menschen,
und Unmögliches kann kein Mensch leisten. Daher wird denn der Schwieger¬
sohn des Grafen augenblicklich "nach dem schönen Holland" geschickt. Herr
Doktor Blumenthal aus dem aristokratischen Viertel ändert den abgeschmackte!?
Gebrauch, daß dienstliche Angelegenheiten dieser Art in vorgeschriebenen Formen
erledigt werden, dahin ab, daß er dem Geheimrat Fabricius Gelegenheit giebt,
dem ihm untergebenen Beamten die "Kaltstellung" in einem fremden Hause, wo
er mit diesem Beamten in Gesellschaft zusammentrifft, mündlich zu verabfolgen!
Es ist doch etwas Eignes um den Genius! Wo andre blind um sich tappen
nud nach festem Boden suchen, da schwingt er die Flügel nud -- siehe da!
und selbst die besten Freunde der Familie ziehen sich ohne weiteres und in ver¬
letzendster Weise von den "Geächteten" zurück. Da wir längst wissen, daß wir es
mit Idioten zu thun haben, so schmunzeln wir nur über die Scherze und freuen
uns schon ans das Kommende; denn was kann jetzt nicht noch alles kommen!

Im dritten Alte haben selbstverständlich die Qualen der Familie ihren
Höhepunkt erreicht. Der alte Graf, der so stolz auf das Bewußtsein seiner


Neue Theaterstücke.

heute noch nicht abzuschütteln vermocht habe"; daß der Herzog zwar an seine
„Untreue nicht habe glauben wollen," daß er aber „in dem haßerfüllten Blicke
des Erbprinzen seine Verurteilung gelesen" und deshalb „in stummer Ent¬
sagung" sich selbst „ zu thatenloser Ruhe verurteilt habe." Lothar heizt uun
dem Narren noch etwas mehr ein und bittet schließlich um die Erlaubnis, dem
Verleumder „mit einem Knebel von Banknoten den Mund zu stopfen." Das
aber kann der Graf unter keinen Umständen annehmen; er beteuert daher aufs
neue, daß seine „Ehre, dem Himmel sei Dank! nicht auf der Zungenspitze eines
Abenteurers stehe"; Lothar muß unverrichteter Sache das Feld räumen, und
Hertha schmiegt sich an dem alten Papa und giebt ihm die Versicherung, daß
sie jetzt „mit verzehufachtcr Zärtlichkeit sich an den »Dulder« schmiegen" wolle,
sodaß der Graf „in seiner fröhlichen Unschuld" das gute Kind bewundernd ans
aristokratische Herz drückt, womit der erste Akt beendigt ist.

Im zweiten Akte erfahren wir, daß der unheimliche „Abenteurer" wirklich
sein grausames Verlenmdungswerk (wenn wir wenigstens wüßten, weshalb?) aus¬
geführt hat. Wie wirkt nun dieser Zeitungsartikel auf die „Gesellschaft" unsers
Stückes? Leider entsetzlich, denn ein Zeitungsartikel, ein Zeitungsartikel! und
zumal, wenn man bedenkt, mit welcher Ehrfurcht die aristokratischen Kreise zu
der Presse hinaufsehen! Wenn zur Zeit des Verrates alle Herrschaften sich
von dem Staatsmanne zurückgezogen, wenn die Spatzen von den Dächern ge¬
pfiffen hätten: Seht den Verräter! so könnten die Freunde des Mannes vielleicht
großherzig genug sein, um ihn trotz alledem noch unter sich zu dulden — aber jetzt,
zwanzig Jahre nach dem seltsamen, längst vergessenen Vorgange, und obenein,
da ein ehrloser Verleumder eine kopflose Zeitschrift gefunden hat, die seiue Ver¬
leumdung, ohne sich über ihre Voraussetzungen zu unterrichten, abgedruckt hat —
nein, der Fall ist zu schwer; mich die besten Aristokraten sind nur Menschen,
und Unmögliches kann kein Mensch leisten. Daher wird denn der Schwieger¬
sohn des Grafen augenblicklich „nach dem schönen Holland" geschickt. Herr
Doktor Blumenthal aus dem aristokratischen Viertel ändert den abgeschmackte!?
Gebrauch, daß dienstliche Angelegenheiten dieser Art in vorgeschriebenen Formen
erledigt werden, dahin ab, daß er dem Geheimrat Fabricius Gelegenheit giebt,
dem ihm untergebenen Beamten die „Kaltstellung" in einem fremden Hause, wo
er mit diesem Beamten in Gesellschaft zusammentrifft, mündlich zu verabfolgen!
Es ist doch etwas Eignes um den Genius! Wo andre blind um sich tappen
nud nach festem Boden suchen, da schwingt er die Flügel nud — siehe da!
und selbst die besten Freunde der Familie ziehen sich ohne weiteres und in ver¬
letzendster Weise von den „Geächteten" zurück. Da wir längst wissen, daß wir es
mit Idioten zu thun haben, so schmunzeln wir nur über die Scherze und freuen
uns schon ans das Kommende; denn was kann jetzt nicht noch alles kommen!

