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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Bewegungen in der katholischen !oeil.

Verzweigungen stehen in einem inneren Zusammenhange; so lange für sie der
eine Wille ihres sichtbaren Oberhauptes in Rom maßgebend war und so lange
dieser mit den Führern der Partei im Einklang stand, sehen wir während der
Dauer des Kulturkampfes die katholische Kirche immer mehr Machtmittel ent¬
falten und immer stärker werden.

Aber dieser Höhepunkt der Machtentwicklnng birgt zugleich den Keim einer
zersetzenden Krankheit in sich, welche geeignet ist, an dem Mark des ganzen großen
Organismus zu zehren und ihn einer ganz neuen Umwandlung zuzuführen.
Es ist bereits darauf aufmerksam gemacht worden und es muß wiederholt darauf
hingewiesen werden, daß eine entscheidende Mitwirkung des Laienelements in
der katholischen Kirche nicht vorhanden sein kann. Die alleinige Autorität liegt
in den Händen der Nachfolger Christi und seiner Apostel, für die katholische
Christenheit beim Papst und für die einzelne Diözese bei dem Bischof; sie
sind es, welche die Regeln aufstellen, nach denen sich der Klerus und die Laien zu
richten haben. Ihren Entscheidungen und ihrem Ansehen hat sich der Gläubige
zu unterwerfen; er hat nicht zu prüfen oder zu urteilen, sondern in Liebe zu
gehorchen. Wenn auch der blinde Gehorsam erst im Jesuitenorden zu der
Schärfe gediehen ist, welche den Einzelnen wie einen Kadaver gegenüber
seinen Obern erscheinen läßt, so findet sich doch eben in dem Organismus
der katholischen Kirche kein Platz, in welchem der Laie zu einer entschiedenen
Mitwirkung berufen wäre. Und in der That, geht man nach dem katholischen
Dogma davon ans, daß der heilige Geist nur in dein Stellvertreter Christi und
in den Nachfolgern der Apostel seinen Wohnsitz hat, so ist jede Teilnahme
der Laien an der Leitung der kirchlichen Geschicke eine unbefugte Einmischung
in die unerforschlichen Waldungen der göttlichen Ordnung.

Dadurch aber, daß" die Kirche in alle Verhältnisse des öffentlichen und
bürgerlichen Lebens zu dringen sucht und überall, in allen Schichten, für alle
Dinge die Laienwelt an sich heranzieht, fügt es sich nach der Natur der Dinge
ganz von selbst, daß der weltliche Stand auch seine Einflüsse auf die Geschicke
der Kirche geltend macht. Denn die Führerschaft des Laienelements, namentlich
soweit es sich um die Leitung der katholischen Vertretung im Parlament handelt,
fällt nicht dem vorgesetzten Geistlichen, sondern einem Laieuführer zu, der schou
durch seine größere Erfahrung in weltlichen Dingen, durch die geringere Rücksicht,
welche er zu nehmen hat, vorzugsweise zu dieser Rolle berufen ist. Um diese
durchzuführen, bedarf er wiederum der Unterstützung von Laien in den Wahl¬
kreisen, in den Vereinen und Versammlungen sowie in der Presse. So bildet
sich allmählich neben der dogmatisch allein gestatteten geistlichen Führung
eine Nebenherrschaft, welche wiederum nach den Gesetzen der menschlichen
Natur, nach den der Individualität angebornen Bestrebungen, sich geltend zu
macheu, nicht bloß gehorcht, sondern selbständig berät und lenkt. So verquicken
sich die geistlichen und kirchlichen Interessen von selbst mit den weltlichen, daß


Bewegungen in der katholischen !oeil.

Verzweigungen stehen in einem inneren Zusammenhange; so lange für sie der
eine Wille ihres sichtbaren Oberhauptes in Rom maßgebend war und so lange
dieser mit den Führern der Partei im Einklang stand, sehen wir während der
Dauer des Kulturkampfes die katholische Kirche immer mehr Machtmittel ent¬
falten und immer stärker werden.

Aber dieser Höhepunkt der Machtentwicklnng birgt zugleich den Keim einer
zersetzenden Krankheit in sich, welche geeignet ist, an dem Mark des ganzen großen
Organismus zu zehren und ihn einer ganz neuen Umwandlung zuzuführen.
Es ist bereits darauf aufmerksam gemacht worden und es muß wiederholt darauf
hingewiesen werden, daß eine entscheidende Mitwirkung des Laienelements in
der katholischen Kirche nicht vorhanden sein kann. Die alleinige Autorität liegt
in den Händen der Nachfolger Christi und seiner Apostel, für die katholische
Christenheit beim Papst und für die einzelne Diözese bei dem Bischof; sie
sind es, welche die Regeln aufstellen, nach denen sich der Klerus und die Laien zu
richten haben. Ihren Entscheidungen und ihrem Ansehen hat sich der Gläubige
zu unterwerfen; er hat nicht zu prüfen oder zu urteilen, sondern in Liebe zu
gehorchen. Wenn auch der blinde Gehorsam erst im Jesuitenorden zu der
Schärfe gediehen ist, welche den Einzelnen wie einen Kadaver gegenüber
seinen Obern erscheinen läßt, so findet sich doch eben in dem Organismus
der katholischen Kirche kein Platz, in welchem der Laie zu einer entschiedenen
Mitwirkung berufen wäre. Und in der That, geht man nach dem katholischen
Dogma davon ans, daß der heilige Geist nur in dein Stellvertreter Christi und
in den Nachfolgern der Apostel seinen Wohnsitz hat, so ist jede Teilnahme
der Laien an der Leitung der kirchlichen Geschicke eine unbefugte Einmischung
in die unerforschlichen Waldungen der göttlichen Ordnung.

