Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Deutsche Sorgen in Österreich.

ein Lehm der letzteren. Eine Reaktion gegen die Fremden führte zu Massen¬
mörder und gewaltsamer Vertreibung eines Teiles derselben. Sobald aber der
Nachfolger Heinrichs III. auf die unhaltbare Lehnsherrlichkeit verzichtet hatte,
besserte sich das Verhältnis Deutschlands zum Reiche der arpadischen Herrscher
allmählich wieder, und vom Beginne des zwölften Jahrhunderts an standen
beide politisch und sozial in durchaus freuudnachbarlichen Beziehungen zu ein¬
ander. Unter König Geisa II. begann eine planmäßige Besiedelung weiter
ungarischer Landschaften mit deutschen Elementen. Unter Bela IV. wurde die¬
selbe, nachdem der Mongvlensturm von 1240 bis 1242 sie unterbrochen und
breite Strecken des Landes entvölkert und verwüstet hatte, mit Eifer wieder
aufgenommen, und es entstanden die großen deutschen Kolonien in den ober-
ungarischen Vergdistrikten, in der Zips und in Siebenbürgen, die meist durch
Einwanderung aus Niederdeutschland sich bildete". Die Könige verliehen ihren
neuen Unterthauen wertvolle Rechte und gewährten ihnen namentlich vollständigen
Schutz ihrer Sprache und Sitte. Dafür statteten sie ihnen aber auch durch
ihre Leistungen reichlichen Dank ab. In Ungarn wie in Siebenbürgen ver¬
wandelten sie Einöden in blühende Gefilde, gründeten sie Städte und Märkte,
bauten sie feste Burgen. Durch sie wuchs der Wohlstand des Landes, durch
sie bekam es die ersten Schulen, in ihnen fand das Königtum feste Stützen
gegenüber der oft unbotmäßigen Aristokratie. Der vielgefeierte Geschichtschreiber
Hnnfalvy, allerdings seiner Herkunft nach ein Deutscher, dessen Väter den Namen
Hundsdorfer getragen hatten, aber in seiner Gesinnung und Darstellung sonst
parteiischer als die ärgsten Vollblutmagharen, erkennt jene Leistungen um, wenn
er schreibt: "Die Magynreu errichteten in Ungarn den Staat, die Deutschen
schufen die Städte; wie jene die Hcinptfaktorcn in der Besitznahme und Ver¬
teidigung des Landes Ware" und es bis heute sind, so sind diese die Haupt¬
faktoren in der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft und Industrie." Die
Geschichte des Deutschtums in den Landen der Stephanskrone ist die Geschichte
des Stüdtewesens und Bürgertums, der gewerblichen Thätigkeit, des Handels
und des Bergbaues in denselben. Städte mit ungemischt magyarischer oder
slawischer Bevölkerung kommen hier im Mittelalter kaum vor, und selbst solche,
die später vorwiegend magyarisch erscheinen, dankten ihre Entstehung und erste
Einrichtung deutschen Händen und folgten in ihren Rechten deutschen Mustern.
Zahlreiche ungarische Orte, darunter Pest, waren noch zu Anfang des vierzehnten
Jahrhunderts rein deutsch, und in vielen andern nahmen die Deutschen die erste
Stelle ein und genossen besondre Privilegien. In Ofen konnte von 1249 bis
1439 zum Stadtrichter nur ein solcher gewühlt werden, der von vier Ahnen
her ein Deutscher war, desgleichen mußten der Natsschreiber und zehn von den
zwölf Ratsherren dieser Nationalität angehören. Auf dem "Königsboten"
Siebenbürgens, wo sich schon früh Städte erhoben hatten -- Hermannstadt 1160,
Schäßburg 1168, Klausenburg 1178, Kronstäbe 1203, Bistritz 1206 -, konnten


Deutsche Sorgen in Österreich.

