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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Deutsche Sorgen in Österreich.

Sudetenländern. Auch die Germanisirung, welche Maria Theresia und Josef II.
versuchten, hatte nur den Zweck, die Habsburgischen Länder durch eine gemein¬
same Sprache enger miteinander zu verbinden. Die Negierung der Kaiserin
wollte dahin wirken, "daß der deutschen Sprache durch die Schule der Weg
in die Behörden und Ämter, in den öffentlichen Verkehr, in das Haus der
höhern Stände gebahnt werde," und sie erließ eine Verordnung, in der es hieß:
"Nur diejenigen dürfen in ein Gymnasium aufgenommen werden, welche der
deutschen Sprache mächtig sind/' "Das Deutsche -- erklärte Josef in einem
Schreiben vom 15. Dezember 1782 -- ist die wahre Landes- und Muttersprache
und wird auch von den Richtern gesprochen." Das war immerhin etwas, wenn
auch nicht viel. Die Sprache ist nicht der Geist, und der deutsche Geist blieb
den böhmischen wie allen österreichischen Schulen fern. Demungeachtet war
in der Zeit des Absolutismus, also bis zur Mitte unsers Jahrhunderts, die
deutsche Sprache die alleinige Unterrichtssprache an den Hoch- und Mittelschulen
der Sndetenländer und fast ausschließlich im Gebrauche bei den Verwaltungs¬
beamten und Gerichten. Ihre Verbreitung aber bedeutete kein Wachsen und
Erstarken des Deutschtums. Die Deutschen fühlten sich nicht so sehr als solche
wie als Böhmen, während unter den Tschechen seit dem Ende des achtzehnten
Jahrhunderts das Bewußtsein ihrer nationalen Eigenart wieder wach geworden
war und von Jahr zu Jahr aggressiver auftrat. Zunächst ließ man es sich
gefallen, daß dentschböhmische Schriftsteller für Böhmen, dessen Naturschönheiten
und dessen Geschichte schwärmten und selbst die Hussiten priesen. Auch als
Gehilfen bei dem Streben nach politischer Freiheit waren die Deutschen eine Zeit¬
lang willkommen. Sobald die Tschechen ihrer nicht mehr zu bedürfen glaubten,
sagten sie sich von ihnen los und traten ihnen mit dem Anspruch gegenüber,
allein Rechte zu besitzen und allein die Geschicke des Landes zu bestimmen.

Wir werden über die Geschichte der Deutschen in Böhmen später aus¬
führlicher berichten. Hier war nur ein kurzer Überblick erforderlich, und so
können wir jetzt zu der dritten Gruppe der Habsburgischen Doppelmonarchie
übergehen. Soweit unsre Kenntnis Ungarns zurückreicht, war dieses Land im
Norden sowie im Nordwesten von germanischen Stämmen bewohnt. Nach den
Markomannenkriegeu, welche der römische Kaiser Marc Aurel in den Jahren
169 bis 180 führte, um das Vordringen der nordischen Völker über die
Grenzen seines Reiches abzuwehren, erscheint das ganze weite Gebiet zwischen
der mittleren Donau und den Karpathen bereits von solchen Stämmen besetzt,
und wir sehen sie von hier aus noch in der zweiten Hälfte des dritten Jahr¬
hunderts Italien bedrohen. Nach dem Verschwinden der Markomannen, in den
ersten Zeiten der Völkerwanderung, machen sich Gothen, Gepiden und Wandalen
hier seßhaft, und ebenso trug das Völkergemisch des Huunenreiches, welches
Attila von den Tiefebenen Ungarns aus begründete, vielfach germanischen
Charakter. Nach dessen Auflösung finden wir hier neben Hernlern und Lemgo-


Deutsche Sorgen in Österreich.

Sudetenländern. Auch die Germanisirung, welche Maria Theresia und Josef II.
versuchten, hatte nur den Zweck, die Habsburgischen Länder durch eine gemein¬
same Sprache enger miteinander zu verbinden. Die Negierung der Kaiserin
wollte dahin wirken, „daß der deutschen Sprache durch die Schule der Weg
in die Behörden und Ämter, in den öffentlichen Verkehr, in das Haus der
höhern Stände gebahnt werde," und sie erließ eine Verordnung, in der es hieß:
„Nur diejenigen dürfen in ein Gymnasium aufgenommen werden, welche der
deutschen Sprache mächtig sind/' „Das Deutsche — erklärte Josef in einem
Schreiben vom 15. Dezember 1782 — ist die wahre Landes- und Muttersprache
und wird auch von den Richtern gesprochen." Das war immerhin etwas, wenn
auch nicht viel. Die Sprache ist nicht der Geist, und der deutsche Geist blieb
den böhmischen wie allen österreichischen Schulen fern. Demungeachtet war
in der Zeit des Absolutismus, also bis zur Mitte unsers Jahrhunderts, die
deutsche Sprache die alleinige Unterrichtssprache an den Hoch- und Mittelschulen
der Sndetenländer und fast ausschließlich im Gebrauche bei den Verwaltungs¬
beamten und Gerichten. Ihre Verbreitung aber bedeutete kein Wachsen und
Erstarken des Deutschtums. Die Deutschen fühlten sich nicht so sehr als solche
wie als Böhmen, während unter den Tschechen seit dem Ende des achtzehnten
Jahrhunderts das Bewußtsein ihrer nationalen Eigenart wieder wach geworden
war und von Jahr zu Jahr aggressiver auftrat. Zunächst ließ man es sich
gefallen, daß dentschböhmische Schriftsteller für Böhmen, dessen Naturschönheiten
und dessen Geschichte schwärmten und selbst die Hussiten priesen. Auch als
Gehilfen bei dem Streben nach politischer Freiheit waren die Deutschen eine Zeit¬
lang willkommen. Sobald die Tschechen ihrer nicht mehr zu bedürfen glaubten,
sagten sie sich von ihnen los und traten ihnen mit dem Anspruch gegenüber,
allein Rechte zu besitzen und allein die Geschicke des Landes zu bestimmen.

