Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.Deutsche Literatur in Frankreich. ratur. "Wir haben -- schreibt er -- bis jetzt die Deutschen nur als ein in dem
So konnte in demselben Jahre bereits Grimm an Haller schreiben: "Sie haben, Damit war das Eis gebrochen. Wir können hier nicht im Einzelnen darauf Deutsche Literatur in Frankreich. ratur. „Wir haben — schreibt er — bis jetzt die Deutschen nur als ein in dem
So konnte in demselben Jahre bereits Grimm an Haller schreiben: „Sie haben, Damit war das Eis gebrochen. Wir können hier nicht im Einzelnen darauf <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0478" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199832"/> <fw type="header" place="top"> Deutsche Literatur in Frankreich.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2025" prev="#ID_2024" next="#ID_2026"> ratur. „Wir haben — schreibt er — bis jetzt die Deutschen nur als ein in dem<lb/> Ncchtsstudium trübselig vertieftes und in den dunkeln Höhlen der Gelehrsamkeit<lb/> verborgenes Volk angesehen. Wir ahnten nicht, daß sie die Dichtkunst und die<lb/> schöne Literatur pflegten. Vielleicht hielten wir sie überhaupt nicht dafür geeignet,<lb/> sich in Gebieten auszuzeichnen, welche Schwung, Geschmack und feines Gefühl ver¬<lb/> langen. Gleichwohl steht es fest, daß diese Nation von jeher einige besonders<lb/> bevorzugte Geister hervorgebracht hat, welche aus ihrer Sprache erhabene und<lb/> harmonische Töne hervorlockteu. . . . Vor zweihundert Jahren that sich der be¬<lb/> kannte Luther . . . auch durch diejenige Reform hervor, welche er auf dem Par-<lb/> nassc vollzogen hat. Man findet in seineu Dichtungen viel Feuer, Kraft und<lb/> Hoheit. ... Die deutsche Poesie wäre gleich damals zu ihrer Vollendung ge¬<lb/> langt, wenn man es sich hätte angelegen sein lassen, in die Fußtapfen dieses<lb/> Schriftstellers zu treten." Ganz entzückt äußert sich Freron über die Hallerschen<lb/> Gedichte, die eben in einer französischen Übersetzung — allerdings von einem<lb/> Deutschen (Schweizer) — erschienen waren; er findet sie alle philosophisch und<lb/> moralisch und nennt Haller is ?oxs as l'^llomaZuci. Im Jahre 1752 brachte<lb/> der Nerouro Äo I<'rta<zu eine sehr anerkennende Besprechung von Hallers<lb/> „Alpen," und die Schriftstellerin Madame du Boecagc richtete einen enthu¬<lb/> siastischen Hymnus an den deutscheu Dichter:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_35" type="poem"> <l> 0 toi cjug 1k 1'i'A.non! a, connu<lb/> Lorams im. zMlnso^o sutilirns,<lb/> Nais c^us notrs ssxrit xrsvvuu<lb/> <Äo>on Musmi als rirus;<lb/> In ins 1o ^rginior clos (üvrmiunkj,<lb/> Hui, M!»«Ilm^ sur 1o« x»,s c^Hör^of<lb/> Uou» »Mris, Pilr iss äous alpins,<lb/> (jus «os ins <tu Oiou <1s t», 'I'drÄc.g<lb/> tunkt,i.vont 1o» Ilvurs <in I'um^sso.</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_2026" prev="#ID_2025"> So konnte in demselben Jahre bereits Grimm an Haller schreiben: „Sie haben,<lb/> geehrtester Herr, einen höchst glänzenden Erfolg in Paris gehabt."</p><lb/> <p xml:id="ID_2027"> Damit war das Eis gebrochen. Wir können hier nicht im Einzelnen darauf<lb/> eingehen, wie nun eine gleiche Würdigung uicht nur dem aufstrebenden Geschlecht,<lb/> — den Gellert, Rabener, Lisevv, Lichtwcr, Joh. Elias Schlegel, Cronegk, Zachariä,<lb/> Gleim?c. —, sondern selbst Gottsched noch zu Teil wurde, sodaß 1760 bereits<lb/> Freron den jüngeren Dichtern seiner Nation die deutsche!, Poeten als nach¬<lb/> ahmenswerte Vorbilder anpreisen konnte. „Die Engländer und nach ihnen die<lb/> Deutschen — meint er — besitzen jene Kraft des Herzens, welche das Erbteil<lb/> des Genies ist; der Schöngeist hat bei uns das Natürliche getötet. . . und ich<lb/> bin geneigt zu glauben, daß das Übermaß der Geselligkeit, wenn ich so sagen<lb/> darf, die Talente entnervt und ihnen jenes Geleckte, Steife, Trockene, Eintönige<lb/> gegeben hat, was heutigen Tages die meisten unsrer dichterischen Gemälde entstellt.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0478]
Deutsche Literatur in Frankreich.