ein Lehm der letzteren. Eine Reaktion gegen die Fremden führte zu Massen¬
mörder und gewaltsamer Vertreibung eines Teiles derselben. Sobald aber der
Nachfolger Heinrichs III. auf die unhaltbare Lehnsherrlichkeit verzichtet hatte,
besserte sich das Verhältnis Deutschlands zum Reiche der arpadischen Herrscher
allmählich wieder, und vom Beginne des zwölften Jahrhunderts an standen
beide politisch und sozial in durchaus freuudnachbarlichen Beziehungen zu ein¬
ander. Unter König Geisa II. begann eine planmäßige Besiedelung weiter
ungarischer Landschaften mit deutschen Elementen. Unter Bela IV. wurde die¬
selbe, nachdem der Mongvlensturm von 1240 bis 1242 sie unterbrochen und
breite Strecken des Landes entvölkert und verwüstet hatte, mit Eifer wieder
aufgenommen, und es entstanden die großen deutschen Kolonien in den ober-
ungarischen Vergdistrikten, in der Zips und in Siebenbürgen, die meist durch
Einwanderung aus Niederdeutschland sich bildete». Die Könige verliehen ihren
neuen Unterthauen wertvolle Rechte und gewährten ihnen namentlich vollständigen
Schutz ihrer Sprache und Sitte. Dafür statteten sie ihnen aber auch durch
ihre Leistungen reichlichen Dank ab. In Ungarn wie in Siebenbürgen ver¬
wandelten sie Einöden in blühende Gefilde, gründeten sie Städte und Märkte,
bauten sie feste Burgen. Durch sie wuchs der Wohlstand des Landes, durch
sie bekam es die ersten Schulen, in ihnen fand das Königtum feste Stützen
gegenüber der oft unbotmäßigen Aristokratie. Der vielgefeierte Geschichtschreiber
Hnnfalvy, allerdings seiner Herkunft nach ein Deutscher, dessen Väter den Namen
Hundsdorfer getragen hatten, aber in seiner Gesinnung und Darstellung sonst
parteiischer als die ärgsten Vollblutmagharen, erkennt jene Leistungen um, wenn
er schreibt: „Die Magynreu errichteten in Ungarn den Staat, die Deutschen
schufen die Städte; wie jene die Hcinptfaktorcn in der Besitznahme und Ver¬
teidigung des Landes Ware» und es bis heute sind, so sind diese die Haupt¬
faktoren in der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft und Industrie." Die
Geschichte des Deutschtums in den Landen der Stephanskrone ist die Geschichte
des Stüdtewesens und Bürgertums, der gewerblichen Thätigkeit, des Handels
und des Bergbaues in denselben. Städte mit ungemischt magyarischer oder
slawischer Bevölkerung kommen hier im Mittelalter kaum vor, und selbst solche,
die später vorwiegend magyarisch erscheinen, dankten ihre Entstehung und erste
Einrichtung deutschen Händen und folgten in ihren Rechten deutschen Mustern.
