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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Die neuen Briefe Robert Schumanns.

sie aufzuführen.*) Diese Zeugnisse sehen zwar nicht gerade nach Eifersucht aus.
Aber hiermit sind wir auch am Ende. Klara Schumann hat von Mendels¬
sohns Hand sonst nur kurze Billets geschäftlichen Inhalts erhalten, während
Schumann immer sehr ausführlich und mit aller Herzlichkeit und Innigkeit
schrieb. Seine Briefe an Mendelssohn gehören zu den schönsten in der ganzen
Sammlung. Immer drängt es ihn, dem "unvergleichlichen" Mendelssohn, "dem
Allerbesten," "dessen Gedanken man gleich in Gold eingraben könnte," einen
Kranz der Verehrung zu weihen. Wenn er es garnicht lassen kann, ihn im
Gespräch oder in Briefen auch ins Gesicht zu loben, bittet er dafür fast
schüchtern um Verzeihung wie für eine Taktlosigkeit. "Lieber Mendelssohn
-- schreibt er am 18. November 1845 an ihn --, als wir das letztemal
Abschied nahmen, haben Sie mich gewiß für rappelköpfisch gehalten, als
ich Ihnen noch ein so "greuliches" Kompliment machte. Ich meinte damit
das Lied in I)-me>11: wie aus einer alten Chronik schien mirs zu kommen,
wenn die "Spielleute" zum Turnier blasen und die Ritter nicht erscheinen
wollen und die Musiker um ungeduldig werden ?c. Sagen Sie mir, schieß'
ich daneben, oder stand so etwas vor Ihrer Seele? Vor allem aber zürnen
Sie mir nicht, daß ich so starke Farben wählte zu meinem Kompliment, ich
erschrak selbst, wie es heraus war." An den Orgel-Sonaten lobt er die echt
poetischen, neuen Formen und die reinen Harmonien. "So immer reiner und
verklärter schreibt niemand weiter. Habe ich Sie wieder einmal gelobt? Durfte
ich?" Der Brief schließt: "Morgen pu Gewandhauskonzert bei der L-äur-
Symphonie^ möchte ich recht lebhaft vor Ihnen stehen mit meinen Mängeln
und Unarten, aber auch mit einem Herzen, das immer das Beste geben möchte
und die Zuneigung des Ihrigen vor allen andern wünscht." Gäbe es doch
noch mehr Beweise, daß dieser Wunsch nicht vergeblich gewesen sei!

Mit Richard Wagner hat Schumann in Dresden zuweilen verkehrt, dort auch
die Entstehung des "Tannhäuser" erlebt. Sein Gesamturteil über ihn steht in
einem Briefe an D. v. Bruhck, vom 8. Mai 1853: "Wagner ist kein guter
Musiker. Es fehlt ihm Sinn für Form und Wohlklang. Aber Sie dürfen
ihn nicht nach Klavierauszügen beurteilen. Sie würden sich an vielen Stellen
seiner Opern, hörten Sie sie von der Bühne, gewiß einer tiefen Erregung nicht
erwehren können. Und ist es nicht das klare Sonnenlicht, das der Genius aus¬
strahlt, so ist es doch oft ein geheimnisvoller Zauber, der sich unsrer Sinne
bemächtigt. Aber, wie gesagt, die Musik, abgezogen von der Darstellung, ist
gering, oft geradezu dilettantisch, gehaltlos und widerwärtig, und es ist leider



Schumann antwortete darauf am 24. September 184S: "Die Szene aus Faust ruht
noch im Pult; ich scheue mich ordentlich, sie wieder anzusehen. Das Ergriffensein von der
sublimen Poesie gerade jenes Schlusses ließ mich die Arbeit wagen; ich weiß nicht, ob ich
sie jemals veröffentlichen werde. Kommt aber der Mut wieder und vollende ich, so werde ich
Ihrer freundlichen Aufforderung gewiß gedenken; haben Sie Dank dafür."
Die neuen Briefe Robert Schumanns.

