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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Bewegungen in der katholischen Well.

Worden, das; selbst der unfehlbar gewordne Papst nicht mehr rücksichtslos das
zu erreichen vermag, was er für das Wohl der Kirche für erforderlich hält.
Seine Maßnahmen werden bekrittelt, seine Lehren nicht befolgt. Als er den
Erzbischof Ledochowski zur Resignation zwang und einen Deutschen an die
Spitze der Erzdiözese Gnesen-Posen berief, vermochte" die ultramontanen
polnischen Blätter ihren Unwillen nicht zu zügeln und fanden in der "Germania"
einen getreuen Bundesgenossen, Ja der polnische Adel wagte es sogar, in einer
Petition von dem Papste die Ernennung eines andern Erzbischofs zu erbitten.
Jeder Ernennung eines friedliebenden Bischofs durch den Papst stellen die
Jntrcmsigenten Hemmnisse in den Weg, und bei den letzten kirchenpolitischen
Verhandlungen im Frühjahr 1886 war es schwieriger sür den Papst, die still¬
schweigende Zustimmung des Abgeordneten Windthorst als die ausdrückliche der
preußischen Regierung zu finden. Vergeblich läßt der Papst Worte des Friedens
erschallen; in der letzten Encyklika warnt er in der eindringlichsten Weife die
Gläubigen vor der Überhandnähme des Parteigeistes; er ermahnt sie, nicht hals¬
starrig an ihrer politische" Parteistellnng festzuhalten, den Regierungen nicht
grundsätzlich Opposition zu macheu, er spornt die Presse zu Mäßigung an --
aber wo findet sich in Deutschland anch nur die Spur eines Erfolges dieser
Worte! Der Bischof von Fulda wird von der katholischen Kaplanspresse geradezu
verfolgt, weil er es gewagt hat, die Autorität des Abgeordnete" Windthorst
anzuzweifeln, und die Stellungnahme des Bischofs gegenüber den Extravaganzen
des Zentrums wird sogar offen als "Irrung" bezeichnet, wie es in der katholischen
Kirchensprache nur einer häretischen Lehre gegenüber geschieht. Nicht mehr
der geistliche Oberhirt hat zu entscheiden, welche Stellung er in Fragen der
Konvikte einzunehmen hat, sondern die ultramontane Parteipresse ist es, welche
den Bischöfen vorschreibt, wie sie ihre geistlichen Obliegenheiten zu erfülle" habe".
Der Mangel an Ehrerbietung gegen das geistliche Oberhaupt geht so weit, daß
Organe, welche sich als katholische bezeichnen, die den echten Geist der Ver¬
söhnung atmende Ansprache des Papstes an den Bischof von Limburg ent¬
weder garnicht abdrucken oder als Komödie bezeichnen und verhöhne". Der
katholische Abgeordnete Lingens konnte in einer Wählerversammlnng es offen
aussprechen, daß das Zentrum in seinem Kampfe um die Freiheiten der ka¬
tholischen Kirche dnrch de" Widerspruch eines Bischofs sich nicht beirren lassen
werde.

Man sieht, diese Laiciihcrrschaftsbcstrcbnnge" sind bereits über das Maß
des symptomatischen hinausgeschritten, es ist eine Nevolutioniruiig des Katho¬
lizismus eingetreten, welche nicht mehr den Staat und die Regierung, sondern
die Kirche und das Papsttum angeht. Wollte die Regierung den Frieden mit
Rom nnr zu dem Zwecke abschließen, sich von der Opposition des Zentrums zu
befreien, so deuten alle diese Vorgänge darauf hin, daß solche Versuche ver¬
geblich wären, und nichts spricht dafür, daß die preußische Regierung vorhat,


Bewegungen in der katholischen Well.

Worden, das; selbst der unfehlbar gewordne Papst nicht mehr rücksichtslos das
zu erreichen vermag, was er für das Wohl der Kirche für erforderlich hält.
Seine Maßnahmen werden bekrittelt, seine Lehren nicht befolgt. Als er den
Erzbischof Ledochowski zur Resignation zwang und einen Deutschen an die
Spitze der Erzdiözese Gnesen-Posen berief, vermochte» die ultramontanen
polnischen Blätter ihren Unwillen nicht zu zügeln und fanden in der „Germania"
einen getreuen Bundesgenossen, Ja der polnische Adel wagte es sogar, in einer
Petition von dem Papste die Ernennung eines andern Erzbischofs zu erbitten.
Jeder Ernennung eines friedliebenden Bischofs durch den Papst stellen die
Jntrcmsigenten Hemmnisse in den Weg, und bei den letzten kirchenpolitischen
Verhandlungen im Frühjahr 1886 war es schwieriger sür den Papst, die still¬
schweigende Zustimmung des Abgeordneten Windthorst als die ausdrückliche der
preußischen Regierung zu finden. Vergeblich läßt der Papst Worte des Friedens
erschallen; in der letzten Encyklika warnt er in der eindringlichsten Weife die
Gläubigen vor der Überhandnähme des Parteigeistes; er ermahnt sie, nicht hals¬
starrig an ihrer politische» Parteistellnng festzuhalten, den Regierungen nicht
grundsätzlich Opposition zu macheu, er spornt die Presse zu Mäßigung an —
aber wo findet sich in Deutschland anch nur die Spur eines Erfolges dieser
Worte! Der Bischof von Fulda wird von der katholischen Kaplanspresse geradezu
verfolgt, weil er es gewagt hat, die Autorität des Abgeordnete» Windthorst
anzuzweifeln, und die Stellungnahme des Bischofs gegenüber den Extravaganzen
des Zentrums wird sogar offen als „Irrung" bezeichnet, wie es in der katholischen
Kirchensprache nur einer häretischen Lehre gegenüber geschieht. Nicht mehr
der geistliche Oberhirt hat zu entscheiden, welche Stellung er in Fragen der
Konvikte einzunehmen hat, sondern die ultramontane Parteipresse ist es, welche
den Bischöfen vorschreibt, wie sie ihre geistlichen Obliegenheiten zu erfülle» habe».
Der Mangel an Ehrerbietung gegen das geistliche Oberhaupt geht so weit, daß
Organe, welche sich als katholische bezeichnen, die den echten Geist der Ver¬
söhnung atmende Ansprache des Papstes an den Bischof von Limburg ent¬
weder garnicht abdrucken oder als Komödie bezeichnen und verhöhne». Der
katholische Abgeordnete Lingens konnte in einer Wählerversammlnng es offen
aussprechen, daß das Zentrum in seinem Kampfe um die Freiheiten der ka¬
tholischen Kirche dnrch de» Widerspruch eines Bischofs sich nicht beirren lassen
werde.

