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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Zur Lebensbeschreibung Heinrichs von Kleist.

ruhiguug gewinnt, daß sein Glück feststehen werde, weil alle Wünsche, auf deren
Erfüllung das Gebäude ruhen soll, eins mit einander sind. Sie bilden ein
unzerreißbares Ganze, und selbst das Glück der Liebe erscheint ihm nur dann
erstrebenswert, wenn ihm zugleich, als Schlußstein seiner Wünsche, die Freiheit
des dichterischen Schaffens gewährleistet wird. Das Leben in einem Amte ist
ihm der Dichtung Tod, und da ihm ohne die Dichtung das Leben nicht lebens¬
wert erscheint, so ergiebt sich für ihn der Entschluß des Verzichtens ans ein
Amt wie mit innerer Notwendigkeit. Trotzend dem Mißgeschicke, das ihm die
Hoffnung auf den glücklichen Erfolg seines Unternehmens entrissen hat, be¬
schließt er, gehorsam dem nie schlafenden Drange, Dichter zu sein und nur
Dichter -- und den Tag dieses Entschlusses nennt er den "wichtigsten seines
Lebens."

Erfüllt von dichterischen Interessen sahen wir Kleist auf die Reise ziehen,
wir sahen ihn beherrscht von dem einen Gedanken, der über seinem Leben leitend
schwebte, wie der Stern, der den Weisen aus dem Morgenlande auf ihrem
Wege zur Krippe des Messias leuchtete, aber noch sahen wir ihn den heißesten
Wunsch in die Tiefe seines Herzens verschließen. Nun, da er zurückkehrt, hören
wir ihn mutig bekennen, was bisher kein Ohr vernommen hatte. "Ich will
kein Amt nehmen -- schreibt er nach seiner .Heimkehr an die Braut --, ein
eigner Zweck steht mir vor Angen, nach ihm werde ich handeln müssen. Ich
würde die Zeit meinem Amte stehlen, um sie meiner Bildung zu widmen
(das Wort Bildung müssen wir im weitesten Sinne fassen). O wie würde ich
den Orden und die Reichtümer und den ganzen Bettel der großen Welt ver¬
wünschen, wie würde ich bitterlich weinen, meine Bestimmung so unwieder¬
bringlich verfehlt zu haben, wie würde ich mir mit heißer Sehnsucht trocknes
Brot wünschen und mit ihm Liebe, Bildung und Freiheit. . . . Ich bilde mir
ein, daß ich Fähigkeiten habe, seltene Fähigkeiten meine ich. Da stünde mir
nun für die Zukunft das ganze schriftstellerische Fach offen. . . . Ich bin sehr
fest entschlossen, den ganzen Adel von mir abzuwerfen. Viele Männer haben
geringfügig angefangen und königlich ihre Laufbahn beschlossen. Shakespeare
war ein Pferdejunge, und jetzt ist er die Bewunderung der Nachwelt." Mit
einer solchen Siegesgewißheit hatte er noch nie auf seine dichterischen Fähig¬
keiten gepocht, mit einer solchen Festigkeit noch nie seine künftige Bahn sich
vorgezeichnet. Dieses Selbstbewußtsein war die allerwichtigste Errungenschaft
des Aufenthaltes in Würzburg; Kleist hatte in dieser Stadt das Gebiet der
Poesie nicht etwa zum erstenmale betreten oder gar, wie Brechen meint, zum
erstenmale einen Blick in dasselbe gethan; er hatte sich vielmehr anf einem
längst von ihm betretenen Gebiete mit raschen Schritten vorwärts bewegt. Die
Muse war ihm in Würzburg absonderlich hold gewesen.

So erklärt sich auch das mächtige Glücksgefühl, das ihn in Würzburg
emporhebt und das sich nur mit demjenigen vergleichen läßt, welches ihn ergreift,


Zur Lebensbeschreibung Heinrichs von Kleist.

ruhiguug gewinnt, daß sein Glück feststehen werde, weil alle Wünsche, auf deren
Erfüllung das Gebäude ruhen soll, eins mit einander sind. Sie bilden ein
unzerreißbares Ganze, und selbst das Glück der Liebe erscheint ihm nur dann
erstrebenswert, wenn ihm zugleich, als Schlußstein seiner Wünsche, die Freiheit
des dichterischen Schaffens gewährleistet wird. Das Leben in einem Amte ist
ihm der Dichtung Tod, und da ihm ohne die Dichtung das Leben nicht lebens¬
wert erscheint, so ergiebt sich für ihn der Entschluß des Verzichtens ans ein
Amt wie mit innerer Notwendigkeit. Trotzend dem Mißgeschicke, das ihm die
Hoffnung auf den glücklichen Erfolg seines Unternehmens entrissen hat, be¬
schließt er, gehorsam dem nie schlafenden Drange, Dichter zu sein und nur
Dichter — und den Tag dieses Entschlusses nennt er den „wichtigsten seines
Lebens."

