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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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thatsächlich nie vorkommen -- nur um die Sattclfestigkcit der Schüler zu
prüfe"; ob aber das Interesse am Altertum damit gefördert wird, wagen wir
doch zu bezweifeln. Und ist es nicht mehr als überflüssig, ist es nicht geradezu
sinnlos, die sogenannte" "Extemporalien," jene sür die Lehrer ja recht bequemen,
für alle etwas langsameren, Zeit brauchenden Schillerköpfe aber geradezu fol¬
ternder und bei allen Schillern ausnahmslos gefürchteten und verhaßten Über-
setzungsiibnugen, mit grammatischen Seltenheiten zu spicken, und nach dem Ausfall
solcher "Extemporalien" dann den Wert eines Schülers zu bemessen? Ja wenn
noch tieferes grammatisches Interesse manche Herren zu solcher Art des Unter¬
richts veranlaßte! Es wäre auch dann noch unrecht, aber doch erklärlich. Wir
fürchten indes, daß nicht einmal grammatisches Interesse die wahre Triebfeder
für eine solche "Einführung in den Geist des klassischen Altertums" ist. Die Pro¬
fessoren der vergleichenden Sprachwissenschaft an unsern Universitäten, die manch¬
mal kaum ein halbes Dutzend Zuhörer haben, könnten vielleicht über die gram¬
matischen Interessen der zukünftigen Philologen Auskunft geben. Somit sieht
es fast so aus, als ob im griechischen Schulunterrichte das bewegende Element
der platteste Formalismus sei.

Noch ein Punkt. Es macht auf Fernerstehende den Eindruck, als ob den
jungen Philologen eine weitumfassende Lektüre nicht mehr ihr nächstes und
wichtigstes Ziel geblieben sei, als ob sich ihre Belesenheit sehr beschränke und,
natürlich zufällig, gerade mit Vorliebe auf solche Schriftsteller, welche beim
Examen besonders berücksichtigt werden. Bei den Staatsprüfungen ist es Sitte
oder Gesetz, nur einige bestimmte Nntvrcn als bekannt vorauszusetzen, und so
verengert sich wie mittels eines Naturgesetzes das Gesichtsfeld der für das
Examen arbeitenden Masse -- denn um nur diese handelt es sich, nicht um
einige vortreffliche Ausnahmen -- in demselben Grade, wie die Traditionen der
Prüfungskommissionen ihnen bekannt werden, trotz aller Einwirkungen ihrer
Lehrer, die nicht müde werden, auf die Lektüre als notwendigste Grundlage
hinzuweisen. Sollte sich hier nicht einwirken lassen, indem man beim Examen
vor allem Velesenheit und immer wieder Belesenheit, also praktische Literatur-
geschichte, vorschriebe und verlangte? Sicherlich würde dann auch auf dem
Ghmnasium vieles besser werden und die Freude am Altertum eher wiederkehren.

Wir sind Freunde, und zwar warme Freunde der klassischen Erziehung.
Wir wünschen, daß das Gymnasium wieder imstande wäre, unsre Jugend mit
Freude an den unvergleichlichen Vorbildern griechischer Kunst zu erfüllen, unsre
heranwachsende Generation wieder zu beleben, nicht, wie uns, zu ermüden.
Weder durch die französische noch selbst durch die englische Literatur läßt Apollo
mit den Musen sich jemals verdrängen. Nur dieser Grund hat uns zu sprechen
bewogen; nicht der Wunsch, den Gegnern neue Waffen in die Hand zu geben.
Deren Zahl wird, wenn es so weitergeht wie bisher, ohnehin bald Legion sein.




Grenzboten IV. 1886. 53

thatsächlich nie vorkommen — nur um die Sattclfestigkcit der Schüler zu
prüfe»; ob aber das Interesse am Altertum damit gefördert wird, wagen wir
doch zu bezweifeln. Und ist es nicht mehr als überflüssig, ist es nicht geradezu
sinnlos, die sogenannte« „Extemporalien," jene sür die Lehrer ja recht bequemen,
für alle etwas langsameren, Zeit brauchenden Schillerköpfe aber geradezu fol¬
ternder und bei allen Schillern ausnahmslos gefürchteten und verhaßten Über-
setzungsiibnugen, mit grammatischen Seltenheiten zu spicken, und nach dem Ausfall
solcher „Extemporalien" dann den Wert eines Schülers zu bemessen? Ja wenn
noch tieferes grammatisches Interesse manche Herren zu solcher Art des Unter¬
richts veranlaßte! Es wäre auch dann noch unrecht, aber doch erklärlich. Wir
fürchten indes, daß nicht einmal grammatisches Interesse die wahre Triebfeder
für eine solche „Einführung in den Geist des klassischen Altertums" ist. Die Pro¬
fessoren der vergleichenden Sprachwissenschaft an unsern Universitäten, die manch¬
mal kaum ein halbes Dutzend Zuhörer haben, könnten vielleicht über die gram¬
matischen Interessen der zukünftigen Philologen Auskunft geben. Somit sieht
es fast so aus, als ob im griechischen Schulunterrichte das bewegende Element
der platteste Formalismus sei.