Man sieht, diese Laiciihcrrschaftsbcstrcbnnge» sind bereits über das Maß
des symptomatischen hinausgeschritten, es ist eine Nevolutioniruiig des Katho¬
lizismus eingetreten, welche nicht mehr den Staat und die Regierung, sondern
die Kirche und das Papsttum angeht. Wollte die Regierung den Frieden mit
Rom nnr zu dem Zwecke abschließen, sich von der Opposition des Zentrums zu
befreien, so deuten alle diese Vorgänge darauf hin, daß solche Versuche ver¬
geblich wären, und nichts spricht dafür, daß die preußische Regierung vorhat,


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[0464] Bewegungen in der katholischen Well. Worden, das; selbst der unfehlbar gewordne Papst nicht mehr rücksichtslos das zu erreichen vermag, was er für das Wohl der Kirche für erforderlich hält. Seine Maßnahmen werden bekrittelt, seine Lehren nicht befolgt. Als er den Erzbischof Ledochowski zur Resignation zwang und einen Deutschen an die Spitze der Erzdiözese Gnesen-Posen berief, vermochte» die ultramontanen polnischen Blätter ihren Unwillen nicht zu zügeln und fanden in der „Germania" einen getreuen Bundesgenossen, Ja der polnische Adel wagte es sogar, in einer Petition von dem Papste die Ernennung eines andern Erzbischofs zu erbitten. Jeder Ernennung eines friedliebenden Bischofs durch den Papst stellen die Jntrcmsigenten Hemmnisse in den Weg, und bei den letzten kirchenpolitischen Verhandlungen im Frühjahr 1886 war es schwieriger sür den Papst, die still¬ schweigende Zustimmung des Abgeordneten Windthorst als die ausdrückliche der preußischen Regierung zu finden. Vergeblich läßt der Papst Worte des Friedens erschallen; in der letzten Encyklika warnt er in der eindringlichsten Weife die Gläubigen vor der Überhandnähme des Parteigeistes; er ermahnt sie, nicht hals¬ starrig an ihrer politische» Parteistellnng festzuhalten, den Regierungen nicht grundsätzlich Opposition zu macheu, er spornt die Presse zu Mäßigung an — aber wo findet sich in Deutschland anch nur die Spur eines Erfolges dieser Worte! Der Bischof von Fulda wird von der katholischen Kaplanspresse geradezu verfolgt, weil er es gewagt hat, die Autorität des Abgeordnete» Windthorst anzuzweifeln, und die Stellungnahme des Bischofs gegenüber den Extravaganzen des Zentrums wird sogar offen als „Irrung" bezeichnet, wie es in der katholischen Kirchensprache nur einer häretischen Lehre gegenüber geschieht. Nicht mehr der geistliche Oberhirt hat zu entscheiden, welche Stellung er in Fragen der Konvikte einzunehmen hat, sondern die ultramontane Parteipresse ist es, welche den Bischöfen vorschreibt, wie sie ihre geistlichen Obliegenheiten zu erfülle» habe». Der Mangel an Ehrerbietung gegen das geistliche Oberhaupt geht so weit, daß Organe, welche sich als katholische bezeichnen, die den echten Geist der Ver¬ söhnung atmende Ansprache des Papstes an den Bischof von Limburg ent¬ weder garnicht abdrucken oder als Komödie bezeichnen und verhöhne». Der katholische Abgeordnete Lingens konnte in einer Wählerversammlnng es offen aussprechen, daß das Zentrum in seinem Kampfe um die Freiheiten der ka¬ tholischen Kirche dnrch de» Widerspruch eines Bischofs sich nicht beirren lassen werde. Man sieht, diese Laiciihcrrschaftsbcstrcbnnge» sind bereits über das Maß des symptomatischen hinausgeschritten, es ist eine Nevolutioniruiig des Katho¬ lizismus eingetreten, welche nicht mehr den Staat und die Regierung, sondern die Kirche und das Papsttum angeht. Wollte die Regierung den Frieden mit Rom nnr zu dem Zwecke abschließen, sich von der Opposition des Zentrums zu befreien, so deuten alle diese Vorgänge darauf hin, daß solche Versuche ver¬ geblich wären, und nichts spricht dafür, daß die preußische Regierung vorhat,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/464>, abgerufen am 20.10.2024.