Dadurch aber, daß" die Kirche in alle Verhältnisse des öffentlichen und
bürgerlichen Lebens zu dringen sucht und überall, in allen Schichten, für alle
Dinge die Laienwelt an sich heranzieht, fügt es sich nach der Natur der Dinge
ganz von selbst, daß der weltliche Stand auch seine Einflüsse auf die Geschicke
der Kirche geltend macht. Denn die Führerschaft des Laienelements, namentlich
soweit es sich um die Leitung der katholischen Vertretung im Parlament handelt,
fällt nicht dem vorgesetzten Geistlichen, sondern einem Laieuführer zu, der schou
durch seine größere Erfahrung in weltlichen Dingen, durch die geringere Rücksicht,
welche er zu nehmen hat, vorzugsweise zu dieser Rolle berufen ist. Um diese
durchzuführen, bedarf er wiederum der Unterstützung von Laien in den Wahl¬
kreisen, in den Vereinen und Versammlungen sowie in der Presse. So bildet
sich allmählich neben der dogmatisch allein gestatteten geistlichen Führung
eine Nebenherrschaft, welche wiederum nach den Gesetzen der menschlichen
Natur, nach den der Individualität angebornen Bestrebungen, sich geltend zu
macheu, nicht bloß gehorcht, sondern selbständig berät und lenkt. So verquicken
sich die geistlichen und kirchlichen Interessen von selbst mit den weltlichen, daß


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[0462] Bewegungen in der katholischen !oeil. Verzweigungen stehen in einem inneren Zusammenhange; so lange für sie der eine Wille ihres sichtbaren Oberhauptes in Rom maßgebend war und so lange dieser mit den Führern der Partei im Einklang stand, sehen wir während der Dauer des Kulturkampfes die katholische Kirche immer mehr Machtmittel ent¬ falten und immer stärker werden. Aber dieser Höhepunkt der Machtentwicklnng birgt zugleich den Keim einer zersetzenden Krankheit in sich, welche geeignet ist, an dem Mark des ganzen großen Organismus zu zehren und ihn einer ganz neuen Umwandlung zuzuführen. Es ist bereits darauf aufmerksam gemacht worden und es muß wiederholt darauf hingewiesen werden, daß eine entscheidende Mitwirkung des Laienelements in der katholischen Kirche nicht vorhanden sein kann. Die alleinige Autorität liegt in den Händen der Nachfolger Christi und seiner Apostel, für die katholische Christenheit beim Papst und für die einzelne Diözese bei dem Bischof; sie sind es, welche die Regeln aufstellen, nach denen sich der Klerus und die Laien zu richten haben. Ihren Entscheidungen und ihrem Ansehen hat sich der Gläubige zu unterwerfen; er hat nicht zu prüfen oder zu urteilen, sondern in Liebe zu gehorchen. Wenn auch der blinde Gehorsam erst im Jesuitenorden zu der Schärfe gediehen ist, welche den Einzelnen wie einen Kadaver gegenüber seinen Obern erscheinen läßt, so findet sich doch eben in dem Organismus der katholischen Kirche kein Platz, in welchem der Laie zu einer entschiedenen Mitwirkung berufen wäre. Und in der That, geht man nach dem katholischen Dogma davon ans, daß der heilige Geist nur in dein Stellvertreter Christi und in den Nachfolgern der Apostel seinen Wohnsitz hat, so ist jede Teilnahme der Laien an der Leitung der kirchlichen Geschicke eine unbefugte Einmischung in die unerforschlichen Waldungen der göttlichen Ordnung. Dadurch aber, daß" die Kirche in alle Verhältnisse des öffentlichen und bürgerlichen Lebens zu dringen sucht und überall, in allen Schichten, für alle Dinge die Laienwelt an sich heranzieht, fügt es sich nach der Natur der Dinge ganz von selbst, daß der weltliche Stand auch seine Einflüsse auf die Geschicke der Kirche geltend macht. Denn die Führerschaft des Laienelements, namentlich soweit es sich um die Leitung der katholischen Vertretung im Parlament handelt, fällt nicht dem vorgesetzten Geistlichen, sondern einem Laieuführer zu, der schou durch seine größere Erfahrung in weltlichen Dingen, durch die geringere Rücksicht, welche er zu nehmen hat, vorzugsweise zu dieser Rolle berufen ist. Um diese durchzuführen, bedarf er wiederum der Unterstützung von Laien in den Wahl¬ kreisen, in den Vereinen und Versammlungen sowie in der Presse. So bildet sich allmählich neben der dogmatisch allein gestatteten geistlichen Führung eine Nebenherrschaft, welche wiederum nach den Gesetzen der menschlichen Natur, nach den der Individualität angebornen Bestrebungen, sich geltend zu macheu, nicht bloß gehorcht, sondern selbständig berät und lenkt. So verquicken sich die geistlichen und kirchlichen Interessen von selbst mit den weltlichen, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/462>, abgerufen am 20.10.2024.