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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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eingehende Charakteristik, die zuweilen an Schumanns Aufsatz über Vrahms
anklingt. Estere sandte die Zeitung an Schumann und erhielt von ihm die
wärmste Danksagung. Um dieselbe Zeit brachten die "Grenzboten" einen Aufsatz,
der Schumanns hohe Stellung unter den Tondichtern würdigte.^) So erlebte
es Schumann noch, daß die Kritik seinem Genius folgte. Wenn er aber sagt,
daß vielleicht nur der Genius den Genius ganz verstehe, so mußte ihm an der
Zustimmung Mendelssohns besonders viel gelegen sein. Von dieser gab es
bisher kein einziges urkundliches Zeugnis. Wie kommt es, fragte man schon
lange, daß Mendelssohns bisher veröffentlichte Briefe, die über andre Künstler
so gesprächig sind, kein Wort von Schumann sagen? Sind die Äußerungen
über den Kunstgenossen von den Herausgebern seiner Briefe unterdrückt worden?
Oder hat er geschwiegen, weil ihm Schumanns Schaffen unsympathisch war?
Aber haben nicht Mendelssohn und Schumann sonst viel Übereinstimmendes
in Kunstanschauung und Lebensansichten?"Ich denke immer, sagt Mendels¬
sohn, daß man fleißig sein soll und arbeiten, vornehmlich keinen Mensche" hassen
und die Zukunft Gott überlasten." "Überhaupt -- sagt er ein andermal --
wenn die guten Musiker anfangen, sich anzufeinden -- am liebsten möchte ich
da die Musik abschwören: ich komme mir gleich so schuhflickermäßig vor." Jansens
Buch bringt auch hier Neues und Aufklärendes. Es überrascht uns mit einem
Briefe, den Mendelssohn an Klara Schumann schrieb, als diese ihm eine
Einladung zur zweiten Aufführung der "Perl" nach Berlin gesandt hatte. Am
11. Dezember 1843 war die Aufführung; um 10. mittags antwortete Mendels¬
sohn. Durch eine unbegreifliche Verspätung -- schreibt er -- habe er deu Brief
soeben erst erhalten. Sonst hätte er nicht widerstehen können, und wenn auch
alle Berliner Vernunft dagegen gesprochen hätte. Nun könne er der Auf-
führung nur in Gedanken folgen. "Wie mir das von ganzem Herzen leid thut,
brauche ich Ihnen und Ihrem lieben Manne nicht erst zu sagen. Gerade zu
der Musik, gerade zu dem neuen Schumannschen Stücke wäre ich so gern ge¬
kommen und soll nun wieder warten, bis ein neues fertig ist. Das will mir
garnicht in den Kopf! ... Es thut mir doch auch gar zu leid! Sagen Sie
das alles Ihrem Manne, sagen Sie ihm, wie herzlich ich mich seines schönen
Erfolges gefreut habe; wer mir schrieb, der schrieb von der Perl und der Freude,
die sie ihm gemacht hätte. Sagen Sie ihm, daß mir das alles wie eine große
Freude vorkommt, die mir selbst widerfahre, und freuen Sie sich beide des
morgenden Abends und des Werkes, und wenn Sie selbst und alle um Sie
her recht froh sind, so denken Sie einmal daran, wie gern ich dabei wäre."
Zwei Jahre später forderte Mendelssohn die Faustmusik von Schumann, um




*) Jahrgang 18S0, Ur. 39 und Ur. 40.
**) Mendelssohn liebte auch Jean Paul. Er haßte auch das Philistertum: "Ich fühle
einen ungeheuern Grinnn in mir gegen alles, was in einiger Verwandtschaft mit Better
Michel steht."
Grenzboten IV. 1836. L5

eingehende Charakteristik, die zuweilen an Schumanns Aufsatz über Vrahms
anklingt. Estere sandte die Zeitung an Schumann und erhielt von ihm die
wärmste Danksagung. Um dieselbe Zeit brachten die „Grenzboten" einen Aufsatz,
der Schumanns hohe Stellung unter den Tondichtern würdigte.^) So erlebte
es Schumann noch, daß die Kritik seinem Genius folgte. Wenn er aber sagt,
daß vielleicht nur der Genius den Genius ganz verstehe, so mußte ihm an der
Zustimmung Mendelssohns besonders viel gelegen sein. Von dieser gab es
bisher kein einziges urkundliches Zeugnis. Wie kommt es, fragte man schon
lange, daß Mendelssohns bisher veröffentlichte Briefe, die über andre Künstler
so gesprächig sind, kein Wort von Schumann sagen? Sind die Äußerungen
über den Kunstgenossen von den Herausgebern seiner Briefe unterdrückt worden?
Oder hat er geschwiegen, weil ihm Schumanns Schaffen unsympathisch war?
Aber haben nicht Mendelssohn und Schumann sonst viel Übereinstimmendes
in Kunstanschauung und Lebensansichten?„Ich denke immer, sagt Mendels¬
sohn, daß man fleißig sein soll und arbeiten, vornehmlich keinen Mensche» hassen
und die Zukunft Gott überlasten." „Überhaupt — sagt er ein andermal —
wenn die guten Musiker anfangen, sich anzufeinden — am liebsten möchte ich
da die Musik abschwören: ich komme mir gleich so schuhflickermäßig vor." Jansens
Buch bringt auch hier Neues und Aufklärendes. Es überrascht uns mit einem
Briefe, den Mendelssohn an Klara Schumann schrieb, als diese ihm eine
Einladung zur zweiten Aufführung der „Perl" nach Berlin gesandt hatte. Am
11. Dezember 1843 war die Aufführung; um 10. mittags antwortete Mendels¬
sohn. Durch eine unbegreifliche Verspätung — schreibt er — habe er deu Brief
soeben erst erhalten. Sonst hätte er nicht widerstehen können, und wenn auch
alle Berliner Vernunft dagegen gesprochen hätte. Nun könne er der Auf-
führung nur in Gedanken folgen. „Wie mir das von ganzem Herzen leid thut,
brauche ich Ihnen und Ihrem lieben Manne nicht erst zu sagen. Gerade zu
der Musik, gerade zu dem neuen Schumannschen Stücke wäre ich so gern ge¬
kommen und soll nun wieder warten, bis ein neues fertig ist. Das will mir
garnicht in den Kopf! ... Es thut mir doch auch gar zu leid! Sagen Sie
das alles Ihrem Manne, sagen Sie ihm, wie herzlich ich mich seines schönen
Erfolges gefreut habe; wer mir schrieb, der schrieb von der Perl und der Freude,
die sie ihm gemacht hätte. Sagen Sie ihm, daß mir das alles wie eine große
Freude vorkommt, die mir selbst widerfahre, und freuen Sie sich beide des
morgenden Abends und des Werkes, und wenn Sie selbst und alle um Sie
her recht froh sind, so denken Sie einmal daran, wie gern ich dabei wäre."
Zwei Jahre später forderte Mendelssohn die Faustmusik von Schumann, um