Im dritten Alte haben selbstverständlich die Qualen der Familie ihren
Höhepunkt erreicht. Der alte Graf, der so stolz auf das Bewußtsein seiner


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0486" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199840"/>
          <fw type="header" place="top"> Neue Theaterstücke.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2052" prev="#ID_2051"> heute noch nicht abzuschütteln vermocht habe"; daß der Herzog zwar an seine<lb/>
&#x201E;Untreue nicht habe glauben wollen," daß er aber &#x201E;in dem haßerfüllten Blicke<lb/>
des Erbprinzen seine Verurteilung gelesen" und deshalb &#x201E;in stummer Ent¬<lb/>
sagung" sich selbst &#x201E; zu thatenloser Ruhe verurteilt habe." Lothar heizt uun<lb/>
dem Narren noch etwas mehr ein und bittet schließlich um die Erlaubnis, dem<lb/>
Verleumder &#x201E;mit einem Knebel von Banknoten den Mund zu stopfen." Das<lb/>
aber kann der Graf unter keinen Umständen annehmen; er beteuert daher aufs<lb/>
neue, daß seine &#x201E;Ehre, dem Himmel sei Dank! nicht auf der Zungenspitze eines<lb/>
Abenteurers stehe"; Lothar muß unverrichteter Sache das Feld räumen, und<lb/>
Hertha schmiegt sich an dem alten Papa und giebt ihm die Versicherung, daß<lb/>
sie jetzt &#x201E;mit verzehufachtcr Zärtlichkeit sich an den »Dulder« schmiegen" wolle,<lb/>
sodaß der Graf &#x201E;in seiner fröhlichen Unschuld" das gute Kind bewundernd ans<lb/>
aristokratische Herz drückt, womit der erste Akt beendigt ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2053"> Im zweiten Akte erfahren wir, daß der unheimliche &#x201E;Abenteurer" wirklich<lb/>
sein grausames Verlenmdungswerk (wenn wir wenigstens wüßten, weshalb?) aus¬<lb/>
geführt hat. Wie wirkt nun dieser Zeitungsartikel auf die &#x201E;Gesellschaft" unsers<lb/>
Stückes? Leider entsetzlich, denn ein Zeitungsartikel, ein Zeitungsartikel! und<lb/>
zumal, wenn man bedenkt, mit welcher Ehrfurcht die aristokratischen Kreise zu<lb/>
der Presse hinaufsehen! Wenn zur Zeit des Verrates alle Herrschaften sich<lb/>
von dem Staatsmanne zurückgezogen, wenn die Spatzen von den Dächern ge¬<lb/>
pfiffen hätten: Seht den Verräter! so könnten die Freunde des Mannes vielleicht<lb/>
großherzig genug sein, um ihn trotz alledem noch unter sich zu dulden &#x2014; aber jetzt,<lb/>
zwanzig Jahre nach dem seltsamen, längst vergessenen Vorgange, und obenein,<lb/>
da ein ehrloser Verleumder eine kopflose Zeitschrift gefunden hat, die seiue Ver¬<lb/>
leumdung, ohne sich über ihre Voraussetzungen zu unterrichten, abgedruckt hat &#x2014;<lb/>
nein, der Fall ist zu schwer; mich die besten Aristokraten sind nur Menschen,<lb/>
und Unmögliches kann kein Mensch leisten. Daher wird denn der Schwieger¬<lb/>
sohn des Grafen augenblicklich &#x201E;nach dem schönen Holland" geschickt. Herr<lb/>
Doktor Blumenthal aus dem aristokratischen Viertel ändert den abgeschmackte!?<lb/>
Gebrauch, daß dienstliche Angelegenheiten dieser Art in vorgeschriebenen Formen<lb/>
erledigt werden, dahin ab, daß er dem Geheimrat Fabricius Gelegenheit giebt,<lb/>
dem ihm untergebenen Beamten die &#x201E;Kaltstellung" in einem fremden Hause, wo<lb/>
er mit diesem Beamten in Gesellschaft zusammentrifft, mündlich zu verabfolgen!<lb/>
Es ist doch etwas Eignes um den Genius! Wo andre blind um sich tappen<lb/>
nud nach festem Boden suchen, da schwingt er die Flügel nud &#x2014; siehe da!<lb/>
und selbst die besten Freunde der Familie ziehen sich ohne weiteres und in ver¬<lb/>
letzendster Weise von den &#x201E;Geächteten" zurück. Da wir längst wissen, daß wir es<lb/>
mit Idioten zu thun haben, so schmunzeln wir nur über die Scherze und freuen<lb/>
