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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Deutsche Literatur in Frankreich.

Einen tiefer wirkenden Einfluß als die profanen Erzeugnisse der deutschen
Literatur hatten aber die Schriften der Reformatoren, vor allem die Luthers.
Der Edelmann Louis de Berquiu übersetzte zuerst dessen Traktat über die
Klostergelübde, und setzte in einer eignen Abhandlung die Gründe auseinander,
welche Luther bestimmte", die Dekretalien und die übrigen Sammlungen des
kanonischen Rechts öffentlich zu verbrennen; auch Antenne Pavillon und der
Bischof Wilhelm Brummel werden als Übersetzer lutherischer Schriften genannt.
Von dem Strnßburger Domherrn Graf Sigmund von Hohenlohe hören wir,
daß er in seinem eifrigen Briefwechsel mit der berühmten Schwester Franz' I.,
Magarete von Navcirra, "dieser über die Fortschritte der Kirchenverbesserung
in Deutschland berichtete, ihr die geläuterten Ansichten mitteilte, welche er im
Umgänge mit den Straßburgern Reformatoren gewonnen hatte, und ihr in fran¬
zösischer Übersetzung Luthers Schriften zuschickte."

Auf Luthers Anregung geht wohl auch die Bibelübersetzung von Lefevre
d'Etaplcs, dem Beichtvater Margaretens, zurück; sie ist aber keineswegs die
erste französische Bibelübersetzung, wie Süpfle anzunehmen scheint; giebt es doch
eine ganze Reihe von altfranzösischen, mehr oder weniger freie" Bearbeitungen
derselben, welche erst jüngst S. Berger zum Gegenstande einer gründlichen literar¬
historischen Untersuchung gemacht hat.

Daß die Reformation auf die französische Literatur der Zeit einen be¬
lebenden Einfluß ausgeübt hat, deutet Süpfle allerdings an. Aber es würe
eine sehr dankenswerte Ausgabe, diesem Einflüsse etwas tiefer nachzuforschen,
den Spuren protestantischen, also deutschen Wesens in den Werken der Schrift¬
steller, welche zwischen Montaigne und Rabelais die französische Sprache aus¬
gebildet haben, nachzugehen. Um nur auf eins zu verweisen: die Poesien der
Königin von Nnvarrn -- geistliche Gedichte und biblische Schauspiele -- weisen
doch entschieden auf deutsche Vorbilder hiu, wenn diese auch von der Dichterin
nicht unmittelbar benutzt werden konnten.

Im siebzehnten Jahrhundert werden die literarischen Beziehungen zwischen
Deutschland und Frankreich loser, ja sie hören mitunter ganz auf. Pufendorfs
Schriften wurden allerdings übersetzt und wirkten auf französische Juristen wie
Barbeyrae und Burlamaqui ein, aber man kann nicht sagen, daß sie zur Bil¬
dung des Nationalgeistes irgend etwas beigetragen hätten. Viel wichtiger war
Leibniz, aber seine berühmten lÜLSiü" Äo tkuoäivvo, die gegen den Skeptizismus
Bayles gerichtet waren und die -- nach Süpfle -- noch bis vor kurzem in
den französischen Lyceen gelesen wurden, erschienen erst 1709.

Kein Wunder, daß ein Zeitalter mit so ausschließlich ästhetischen Idealen,
wie das Ludwigs XIV. es war, in Deutschland damals nichts Geistes¬
verwandtes fand, auch keine Anregung von dorther empfangen konnte. Unter
den Gründen, welche die Franzosen damals der deutschen Sprache und Literatur
gegenüber so gleichgiltig machten, führten sie selber vor allen den an, daß es


Deutsche Literatur in Frankreich.

Einen tiefer wirkenden Einfluß als die profanen Erzeugnisse der deutschen
Literatur hatten aber die Schriften der Reformatoren, vor allem die Luthers.
Der Edelmann Louis de Berquiu übersetzte zuerst dessen Traktat über die
Klostergelübde, und setzte in einer eignen Abhandlung die Gründe auseinander,
welche Luther bestimmte», die Dekretalien und die übrigen Sammlungen des
kanonischen Rechts öffentlich zu verbrennen; auch Antenne Pavillon und der
Bischof Wilhelm Brummel werden als Übersetzer lutherischer Schriften genannt.
Von dem Strnßburger Domherrn Graf Sigmund von Hohenlohe hören wir,
daß er in seinem eifrigen Briefwechsel mit der berühmten Schwester Franz' I.,
Magarete von Navcirra, „dieser über die Fortschritte der Kirchenverbesserung
in Deutschland berichtete, ihr die geläuterten Ansichten mitteilte, welche er im
Umgänge mit den Straßburgern Reformatoren gewonnen hatte, und ihr in fran¬
zösischer Übersetzung Luthers Schriften zuschickte."

Auf Luthers Anregung geht wohl auch die Bibelübersetzung von Lefevre
d'Etaplcs, dem Beichtvater Margaretens, zurück; sie ist aber keineswegs die
erste französische Bibelübersetzung, wie Süpfle anzunehmen scheint; giebt es doch
eine ganze Reihe von altfranzösischen, mehr oder weniger freie» Bearbeitungen
derselben, welche erst jüngst S. Berger zum Gegenstande einer gründlichen literar¬
historischen Untersuchung gemacht hat.