Zahlreiche ungarische Orte, darunter Pest, waren noch zu Anfang des vierzehnten
Jahrhunderts rein deutsch, und in vielen andern nahmen die Deutschen die erste
Stelle ein und genossen besondre Privilegien. In Ofen konnte von 1249 bis
1439 zum Stadtrichter nur ein solcher gewühlt werden, der von vier Ahnen
her ein Deutscher war, desgleichen mußten der Natsschreiber und zehn von den
zwölf Ratsherren dieser Nationalität angehören. Auf dem „Königsboten"
Siebenbürgens, wo sich schon früh Städte erhoben hatten — Hermannstadt 1160,
Schäßburg 1168, Klausenburg 1178, Kronstäbe 1203, Bistritz 1206 -, konnten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0414" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199768"/>
          <fw type="header" place="top"> Deutsche Sorgen in Österreich.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1725" prev="#ID_1724" next="#ID_1726"> ein Lehm der letzteren. Eine Reaktion gegen die Fremden führte zu Massen¬<lb/>
mörder und gewaltsamer Vertreibung eines Teiles derselben. Sobald aber der<lb/>
Nachfolger Heinrichs III. auf die unhaltbare Lehnsherrlichkeit verzichtet hatte,<lb/>
besserte sich das Verhältnis Deutschlands zum Reiche der arpadischen Herrscher<lb/>
allmählich wieder, und vom Beginne des zwölften Jahrhunderts an standen<lb/>
beide politisch und sozial in durchaus freuudnachbarlichen Beziehungen zu ein¬<lb/>
ander. Unter König Geisa II. begann eine planmäßige Besiedelung weiter<lb/>
ungarischer Landschaften mit deutschen Elementen. Unter Bela IV. wurde die¬<lb/>
selbe, nachdem der Mongvlensturm von 1240 bis 1242 sie unterbrochen und<lb/>
breite Strecken des Landes entvölkert und verwüstet hatte, mit Eifer wieder<lb/>
aufgenommen, und es entstanden die großen deutschen Kolonien in den ober-<lb/>
ungarischen Vergdistrikten, in der Zips und in Siebenbürgen, die meist durch<lb/>
Einwanderung aus Niederdeutschland sich bildete». Die Könige verliehen ihren<lb/>
neuen Unterthauen wertvolle Rechte und gewährten ihnen namentlich vollständigen<lb/>
Schutz ihrer Sprache und Sitte. Dafür statteten sie ihnen aber auch durch<lb/>
ihre Leistungen reichlichen Dank ab. In Ungarn wie in Siebenbürgen ver¬<lb/>
wandelten sie Einöden in blühende Gefilde, gründeten sie Städte und Märkte,<lb/>
bauten sie feste Burgen. Durch sie wuchs der Wohlstand des Landes, durch<lb/>
sie bekam es die ersten Schulen, in ihnen fand das Königtum feste Stützen<lb/>
gegenüber der oft unbotmäßigen Aristokratie. Der vielgefeierte Geschichtschreiber<lb/>
Hnnfalvy, allerdings seiner Herkunft nach ein Deutscher, dessen Väter den Namen<lb/>
Hundsdorfer getragen hatten, aber in seiner Gesinnung und Darstellung sonst<lb/>
parteiischer als die ärgsten Vollblutmagharen, erkennt jene Leistungen um, wenn<lb/>
er schreibt: &#x201E;Die Magynreu errichteten in Ungarn den Staat, die Deutschen<lb/>
schufen die Städte; wie jene die Hcinptfaktorcn in der Besitznahme und Ver¬<lb/>
teidigung des Landes Ware» und es bis heute sind, so sind diese die Haupt¬<lb/>
faktoren in der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft und Industrie." Die<lb/>
Geschichte des Deutschtums in den Landen der Stephanskrone ist die Geschichte<lb/>
des Stüdtewesens und Bürgertums, der gewerblichen Thätigkeit, des Handels<lb/>
und des Bergbaues in denselben. Städte mit ungemischt magyarischer oder<lb/>
slawischer Bevölkerung kommen hier im Mittelalter kaum vor, und selbst solche,<lb/>
die später vorwiegend magyarisch erscheinen, dankten ihre Entstehung und erste<lb/>
Einrichtung deutschen Händen und folgten in ihren Rechten deutschen Mustern.<lb/>
Zahlreiche ungarische Orte, darunter Pest, waren noch zu Anfang des vierzehnten<lb/>
Jahrhunderts rein deutsch, und in vielen andern nahmen die Deutschen die erste<lb/>
Stelle ein und genossen besondre Privilegien. In Ofen konnte von 1249 bis<lb/>