ratur. „Wir haben — schreibt er — bis jetzt die Deutschen nur als ein in dem
Ncchtsstudium trübselig vertieftes und in den dunkeln Höhlen der Gelehrsamkeit
verborgenes Volk angesehen. Wir ahnten nicht, daß sie die Dichtkunst und die
schöne Literatur pflegten. Vielleicht hielten wir sie überhaupt nicht dafür geeignet,
sich in Gebieten auszuzeichnen, welche Schwung, Geschmack und feines Gefühl ver¬
langen. Gleichwohl steht es fest, daß diese Nation von jeher einige besonders
bevorzugte Geister hervorgebracht hat, welche aus ihrer Sprache erhabene und
harmonische Töne hervorlockteu. . . . Vor zweihundert Jahren that sich der be¬
kannte Luther . . . auch durch diejenige Reform hervor, welche er auf dem Par-
nassc vollzogen hat. Man findet in seineu Dichtungen viel Feuer, Kraft und
Hoheit. ... Die deutsche Poesie wäre gleich damals zu ihrer Vollendung ge¬
langt, wenn man es sich hätte angelegen sein lassen, in die Fußtapfen dieses
Schriftstellers zu treten." Ganz entzückt äußert sich Freron über die Hallerschen
Gedichte, die eben in einer französischen Übersetzung — allerdings von einem
Deutschen (Schweizer) — erschienen waren; er findet sie alle philosophisch und
moralisch und nennt Haller is ?oxs as l'^llomaZuci. Im Jahre 1752 brachte
der Nerouro Äo I<'rta<zu eine sehr anerkennende Besprechung von Hallers
„Alpen," und die Schriftstellerin Madame du Boecagc richtete einen enthu¬
siastischen Hymnus an den deutscheu Dichter:
0 toi cjug 1k 1'i'A.non! a, connu
Lorams im. zMlnso^o sutilirns,
Nais c^us notrs ssxrit xrsvvuu
<Äo>on Musmi als rirus;
In ins 1o ^rginior clos (üvrmiunkj,
Hui, M!»«Ilm^ sur 1o« x»,s c^Hör^of
Uou» »Mris, Pilr iss äous alpins,
(jus «os ins <tu Oiou <1s t», 'I'drÄc.g
tunkt,i.vont 1o» Ilvurs <in I'um^sso.
So konnte in demselben Jahre bereits Grimm an Haller schreiben: „Sie haben,
geehrtester Herr, einen höchst glänzenden Erfolg in Paris gehabt."
Damit war das Eis gebrochen. Wir können hier nicht im Einzelnen darauf
eingehen, wie nun eine gleiche Würdigung uicht nur dem aufstrebenden Geschlecht,
— den Gellert, Rabener, Lisevv, Lichtwcr, Joh. Elias Schlegel, Cronegk, Zachariä,
Gleim?c. —, sondern selbst Gottsched noch zu Teil wurde, sodaß 1760 bereits
Freron den jüngeren Dichtern seiner Nation die deutsche!, Poeten als nach¬
ahmenswerte Vorbilder anpreisen konnte. „Die Engländer und nach ihnen die
Deutschen — meint er — besitzen jene Kraft des Herzens, welche das Erbteil
des Genies ist; der Schöngeist hat bei uns das Natürliche getötet. . . und ich
bin geneigt zu glauben, daß das Übermaß der Geselligkeit, wenn ich so sagen
darf, die Talente entnervt und ihnen jenes Geleckte, Steife, Trockene, Eintönige
gegeben hat, was heutigen Tages die meisten unsrer dichterischen Gemälde entstellt.
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