Daß die Reformation auf die französische Literatur der Zeit einen be¬
lebenden Einfluß ausgeübt hat, deutet Süpfle allerdings an. Aber es würe
eine sehr dankenswerte Ausgabe, diesem Einflüsse etwas tiefer nachzuforschen,
den Spuren protestantischen, also deutschen Wesens in den Werken der Schrift¬
steller, welche zwischen Montaigne und Rabelais die französische Sprache aus¬
gebildet haben, nachzugehen. Um nur auf eins zu verweisen: die Poesien der
Königin von Nnvarrn — geistliche Gedichte und biblische Schauspiele — weisen
doch entschieden auf deutsche Vorbilder hiu, wenn diese auch von der Dichterin
nicht unmittelbar benutzt werden konnten.

Im siebzehnten Jahrhundert werden die literarischen Beziehungen zwischen
Deutschland und Frankreich loser, ja sie hören mitunter ganz auf. Pufendorfs
Schriften wurden allerdings übersetzt und wirkten auf französische Juristen wie
Barbeyrae und Burlamaqui ein, aber man kann nicht sagen, daß sie zur Bil¬
dung des Nationalgeistes irgend etwas beigetragen hätten. Viel wichtiger war
Leibniz, aber seine berühmten lÜLSiü« Äo tkuoäivvo, die gegen den Skeptizismus
Bayles gerichtet waren und die — nach Süpfle — noch bis vor kurzem in
den französischen Lyceen gelesen wurden, erschienen erst 1709.

Kein Wunder, daß ein Zeitalter mit so ausschließlich ästhetischen Idealen,
wie das Ludwigs XIV. es war, in Deutschland damals nichts Geistes¬
verwandtes fand, auch keine Anregung von dorther empfangen konnte. Unter
den Gründen, welche die Franzosen damals der deutschen Sprache und Literatur
gegenüber so gleichgiltig machten, führten sie selber vor allen den an, daß es


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[0476] Deutsche Literatur in Frankreich. Einen tiefer wirkenden Einfluß als die profanen Erzeugnisse der deutschen Literatur hatten aber die Schriften der Reformatoren, vor allem die Luthers. Der Edelmann Louis de Berquiu übersetzte zuerst dessen Traktat über die Klostergelübde, und setzte in einer eignen Abhandlung die Gründe auseinander, welche Luther bestimmte», die Dekretalien und die übrigen Sammlungen des kanonischen Rechts öffentlich zu verbrennen; auch Antenne Pavillon und der Bischof Wilhelm Brummel werden als Übersetzer lutherischer Schriften genannt. Von dem Strnßburger Domherrn Graf Sigmund von Hohenlohe hören wir, daß er in seinem eifrigen Briefwechsel mit der berühmten Schwester Franz' I., Magarete von Navcirra, „dieser über die Fortschritte der Kirchenverbesserung in Deutschland berichtete, ihr die geläuterten Ansichten mitteilte, welche er im Umgänge mit den Straßburgern Reformatoren gewonnen hatte, und ihr in fran¬ zösischer Übersetzung Luthers Schriften zuschickte." Auf Luthers Anregung geht wohl auch die Bibelübersetzung von Lefevre d'Etaplcs, dem Beichtvater Margaretens, zurück; sie ist aber keineswegs die erste französische Bibelübersetzung, wie Süpfle anzunehmen scheint; giebt es doch eine ganze Reihe von altfranzösischen, mehr oder weniger freie» Bearbeitungen derselben, welche erst jüngst S. Berger zum Gegenstande einer gründlichen literar¬ historischen Untersuchung gemacht hat. Daß die Reformation auf die französische Literatur der Zeit einen be¬ lebenden Einfluß ausgeübt hat, deutet Süpfle allerdings an. Aber es würe eine sehr dankenswerte Ausgabe, diesem Einflüsse etwas tiefer nachzuforschen, den Spuren protestantischen, also deutschen Wesens in den Werken der Schrift¬ steller, welche zwischen Montaigne und Rabelais die französische Sprache aus¬ gebildet haben, nachzugehen. Um nur auf eins zu verweisen: die Poesien der Königin von Nnvarrn — geistliche Gedichte und biblische Schauspiele — weisen doch entschieden auf deutsche Vorbilder hiu, wenn diese auch von der Dichterin nicht unmittelbar benutzt werden konnten. Im siebzehnten Jahrhundert werden die literarischen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich loser, ja sie hören mitunter ganz auf. Pufendorfs Schriften wurden allerdings übersetzt und wirkten auf französische Juristen wie Barbeyrae und Burlamaqui ein, aber man kann nicht sagen, daß sie zur Bil¬ dung des Nationalgeistes irgend etwas beigetragen hätten. Viel wichtiger war Leibniz, aber seine berühmten lÜLSiü« Äo tkuoäivvo, die gegen den Skeptizismus Bayles gerichtet waren und die — nach Süpfle — noch bis vor kurzem in den französischen Lyceen gelesen wurden, erschienen erst 1709. Kein Wunder, daß ein Zeitalter mit so ausschließlich ästhetischen Idealen, wie das Ludwigs XIV. es war, in Deutschland damals nichts Geistes¬ verwandtes fand, auch keine Anregung von dorther empfangen konnte. Unter den Gründen, welche die Franzosen damals der deutschen Sprache und Literatur gegenüber so gleichgiltig machten, führten sie selber vor allen den an, daß es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/476>, abgerufen am 27.09.2024.