1439 zum Stadtrichter nur ein solcher gewühlt werden, der von vier Ahnen<lb/>
her ein Deutscher war, desgleichen mußten der Natsschreiber und zehn von den<lb/>
zwölf Ratsherren dieser Nationalität angehören. Auf dem &#x201E;Königsboten"<lb/>
Siebenbürgens, wo sich schon früh Städte erhoben hatten &#x2014; Hermannstadt 1160,<lb/>
Schäßburg 1168, Klausenburg 1178, Kronstäbe 1203, Bistritz 1206 -, konnten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0414] Deutsche Sorgen in Österreich. ein Lehm der letzteren. Eine Reaktion gegen die Fremden führte zu Massen¬ mörder und gewaltsamer Vertreibung eines Teiles derselben. Sobald aber der Nachfolger Heinrichs III. auf die unhaltbare Lehnsherrlichkeit verzichtet hatte, besserte sich das Verhältnis Deutschlands zum Reiche der arpadischen Herrscher allmählich wieder, und vom Beginne des zwölften Jahrhunderts an standen beide politisch und sozial in durchaus freuudnachbarlichen Beziehungen zu ein¬ ander. Unter König Geisa II. begann eine planmäßige Besiedelung weiter ungarischer Landschaften mit deutschen Elementen. Unter Bela IV. wurde die¬ selbe, nachdem der Mongvlensturm von 1240 bis 1242 sie unterbrochen und breite Strecken des Landes entvölkert und verwüstet hatte, mit Eifer wieder aufgenommen, und es entstanden die großen deutschen Kolonien in den ober- ungarischen Vergdistrikten, in der Zips und in Siebenbürgen, die meist durch Einwanderung aus Niederdeutschland sich bildete». Die Könige verliehen ihren neuen Unterthauen wertvolle Rechte und gewährten ihnen namentlich vollständigen Schutz ihrer Sprache und Sitte. Dafür statteten sie ihnen aber auch durch ihre Leistungen reichlichen Dank ab. In Ungarn wie in Siebenbürgen ver¬ wandelten sie Einöden in blühende Gefilde, gründeten sie Städte und Märkte, bauten sie feste Burgen. Durch sie wuchs der Wohlstand des Landes, durch sie bekam es die ersten Schulen, in ihnen fand das Königtum feste Stützen gegenüber der oft unbotmäßigen Aristokratie. Der vielgefeierte Geschichtschreiber Hnnfalvy, allerdings seiner Herkunft nach ein Deutscher, dessen Väter den Namen Hundsdorfer getragen hatten, aber in seiner Gesinnung und Darstellung sonst parteiischer als die ärgsten Vollblutmagharen, erkennt jene Leistungen um, wenn er schreibt: „Die Magynreu errichteten in Ungarn den Staat, die Deutschen schufen die Städte; wie jene die Hcinptfaktorcn in der Besitznahme und Ver¬ teidigung des Landes Ware» und es bis heute sind, so sind diese die Haupt¬ faktoren in der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft und Industrie." Die Geschichte des Deutschtums in den Landen der Stephanskrone ist die Geschichte des Stüdtewesens und Bürgertums, der gewerblichen Thätigkeit, des Handels und des Bergbaues in denselben. Städte mit ungemischt magyarischer oder slawischer Bevölkerung kommen hier im Mittelalter kaum vor, und selbst solche, die später vorwiegend magyarisch erscheinen, dankten ihre Entstehung und erste Einrichtung deutschen Händen und folgten in ihren Rechten deutschen Mustern. Zahlreiche ungarische Orte, darunter Pest, waren noch zu Anfang des vierzehnten Jahrhunderts rein deutsch, und in vielen andern nahmen die Deutschen die erste Stelle ein und genossen besondre Privilegien. In Ofen konnte von 1249 bis 1439 zum Stadtrichter nur ein solcher gewühlt werden, der von vier Ahnen her ein Deutscher war, desgleichen mußten der Natsschreiber und zehn von den zwölf Ratsherren dieser Nationalität angehören. Auf dem „Königsboten" Siebenbürgens, wo sich schon früh Städte erhoben hatten — Hermannstadt 1160, Schäßburg 1168, Klausenburg 1178, Kronstäbe 1203, Bistritz 1206 -, konnten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/414
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/414>, abgerufen am 27.09.2024.