uns schon ans das Kommende; denn was kann jetzt nicht noch alles kommen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2054" next="#ID_2055"> Im dritten Alte haben selbstverständlich die Qualen der Familie ihren<lb/>
Höhepunkt erreicht.  Der alte Graf, der so stolz auf das Bewußtsein seiner</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0486] Neue Theaterstücke. heute noch nicht abzuschütteln vermocht habe"; daß der Herzog zwar an seine „Untreue nicht habe glauben wollen," daß er aber „in dem haßerfüllten Blicke des Erbprinzen seine Verurteilung gelesen" und deshalb „in stummer Ent¬ sagung" sich selbst „ zu thatenloser Ruhe verurteilt habe." Lothar heizt uun dem Narren noch etwas mehr ein und bittet schließlich um die Erlaubnis, dem Verleumder „mit einem Knebel von Banknoten den Mund zu stopfen." Das aber kann der Graf unter keinen Umständen annehmen; er beteuert daher aufs neue, daß seine „Ehre, dem Himmel sei Dank! nicht auf der Zungenspitze eines Abenteurers stehe"; Lothar muß unverrichteter Sache das Feld räumen, und Hertha schmiegt sich an dem alten Papa und giebt ihm die Versicherung, daß sie jetzt „mit verzehufachtcr Zärtlichkeit sich an den »Dulder« schmiegen" wolle, sodaß der Graf „in seiner fröhlichen Unschuld" das gute Kind bewundernd ans aristokratische Herz drückt, womit der erste Akt beendigt ist. Im zweiten Akte erfahren wir, daß der unheimliche „Abenteurer" wirklich sein grausames Verlenmdungswerk (wenn wir wenigstens wüßten, weshalb?) aus¬ geführt hat. Wie wirkt nun dieser Zeitungsartikel auf die „Gesellschaft" unsers Stückes? Leider entsetzlich, denn ein Zeitungsartikel, ein Zeitungsartikel! und zumal, wenn man bedenkt, mit welcher Ehrfurcht die aristokratischen Kreise zu der Presse hinaufsehen! Wenn zur Zeit des Verrates alle Herrschaften sich von dem Staatsmanne zurückgezogen, wenn die Spatzen von den Dächern ge¬ pfiffen hätten: Seht den Verräter! so könnten die Freunde des Mannes vielleicht großherzig genug sein, um ihn trotz alledem noch unter sich zu dulden — aber jetzt, zwanzig Jahre nach dem seltsamen, längst vergessenen Vorgange, und obenein, da ein ehrloser Verleumder eine kopflose Zeitschrift gefunden hat, die seiue Ver¬ leumdung, ohne sich über ihre Voraussetzungen zu unterrichten, abgedruckt hat — nein, der Fall ist zu schwer; mich die besten Aristokraten sind nur Menschen, und Unmögliches kann kein Mensch leisten. Daher wird denn der Schwieger¬ sohn des Grafen augenblicklich „nach dem schönen Holland" geschickt. Herr Doktor Blumenthal aus dem aristokratischen Viertel ändert den abgeschmackte!? Gebrauch, daß dienstliche Angelegenheiten dieser Art in vorgeschriebenen Formen erledigt werden, dahin ab, daß er dem Geheimrat Fabricius Gelegenheit giebt, dem ihm untergebenen Beamten die „Kaltstellung" in einem fremden Hause, wo er mit diesem Beamten in Gesellschaft zusammentrifft, mündlich zu verabfolgen! Es ist doch etwas Eignes um den Genius! Wo andre blind um sich tappen nud nach festem Boden suchen, da schwingt er die Flügel nud — siehe da! und selbst die besten Freunde der Familie ziehen sich ohne weiteres und in ver¬ letzendster Weise von den „Geächteten" zurück. Da wir längst wissen, daß wir es mit Idioten zu thun haben, so schmunzeln wir nur über die Scherze und freuen uns schon ans das Kommende; denn was kann jetzt nicht noch alles kommen! Im dritten Alte haben selbstverständlich die Qualen der Familie ihren Höhepunkt erreicht. Der alte Graf, der so stolz auf das Bewußtsein seiner

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/486
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/486>, abgerufen am 20.10.2024.