Erfüllt von dichterischen Interessen sahen wir Kleist auf die Reise ziehen,
wir sahen ihn beherrscht von dem einen Gedanken, der über seinem Leben leitend
schwebte, wie der Stern, der den Weisen aus dem Morgenlande auf ihrem
Wege zur Krippe des Messias leuchtete, aber noch sahen wir ihn den heißesten
Wunsch in die Tiefe seines Herzens verschließen. Nun, da er zurückkehrt, hören
wir ihn mutig bekennen, was bisher kein Ohr vernommen hatte. „Ich will
kein Amt nehmen — schreibt er nach seiner .Heimkehr an die Braut —, ein
eigner Zweck steht mir vor Angen, nach ihm werde ich handeln müssen. Ich
würde die Zeit meinem Amte stehlen, um sie meiner Bildung zu widmen
(das Wort Bildung müssen wir im weitesten Sinne fassen). O wie würde ich
den Orden und die Reichtümer und den ganzen Bettel der großen Welt ver¬
wünschen, wie würde ich bitterlich weinen, meine Bestimmung so unwieder¬
bringlich verfehlt zu haben, wie würde ich mir mit heißer Sehnsucht trocknes
Brot wünschen und mit ihm Liebe, Bildung und Freiheit. . . . Ich bilde mir
ein, daß ich Fähigkeiten habe, seltene Fähigkeiten meine ich. Da stünde mir
nun für die Zukunft das ganze schriftstellerische Fach offen. . . . Ich bin sehr
fest entschlossen, den ganzen Adel von mir abzuwerfen. Viele Männer haben
geringfügig angefangen und königlich ihre Laufbahn beschlossen. Shakespeare
war ein Pferdejunge, und jetzt ist er die Bewunderung der Nachwelt." Mit
einer solchen Siegesgewißheit hatte er noch nie auf seine dichterischen Fähig¬
keiten gepocht, mit einer solchen Festigkeit noch nie seine künftige Bahn sich
vorgezeichnet. Dieses Selbstbewußtsein war die allerwichtigste Errungenschaft
des Aufenthaltes in Würzburg; Kleist hatte in dieser Stadt das Gebiet der
Poesie nicht etwa zum erstenmale betreten oder gar, wie Brechen meint, zum
erstenmale einen Blick in dasselbe gethan; er hatte sich vielmehr anf einem
längst von ihm betretenen Gebiete mit raschen Schritten vorwärts bewegt. Die
Muse war ihm in Würzburg absonderlich hold gewesen.

So erklärt sich auch das mächtige Glücksgefühl, das ihn in Würzburg
emporhebt und das sich nur mit demjenigen vergleichen läßt, welches ihn ergreift,


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[0388] Zur Lebensbeschreibung Heinrichs von Kleist. ruhiguug gewinnt, daß sein Glück feststehen werde, weil alle Wünsche, auf deren Erfüllung das Gebäude ruhen soll, eins mit einander sind. Sie bilden ein unzerreißbares Ganze, und selbst das Glück der Liebe erscheint ihm nur dann erstrebenswert, wenn ihm zugleich, als Schlußstein seiner Wünsche, die Freiheit des dichterischen Schaffens gewährleistet wird. Das Leben in einem Amte ist ihm der Dichtung Tod, und da ihm ohne die Dichtung das Leben nicht lebens¬ wert erscheint, so ergiebt sich für ihn der Entschluß des Verzichtens ans ein Amt wie mit innerer Notwendigkeit. Trotzend dem Mißgeschicke, das ihm die Hoffnung auf den glücklichen Erfolg seines Unternehmens entrissen hat, be¬ schließt er, gehorsam dem nie schlafenden Drange, Dichter zu sein und nur Dichter — und den Tag dieses Entschlusses nennt er den „wichtigsten seines Lebens." Erfüllt von dichterischen Interessen sahen wir Kleist auf die Reise ziehen, wir sahen ihn beherrscht von dem einen Gedanken, der über seinem Leben leitend schwebte, wie der Stern, der den Weisen aus dem Morgenlande auf ihrem Wege zur Krippe des Messias leuchtete, aber noch sahen wir ihn den heißesten Wunsch in die Tiefe seines Herzens verschließen. Nun, da er zurückkehrt, hören wir ihn mutig bekennen, was bisher kein Ohr vernommen hatte. „Ich will kein Amt nehmen — schreibt er nach seiner .Heimkehr an die Braut —, ein eigner Zweck steht mir vor Angen, nach ihm werde ich handeln müssen. Ich würde die Zeit meinem Amte stehlen, um sie meiner Bildung zu widmen (das Wort Bildung müssen wir im weitesten Sinne fassen). O wie würde ich den Orden und die Reichtümer und den ganzen Bettel der großen Welt ver¬ wünschen, wie würde ich bitterlich weinen, meine Bestimmung so unwieder¬ bringlich verfehlt zu haben, wie würde ich mir mit heißer Sehnsucht trocknes Brot wünschen und mit ihm Liebe, Bildung und Freiheit. . . . Ich bilde mir ein, daß ich Fähigkeiten habe, seltene Fähigkeiten meine ich. Da stünde mir nun für die Zukunft das ganze schriftstellerische Fach offen. . . . Ich bin sehr fest entschlossen, den ganzen Adel von mir abzuwerfen. Viele Männer haben geringfügig angefangen und königlich ihre Laufbahn beschlossen. Shakespeare war ein Pferdejunge, und jetzt ist er die Bewunderung der Nachwelt." Mit einer solchen Siegesgewißheit hatte er noch nie auf seine dichterischen Fähig¬ keiten gepocht, mit einer solchen Festigkeit noch nie seine künftige Bahn sich vorgezeichnet. Dieses Selbstbewußtsein war die allerwichtigste Errungenschaft des Aufenthaltes in Würzburg; Kleist hatte in dieser Stadt das Gebiet der Poesie nicht etwa zum erstenmale betreten oder gar, wie Brechen meint, zum erstenmale einen Blick in dasselbe gethan; er hatte sich vielmehr anf einem längst von ihm betretenen Gebiete mit raschen Schritten vorwärts bewegt. Die Muse war ihm in Würzburg absonderlich hold gewesen. So erklärt sich auch das mächtige Glücksgefühl, das ihn in Würzburg emporhebt und das sich nur mit demjenigen vergleichen läßt, welches ihn ergreift,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/388>, abgerufen am 20.10.2024.