Wir werden über die Geschichte der Deutschen in Böhmen später aus¬
führlicher berichten. Hier war nur ein kurzer Überblick erforderlich, und so
können wir jetzt zu der dritten Gruppe der Habsburgischen Doppelmonarchie
übergehen. Soweit unsre Kenntnis Ungarns zurückreicht, war dieses Land im
Norden sowie im Nordwesten von germanischen Stämmen bewohnt. Nach den
Markomannenkriegeu, welche der römische Kaiser Marc Aurel in den Jahren
169 bis 180 führte, um das Vordringen der nordischen Völker über die
Grenzen seines Reiches abzuwehren, erscheint das ganze weite Gebiet zwischen
der mittleren Donau und den Karpathen bereits von solchen Stämmen besetzt,
und wir sehen sie von hier aus noch in der zweiten Hälfte des dritten Jahr¬
hunderts Italien bedrohen. Nach dem Verschwinden der Markomannen, in den
ersten Zeiten der Völkerwanderung, machen sich Gothen, Gepiden und Wandalen
hier seßhaft, und ebenso trug das Völkergemisch des Huunenreiches, welches
Attila von den Tiefebenen Ungarns aus begründete, vielfach germanischen
Charakter. Nach dessen Auflösung finden wir hier neben Hernlern und Lemgo-


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[0412] Deutsche Sorgen in Österreich. Sudetenländern. Auch die Germanisirung, welche Maria Theresia und Josef II. versuchten, hatte nur den Zweck, die Habsburgischen Länder durch eine gemein¬ same Sprache enger miteinander zu verbinden. Die Negierung der Kaiserin wollte dahin wirken, „daß der deutschen Sprache durch die Schule der Weg in die Behörden und Ämter, in den öffentlichen Verkehr, in das Haus der höhern Stände gebahnt werde," und sie erließ eine Verordnung, in der es hieß: „Nur diejenigen dürfen in ein Gymnasium aufgenommen werden, welche der deutschen Sprache mächtig sind/' „Das Deutsche — erklärte Josef in einem Schreiben vom 15. Dezember 1782 — ist die wahre Landes- und Muttersprache und wird auch von den Richtern gesprochen." Das war immerhin etwas, wenn auch nicht viel. Die Sprache ist nicht der Geist, und der deutsche Geist blieb den böhmischen wie allen österreichischen Schulen fern. Demungeachtet war in der Zeit des Absolutismus, also bis zur Mitte unsers Jahrhunderts, die deutsche Sprache die alleinige Unterrichtssprache an den Hoch- und Mittelschulen der Sndetenländer und fast ausschließlich im Gebrauche bei den Verwaltungs¬ beamten und Gerichten. Ihre Verbreitung aber bedeutete kein Wachsen und Erstarken des Deutschtums. Die Deutschen fühlten sich nicht so sehr als solche wie als Böhmen, während unter den Tschechen seit dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts das Bewußtsein ihrer nationalen Eigenart wieder wach geworden war und von Jahr zu Jahr aggressiver auftrat. Zunächst ließ man es sich gefallen, daß dentschböhmische Schriftsteller für Böhmen, dessen Naturschönheiten und dessen Geschichte schwärmten und selbst die Hussiten priesen. Auch als Gehilfen bei dem Streben nach politischer Freiheit waren die Deutschen eine Zeit¬ lang willkommen. Sobald die Tschechen ihrer nicht mehr zu bedürfen glaubten, sagten sie sich von ihnen los und traten ihnen mit dem Anspruch gegenüber, allein Rechte zu besitzen und allein die Geschicke des Landes zu bestimmen. Wir werden über die Geschichte der Deutschen in Böhmen später aus¬ führlicher berichten. Hier war nur ein kurzer Überblick erforderlich, und so können wir jetzt zu der dritten Gruppe der Habsburgischen Doppelmonarchie übergehen. Soweit unsre Kenntnis Ungarns zurückreicht, war dieses Land im Norden sowie im Nordwesten von germanischen Stämmen bewohnt. Nach den Markomannenkriegeu, welche der römische Kaiser Marc Aurel in den Jahren 169 bis 180 führte, um das Vordringen der nordischen Völker über die Grenzen seines Reiches abzuwehren, erscheint das ganze weite Gebiet zwischen der mittleren Donau und den Karpathen bereits von solchen Stämmen besetzt, und wir sehen sie von hier aus noch in der zweiten Hälfte des dritten Jahr¬ hunderts Italien bedrohen. Nach dem Verschwinden der Markomannen, in den ersten Zeiten der Völkerwanderung, machen sich Gothen, Gepiden und Wandalen hier seßhaft, und ebenso trug das Völkergemisch des Huunenreiches, welches Attila von den Tiefebenen Ungarns aus begründete, vielfach germanischen Charakter. Nach dessen Auflösung finden wir hier neben Hernlern und Lemgo-

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Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/412>, abgerufen am 27.09.2024.