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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Neue Theaterstücke.

protzenhaft überladnen Zimmerausstattungen liefert wie das herrliche "Deutsche
Theater" und auch nicht so in die Gunst des Publikums hineingeschrieben worden
ist wie das ideale Unternehmen in der Schumannstraße) hat es den Anschein,
als ob der Herr Verfasser, nachdem er einen Gipfelpunkt seiner "Kunst" er¬
klommen hatte, sich ein wenig nach abwärts neige, gleich als wolle er den nötigen
Ticfengrad erreichen, um dann umso unwiderstehlicher zur schwindelnden Höhe
wieder emporzuschnellen und wohl gar endlich das "Meisterwerk" zu liefern,
das uus Herr Ludwig Speidel von dem hoffnungsvollen Dramatiker zu ver¬
kündigen für gut gefunden hat. Ich will, wie gesagt, den Genius des "Berliner
Tageblattes" nicht auf seinem zeitweiligen Niedergange begleiten; denn jedes
Genie hat ein Recht, zu verlangen, daß man es nach dem Besten, was es geleistet
hat, beurteile. Das anerkannt beste Werk unsers Thcaterfürsten aber ist das
entzückende Schauspiel "Ein Tropfen Gift" -- und da sich's eben nur um einen
"Tropfen" handelt (der freilich unter Umständen ein ganzes großes Reich ver¬
giften kann), so darf ich hoffen, mit meinem Taschcninikroskop auszureichen.

Da Herr Blumenthal zur aristokratischen Gesellschaft sehr nahe Beziehungen
unterhält, so darf man sich nicht wundern, daß er in seinen Schöpfungen mit
besondrer Vorliebe Freiherren, Grafen und Prinzen zu Worte kommen läßt,
überhaupt das Treiben der vornehmen Welt zu schildern unausgesetzt bemüht
ist; denn ein Dichter, zumal ein Dramatiker, macht seine Studien nicht umsonst;
was er kennt, das muß auch zu Markte gebracht werden -- kein Wunder daher,
daß die Blumenthalschen Werke ein so aristokratisches Gepräge zeigen.

In unserm "Tropfen Gift" ist es nun ein Lothar Freiherr von Mettenborn,
der es auf die keusche und in glücklichster Ehe lebende Hertha von Wcidegg, die
Tochter des Grasen Vahlberg, abgesehen hat. Er sagt von sich selbst, daß er
"die Liebe in allen Formen gekostet" und den "Saft, der so eilig trunken macht,
bis zur Übersättigung eingeschlürft" habe, daß aber "Liebe, die aus Haß und
Feindschaft herausschäumt, eine letzte Lebenswürze sei," auf die er vom Himmel
noch hoffe. Um zu dieser "Lebenswürze" zu gelangen, bedarf er nun freilich
des guten Willens der Frau Hertha; diese aber haßt ihn (was wir wenigstens
glauben müssen, da der edle Freiherr selbst es behauptet, obschon wir nicht
wissen und nicht erfahren, warum sie ihn haßt) und liebt ihren Mann, wie
gesagt, schwärmerisch, sodaß wir an dem Verstände dieses Wüstlings immerhin
zweifeln müssen. Aber es kann ja sein, daß der Don Juan, der so siegesgewiß
davon spricht, daß er "den blonden Biedermann" von Gemahl verdrängen werde,
irgend etwas in der Hand hat, was die Sinne seines Opfers verwirren und ihm
auf diese Weise Gewalt über die sinnlos gewordene Fran geben könnte; und wir
erfahren denn auch, daß er in der That über "einen Tropfen Gift" verfügt,
der ihn zu seinem Ziele führen soll. Wir sind hier bei dem angelangt, was
den Inhalt unsers Schauspiels bildet; sehen wir es uns in aller Besonnen¬
heit an.


Neue Theaterstücke.

protzenhaft überladnen Zimmerausstattungen liefert wie das herrliche „Deutsche
Theater" und auch nicht so in die Gunst des Publikums hineingeschrieben worden
ist wie das ideale Unternehmen in der Schumannstraße) hat es den Anschein,
als ob der Herr Verfasser, nachdem er einen Gipfelpunkt seiner „Kunst" er¬
klommen hatte, sich ein wenig nach abwärts neige, gleich als wolle er den nötigen
Ticfengrad erreichen, um dann umso unwiderstehlicher zur schwindelnden Höhe
wieder emporzuschnellen und wohl gar endlich das „Meisterwerk" zu liefern,
das uus Herr Ludwig Speidel von dem hoffnungsvollen Dramatiker zu ver¬
kündigen für gut gefunden hat. Ich will, wie gesagt, den Genius des „Berliner
Tageblattes" nicht auf seinem zeitweiligen Niedergange begleiten; denn jedes
Genie hat ein Recht, zu verlangen, daß man es nach dem Besten, was es geleistet
hat, beurteile. Das anerkannt beste Werk unsers Thcaterfürsten aber ist das
entzückende Schauspiel „Ein Tropfen Gift" — und da sich's eben nur um einen
„Tropfen" handelt (der freilich unter Umständen ein ganzes großes Reich ver¬
giften kann), so darf ich hoffen, mit meinem Taschcninikroskop auszureichen.

Da Herr Blumenthal zur aristokratischen Gesellschaft sehr nahe Beziehungen
unterhält, so darf man sich nicht wundern, daß er in seinen Schöpfungen mit
besondrer Vorliebe Freiherren, Grafen und Prinzen zu Worte kommen läßt,
überhaupt das Treiben der vornehmen Welt zu schildern unausgesetzt bemüht
ist; denn ein Dichter, zumal ein Dramatiker, macht seine Studien nicht umsonst;
was er kennt, das muß auch zu Markte gebracht werden — kein Wunder daher,
daß die Blumenthalschen Werke ein so aristokratisches Gepräge zeigen.

In unserm „Tropfen Gift" ist es nun ein Lothar Freiherr von Mettenborn,
der es auf die keusche und in glücklichster Ehe lebende Hertha von Wcidegg, die
Tochter des Grasen Vahlberg, abgesehen hat. Er sagt von sich selbst, daß er
„die Liebe in allen Formen gekostet" und den „Saft, der so eilig trunken macht,
bis zur Übersättigung eingeschlürft" habe, daß aber „Liebe, die aus Haß und
Feindschaft herausschäumt, eine letzte Lebenswürze sei," auf die er vom Himmel
noch hoffe. Um zu dieser „Lebenswürze" zu gelangen, bedarf er nun freilich
des guten Willens der Frau Hertha; diese aber haßt ihn (was wir wenigstens
glauben müssen, da der edle Freiherr selbst es behauptet, obschon wir nicht
wissen und nicht erfahren, warum sie ihn haßt) und liebt ihren Mann, wie
gesagt, schwärmerisch, sodaß wir an dem Verstände dieses Wüstlings immerhin
zweifeln müssen. Aber es kann ja sein, daß der Don Juan, der so siegesgewiß
davon spricht, daß er „den blonden Biedermann" von Gemahl verdrängen werde,
irgend etwas in der Hand hat, was die Sinne seines Opfers verwirren und ihm
auf diese Weise Gewalt über die sinnlos gewordene Fran geben könnte; und wir
erfahren denn auch, daß er in der That über „einen Tropfen Gift" verfügt,
der ihn zu seinem Ziele führen soll. Wir sind hier bei dem angelangt, was
den Inhalt unsers Schauspiels bildet; sehen wir es uns in aller Besonnen¬
heit an.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/483>, abgerufen am 15.01.2025.