Noch ein Punkt. Es macht auf Fernerstehende den Eindruck, als ob den
jungen Philologen eine weitumfassende Lektüre nicht mehr ihr nächstes und
wichtigstes Ziel geblieben sei, als ob sich ihre Belesenheit sehr beschränke und,
natürlich zufällig, gerade mit Vorliebe auf solche Schriftsteller, welche beim
Examen besonders berücksichtigt werden. Bei den Staatsprüfungen ist es Sitte
oder Gesetz, nur einige bestimmte Nntvrcn als bekannt vorauszusetzen, und so
verengert sich wie mittels eines Naturgesetzes das Gesichtsfeld der für das
Examen arbeitenden Masse — denn um nur diese handelt es sich, nicht um
einige vortreffliche Ausnahmen — in demselben Grade, wie die Traditionen der
Prüfungskommissionen ihnen bekannt werden, trotz aller Einwirkungen ihrer
Lehrer, die nicht müde werden, auf die Lektüre als notwendigste Grundlage
hinzuweisen. Sollte sich hier nicht einwirken lassen, indem man beim Examen
vor allem Velesenheit und immer wieder Belesenheit, also praktische Literatur-
geschichte, vorschriebe und verlangte? Sicherlich würde dann auch auf dem
Ghmnasium vieles besser werden und die Freude am Altertum eher wiederkehren.

Wir sind Freunde, und zwar warme Freunde der klassischen Erziehung.
Wir wünschen, daß das Gymnasium wieder imstande wäre, unsre Jugend mit
Freude an den unvergleichlichen Vorbildern griechischer Kunst zu erfüllen, unsre
heranwachsende Generation wieder zu beleben, nicht, wie uns, zu ermüden.
Weder durch die französische noch selbst durch die englische Literatur läßt Apollo
mit den Musen sich jemals verdrängen. Nur dieser Grund hat uns zu sprechen
bewogen; nicht der Wunsch, den Gegnern neue Waffen in die Hand zu geben.
Deren Zahl wird, wenn es so weitergeht wie bisher, ohnehin bald Legion sein.




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[0425] thatsächlich nie vorkommen — nur um die Sattclfestigkcit der Schüler zu prüfe»; ob aber das Interesse am Altertum damit gefördert wird, wagen wir doch zu bezweifeln. Und ist es nicht mehr als überflüssig, ist es nicht geradezu sinnlos, die sogenannte« „Extemporalien," jene sür die Lehrer ja recht bequemen, für alle etwas langsameren, Zeit brauchenden Schillerköpfe aber geradezu fol¬ ternder und bei allen Schillern ausnahmslos gefürchteten und verhaßten Über- setzungsiibnugen, mit grammatischen Seltenheiten zu spicken, und nach dem Ausfall solcher „Extemporalien" dann den Wert eines Schülers zu bemessen? Ja wenn noch tieferes grammatisches Interesse manche Herren zu solcher Art des Unter¬ richts veranlaßte! Es wäre auch dann noch unrecht, aber doch erklärlich. Wir fürchten indes, daß nicht einmal grammatisches Interesse die wahre Triebfeder für eine solche „Einführung in den Geist des klassischen Altertums" ist. Die Pro¬ fessoren der vergleichenden Sprachwissenschaft an unsern Universitäten, die manch¬ mal kaum ein halbes Dutzend Zuhörer haben, könnten vielleicht über die gram¬ matischen Interessen der zukünftigen Philologen Auskunft geben. Somit sieht es fast so aus, als ob im griechischen Schulunterrichte das bewegende Element der platteste Formalismus sei. Noch ein Punkt. Es macht auf Fernerstehende den Eindruck, als ob den jungen Philologen eine weitumfassende Lektüre nicht mehr ihr nächstes und wichtigstes Ziel geblieben sei, als ob sich ihre Belesenheit sehr beschränke und, natürlich zufällig, gerade mit Vorliebe auf solche Schriftsteller, welche beim Examen besonders berücksichtigt werden. Bei den Staatsprüfungen ist es Sitte oder Gesetz, nur einige bestimmte Nntvrcn als bekannt vorauszusetzen, und so verengert sich wie mittels eines Naturgesetzes das Gesichtsfeld der für das Examen arbeitenden Masse — denn um nur diese handelt es sich, nicht um einige vortreffliche Ausnahmen — in demselben Grade, wie die Traditionen der Prüfungskommissionen ihnen bekannt werden, trotz aller Einwirkungen ihrer Lehrer, die nicht müde werden, auf die Lektüre als notwendigste Grundlage hinzuweisen. Sollte sich hier nicht einwirken lassen, indem man beim Examen vor allem Velesenheit und immer wieder Belesenheit, also praktische Literatur- geschichte, vorschriebe und verlangte? Sicherlich würde dann auch auf dem Ghmnasium vieles besser werden und die Freude am Altertum eher wiederkehren. Wir sind Freunde, und zwar warme Freunde der klassischen Erziehung. Wir wünschen, daß das Gymnasium wieder imstande wäre, unsre Jugend mit Freude an den unvergleichlichen Vorbildern griechischer Kunst zu erfüllen, unsre heranwachsende Generation wieder zu beleben, nicht, wie uns, zu ermüden. Weder durch die französische noch selbst durch die englische Literatur läßt Apollo mit den Musen sich jemals verdrängen. Nur dieser Grund hat uns zu sprechen bewogen; nicht der Wunsch, den Gegnern neue Waffen in die Hand zu geben. Deren Zahl wird, wenn es so weitergeht wie bisher, ohnehin bald Legion sein. Grenzboten IV. 1886. 53

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/425>, abgerufen am 27.09.2024.