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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Zur Reform des juristischen Studiums.

nicht wahr, daß er sich nicht ebenso gut antvdidaktisch mit Hilfe eines guten
Lehrbuchs gründlich in das Rechtssystem einarbeiten könne als durch Besuch
der landläufigen Vorlesungen.

Die Methode, wie gegenwärtig die Rechtswissenschaft auf den deutschen
Universitäten gelehrt wird, ist eine geradezu unwissenschaftliche und der deutschen
Hochschulen nicht würdige. Hier setze mau den Hebel an, wenn man Besserung
will; denn erst muß die Lehrmethode eine wissenschaftliche sein, ehe man an die
Jünger den Anspruch stellen darf, von einem wissenschaftlichen Geiste beseelt zu
sein. Für die systematischen Fächer wird die Lehrmethode der Philologie be¬
achtenswerte Vorbilder bieten. Und was der Erweckung des wissenschaftlichen
Geistes noch vorangehen muß: man suche zunächst die Methode auch so ein¬
zurichten, daß sie bei dem Jünger Liebe zu seiner Wissenschaft aufkommen läßt:
man mildere in den Anfangsvvrlesungen die abstrakte Behandlung, eine Än¬
derung, die, ohne der Wissenschaftlichkeit des Vertrages irgend welchen Ein¬
trag zu thun, die Faßlichkeit des Stoffes und damit die Anziehung für den
Anfänger wesentlich erhöhen würde. Darauf beruht der Vorzug, dein die prak¬
tischen Übungen ihre anhaltend hohe Frequenz der Zuhörer, wie sie selbst Lißt
rühmt, zu verdanken haben.

Es ist selbstverständlich, daß die Umgestaltung der juristischen Lehrmethode,
wie sie im Vorstehenden als Erfordernis hingestellt ist, nicht ohne gleichzeitige
Reform des juristischen Prüfnngswesens, speziell des ersten Examens, bewirkt
werden kann, daß namentlich in der ersten Zeit, ehe die Reform der Lehr¬
methode ihren heilsamen Einfluß auf die Erzeugung eines wissenschaftlichen
Geistes nnter der juristischen Jugend entfaltet hat, die strengern Anforderungen
des Prüfnngsregulativs die Rechtsbeflissenen zu größerem Eifer und Fleiß an¬
spornen müssen; aber es muß ganz entschieden in Zweifel gezogen werden, daß
eine Verschärfung der Prüfuugsbestimmungen allein den von allen Seiten be¬
tonten Mangel an Wissenschnftlichkeit unter den Juristen zu beseitigen, ja auch
nur dem Unfleiß derselben im Besuch der Kollegien zu steuern vermöchte.

In beiden Beziehungen sind es besonders oder eigentlich allein die preu¬
ßischen Juristen, über die Lißt die volle Schale seiner Ungnade ausgießt. Ich
muß allerdings bekennen, zu diesem Stande zu gehören, kann aber nach meinen
Erfahrungen nicht behaupten, daß ich unter den jungen Juristen im übrigen
Deutschland den Fleiß reger und den wissenschaftlichen Geist besser entwickelt
gefunden hätte. Ans den beiden außerprenßischen Universitäten, ans denen ich
vor einem Jahrzehnt studirte, war das "Einpauker" zum Examen ebenso wenig
wissenschaftlich, wie es nur in Preußen der Fall sein kann, und aus den öffent¬
lichen Prüfungen der süddeutschen Universität, welche" ich -- damals selbst
nahe vor meinem Examen stehend häufig beiwohnte, wüßte ich mich nicht
zu entsinnen, daß die Kandidaten so sehr häufig Proben eines auch nur über
das Maß des Dürftigen hinausgehenden Fleißes gezeigt hätten, von Wissen-


Zur Reform des juristischen Studiums.

nicht wahr, daß er sich nicht ebenso gut antvdidaktisch mit Hilfe eines guten
Lehrbuchs gründlich in das Rechtssystem einarbeiten könne als durch Besuch
der landläufigen Vorlesungen.

Die Methode, wie gegenwärtig die Rechtswissenschaft auf den deutschen
Universitäten gelehrt wird, ist eine geradezu unwissenschaftliche und der deutschen
Hochschulen nicht würdige. Hier setze mau den Hebel an, wenn man Besserung
will; denn erst muß die Lehrmethode eine wissenschaftliche sein, ehe man an die
Jünger den Anspruch stellen darf, von einem wissenschaftlichen Geiste beseelt zu
sein. Für die systematischen Fächer wird die Lehrmethode der Philologie be¬
achtenswerte Vorbilder bieten. Und was der Erweckung des wissenschaftlichen
Geistes noch vorangehen muß: man suche zunächst die Methode auch so ein¬
zurichten, daß sie bei dem Jünger Liebe zu seiner Wissenschaft aufkommen läßt:
man mildere in den Anfangsvvrlesungen die abstrakte Behandlung, eine Än¬
derung, die, ohne der Wissenschaftlichkeit des Vertrages irgend welchen Ein¬
trag zu thun, die Faßlichkeit des Stoffes und damit die Anziehung für den
Anfänger wesentlich erhöhen würde. Darauf beruht der Vorzug, dein die prak¬
tischen Übungen ihre anhaltend hohe Frequenz der Zuhörer, wie sie selbst Lißt
rühmt, zu verdanken haben.