*) Jahrgang 18S0, Ur. 39 und Ur. 40.
**) Mendelssohn liebte auch Jean Paul. Er haßte auch das Philistertum: „Ich fühle
einen ungeheuern Grinnn in mir gegen alles, was in einiger Verwandtschaft mit Better
Michel steht."
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[0441] eingehende Charakteristik, die zuweilen an Schumanns Aufsatz über Vrahms anklingt. Estere sandte die Zeitung an Schumann und erhielt von ihm die wärmste Danksagung. Um dieselbe Zeit brachten die „Grenzboten" einen Aufsatz, der Schumanns hohe Stellung unter den Tondichtern würdigte.^) So erlebte es Schumann noch, daß die Kritik seinem Genius folgte. Wenn er aber sagt, daß vielleicht nur der Genius den Genius ganz verstehe, so mußte ihm an der Zustimmung Mendelssohns besonders viel gelegen sein. Von dieser gab es bisher kein einziges urkundliches Zeugnis. Wie kommt es, fragte man schon lange, daß Mendelssohns bisher veröffentlichte Briefe, die über andre Künstler so gesprächig sind, kein Wort von Schumann sagen? Sind die Äußerungen über den Kunstgenossen von den Herausgebern seiner Briefe unterdrückt worden? Oder hat er geschwiegen, weil ihm Schumanns Schaffen unsympathisch war? Aber haben nicht Mendelssohn und Schumann sonst viel Übereinstimmendes in Kunstanschauung und Lebensansichten?„Ich denke immer, sagt Mendels¬ sohn, daß man fleißig sein soll und arbeiten, vornehmlich keinen Mensche» hassen und die Zukunft Gott überlasten." „Überhaupt — sagt er ein andermal — wenn die guten Musiker anfangen, sich anzufeinden — am liebsten möchte ich da die Musik abschwören: ich komme mir gleich so schuhflickermäßig vor." Jansens Buch bringt auch hier Neues und Aufklärendes. Es überrascht uns mit einem Briefe, den Mendelssohn an Klara Schumann schrieb, als diese ihm eine Einladung zur zweiten Aufführung der „Perl" nach Berlin gesandt hatte. Am 11. Dezember 1843 war die Aufführung; um 10. mittags antwortete Mendels¬ sohn. Durch eine unbegreifliche Verspätung — schreibt er — habe er deu Brief soeben erst erhalten. Sonst hätte er nicht widerstehen können, und wenn auch alle Berliner Vernunft dagegen gesprochen hätte. Nun könne er der Auf- führung nur in Gedanken folgen. „Wie mir das von ganzem Herzen leid thut, brauche ich Ihnen und Ihrem lieben Manne nicht erst zu sagen. Gerade zu der Musik, gerade zu dem neuen Schumannschen Stücke wäre ich so gern ge¬ kommen und soll nun wieder warten, bis ein neues fertig ist. Das will mir garnicht in den Kopf! ... Es thut mir doch auch gar zu leid! Sagen Sie das alles Ihrem Manne, sagen Sie ihm, wie herzlich ich mich seines schönen Erfolges gefreut habe; wer mir schrieb, der schrieb von der Perl und der Freude, die sie ihm gemacht hätte. Sagen Sie ihm, daß mir das alles wie eine große Freude vorkommt, die mir selbst widerfahre, und freuen Sie sich beide des morgenden Abends und des Werkes, und wenn Sie selbst und alle um Sie her recht froh sind, so denken Sie einmal daran, wie gern ich dabei wäre." Zwei Jahre später forderte Mendelssohn die Faustmusik von Schumann, um *) Jahrgang 18S0, Ur. 39 und Ur. 40. **) Mendelssohn liebte auch Jean Paul. Er haßte auch das Philistertum: „Ich fühle einen ungeheuern Grinnn in mir gegen alles, was in einiger Verwandtschaft mit Better Michel steht." Grenzboten IV. 1836. L5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/441>, abgerufen am 20.10.2024.