sie aufzuführen.*) Diese Zeugnisse sehen zwar nicht gerade nach Eifersucht aus.
Aber hiermit sind wir auch am Ende. Klara Schumann hat von Mendels¬
sohns Hand sonst nur kurze Billets geschäftlichen Inhalts erhalten, während
Schumann immer sehr ausführlich und mit aller Herzlichkeit und Innigkeit
schrieb. Seine Briefe an Mendelssohn gehören zu den schönsten in der ganzen
Sammlung. Immer drängt es ihn, dem „unvergleichlichen" Mendelssohn, „dem
Allerbesten," „dessen Gedanken man gleich in Gold eingraben könnte," einen
Kranz der Verehrung zu weihen. Wenn er es garnicht lassen kann, ihn im
Gespräch oder in Briefen auch ins Gesicht zu loben, bittet er dafür fast
schüchtern um Verzeihung wie für eine Taktlosigkeit. „Lieber Mendelssohn
— schreibt er am 18. November 1845 an ihn —, als wir das letztemal
Abschied nahmen, haben Sie mich gewiß für rappelköpfisch gehalten, als
ich Ihnen noch ein so »greuliches« Kompliment machte. Ich meinte damit
das Lied in I)-me>11: wie aus einer alten Chronik schien mirs zu kommen,
wenn die »Spielleute« zum Turnier blasen und die Ritter nicht erscheinen
wollen und die Musiker um ungeduldig werden ?c. Sagen Sie mir, schieß'
ich daneben, oder stand so etwas vor Ihrer Seele? Vor allem aber zürnen
Sie mir nicht, daß ich so starke Farben wählte zu meinem Kompliment, ich
erschrak selbst, wie es heraus war." An den Orgel-Sonaten lobt er die echt
poetischen, neuen Formen und die reinen Harmonien. „So immer reiner und
verklärter schreibt niemand weiter. Habe ich Sie wieder einmal gelobt? Durfte
ich?" Der Brief schließt: „Morgen pu Gewandhauskonzert bei der L-äur-
Symphonie^ möchte ich recht lebhaft vor Ihnen stehen mit meinen Mängeln
und Unarten, aber auch mit einem Herzen, das immer das Beste geben möchte
und die Zuneigung des Ihrigen vor allen andern wünscht." Gäbe es doch
noch mehr Beweise, daß dieser Wunsch nicht vergeblich gewesen sei!

Mit Richard Wagner hat Schumann in Dresden zuweilen verkehrt, dort auch
die Entstehung des „Tannhäuser" erlebt. Sein Gesamturteil über ihn steht in
einem Briefe an D. v. Bruhck, vom 8. Mai 1853: „Wagner ist kein guter
Musiker. Es fehlt ihm Sinn für Form und Wohlklang. Aber Sie dürfen
ihn nicht nach Klavierauszügen beurteilen. Sie würden sich an vielen Stellen
seiner Opern, hörten Sie sie von der Bühne, gewiß einer tiefen Erregung nicht
erwehren können. Und ist es nicht das klare Sonnenlicht, das der Genius aus¬
strahlt, so ist es doch oft ein geheimnisvoller Zauber, der sich unsrer Sinne
bemächtigt. Aber, wie gesagt, die Musik, abgezogen von der Darstellung, ist
gering, oft geradezu dilettantisch, gehaltlos und widerwärtig, und es ist leider



Schumann antwortete darauf am 24. September 184S: „Die Szene aus Faust ruht
noch im Pult; ich scheue mich ordentlich, sie wieder anzusehen. Das Ergriffensein von der
sublimen Poesie gerade jenes Schlusses ließ mich die Arbeit wagen; ich weiß nicht, ob ich
sie jemals veröffentlichen werde. Kommt aber der Mut wieder und vollende ich, so werde ich
Ihrer freundlichen Aufforderung gewiß gedenken; haben Sie Dank dafür."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/442>, abgerufen am 20.10.2024.