Es ist selbstverständlich, daß die Umgestaltung der juristischen Lehrmethode,
wie sie im Vorstehenden als Erfordernis hingestellt ist, nicht ohne gleichzeitige
Reform des juristischen Prüfnngswesens, speziell des ersten Examens, bewirkt
werden kann, daß namentlich in der ersten Zeit, ehe die Reform der Lehr¬
methode ihren heilsamen Einfluß auf die Erzeugung eines wissenschaftlichen
Geistes nnter der juristischen Jugend entfaltet hat, die strengern Anforderungen
des Prüfnngsregulativs die Rechtsbeflissenen zu größerem Eifer und Fleiß an¬
spornen müssen; aber es muß ganz entschieden in Zweifel gezogen werden, daß
eine Verschärfung der Prüfuugsbestimmungen allein den von allen Seiten be¬
tonten Mangel an Wissenschnftlichkeit unter den Juristen zu beseitigen, ja auch
nur dem Unfleiß derselben im Besuch der Kollegien zu steuern vermöchte.

In beiden Beziehungen sind es besonders oder eigentlich allein die preu¬
ßischen Juristen, über die Lißt die volle Schale seiner Ungnade ausgießt. Ich
muß allerdings bekennen, zu diesem Stande zu gehören, kann aber nach meinen
Erfahrungen nicht behaupten, daß ich unter den jungen Juristen im übrigen
Deutschland den Fleiß reger und den wissenschaftlichen Geist besser entwickelt
gefunden hätte. Ans den beiden außerprenßischen Universitäten, ans denen ich
vor einem Jahrzehnt studirte, war das „Einpauker" zum Examen ebenso wenig
wissenschaftlich, wie es nur in Preußen der Fall sein kann, und aus den öffent¬
lichen Prüfungen der süddeutschen Universität, welche» ich — damals selbst
nahe vor meinem Examen stehend häufig beiwohnte, wüßte ich mich nicht
zu entsinnen, daß die Kandidaten so sehr häufig Proben eines auch nur über
das Maß des Dürftigen hinausgehenden Fleißes gezeigt hätten, von Wissen-


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[0471] Zur Reform des juristischen Studiums. nicht wahr, daß er sich nicht ebenso gut antvdidaktisch mit Hilfe eines guten Lehrbuchs gründlich in das Rechtssystem einarbeiten könne als durch Besuch der landläufigen Vorlesungen. Die Methode, wie gegenwärtig die Rechtswissenschaft auf den deutschen Universitäten gelehrt wird, ist eine geradezu unwissenschaftliche und der deutschen Hochschulen nicht würdige. Hier setze mau den Hebel an, wenn man Besserung will; denn erst muß die Lehrmethode eine wissenschaftliche sein, ehe man an die Jünger den Anspruch stellen darf, von einem wissenschaftlichen Geiste beseelt zu sein. Für die systematischen Fächer wird die Lehrmethode der Philologie be¬ achtenswerte Vorbilder bieten. Und was der Erweckung des wissenschaftlichen Geistes noch vorangehen muß: man suche zunächst die Methode auch so ein¬ zurichten, daß sie bei dem Jünger Liebe zu seiner Wissenschaft aufkommen läßt: man mildere in den Anfangsvvrlesungen die abstrakte Behandlung, eine Än¬ derung, die, ohne der Wissenschaftlichkeit des Vertrages irgend welchen Ein¬ trag zu thun, die Faßlichkeit des Stoffes und damit die Anziehung für den Anfänger wesentlich erhöhen würde. Darauf beruht der Vorzug, dein die prak¬ tischen Übungen ihre anhaltend hohe Frequenz der Zuhörer, wie sie selbst Lißt rühmt, zu verdanken haben. Es ist selbstverständlich, daß die Umgestaltung der juristischen Lehrmethode, wie sie im Vorstehenden als Erfordernis hingestellt ist, nicht ohne gleichzeitige Reform des juristischen Prüfnngswesens, speziell des ersten Examens, bewirkt werden kann, daß namentlich in der ersten Zeit, ehe die Reform der Lehr¬ methode ihren heilsamen Einfluß auf die Erzeugung eines wissenschaftlichen Geistes nnter der juristischen Jugend entfaltet hat, die strengern Anforderungen des Prüfnngsregulativs die Rechtsbeflissenen zu größerem Eifer und Fleiß an¬ spornen müssen; aber es muß ganz entschieden in Zweifel gezogen werden, daß eine Verschärfung der Prüfuugsbestimmungen allein den von allen Seiten be¬ tonten Mangel an Wissenschnftlichkeit unter den Juristen zu beseitigen, ja auch nur dem Unfleiß derselben im Besuch der Kollegien zu steuern vermöchte. In beiden Beziehungen sind es besonders oder eigentlich allein die preu¬ ßischen Juristen, über die Lißt die volle Schale seiner Ungnade ausgießt. Ich muß allerdings bekennen, zu diesem Stande zu gehören, kann aber nach meinen Erfahrungen nicht behaupten, daß ich unter den jungen Juristen im übrigen Deutschland den Fleiß reger und den wissenschaftlichen Geist besser entwickelt gefunden hätte. Ans den beiden außerprenßischen Universitäten, ans denen ich vor einem Jahrzehnt studirte, war das „Einpauker" zum Examen ebenso wenig wissenschaftlich, wie es nur in Preußen der Fall sein kann, und aus den öffent¬ lichen Prüfungen der süddeutschen Universität, welche» ich — damals selbst nahe vor meinem Examen stehend häufig beiwohnte, wüßte ich mich nicht zu entsinnen, daß die Kandidaten so sehr häufig Proben eines auch nur über das Maß des Dürftigen hinausgehenden Fleißes gezeigt hätten, von Wissen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/471>, abgerufen am 20.10.2024.