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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Zur Lebensbeschreibung Heinrichs von Aleist.

Fahrt nach Würzburg die Sehnsucht aus, in einem kleinen Hause, fern von
dem Sitze der Menschen, wohnen zu dürfen. Nach seiner Reise durch den
Plauenschen Grund, Anfang September 1800, schreibt er an Wilhelmine: "Da
hängt an dem Einschnitte des Thales, zwischen Felsen und Strom, ein Haus,
eng und einfältig gebant, wie für einen Weisen. Der Hintere Felsen giebt dem
Örtchen Sicherheit, Schatten winken ihm die überhängenden Zweige zu, Kühle
führt ihm die Welle der Weißeritz entgegen. Eng, sagte ich, wäre das Häuschen?
Ja freilich, für Assemblern und Redouten. Aber für zwei Menschen und die
Liebe weit genug, weit hinlänglich genug." Und in demselben Briefe heißt es:
"In dem reizenden Thale von Tharandt war ich unbeschreiblich bewegt. Ich
wünschte recht mit Innigkeit, dich bei mir zu sehen. Solche Thäler, eng und
heimlich, sind das wahre Vaterland der Liebe." Diesen Ton schlägt Kleist noch
öfters an.

Die Vorliebe unsers Dichters für das Leben in der Natur liegt tief in
seinem Wesen; wenn er aber diese Neigung zu dem Plane, Landmann zu werden,
zuspitzt, so werden wir an seinen Widerwillen gegen den Eintritt in ein Amt,
dessen schaffenslähmenden Einfluß er fürchtete, uns zu erinnern und darin den
Ursprung jenes Planes zu suchen haben. Seine "irdische Bestimmung" zu er¬
füllen, seinem "höchsten Zweck" zu entsprechen, sein "wahres Interesse" nicht
aus den Augen zu verlieren, war ja Kleists immer und immer wieder beteuerte
Sorge; und daß er seine "irdische Bestimmung" schon frühzeitig als eine poetische
Sendung auffaßte ist, wie mir scheint, nicht zu bezweifeln.

Daß der Dichter auf der Würzburger Reise in bestimmter Weise den Plan
hegte, Landwirt zu werden, geht aus einer Briefstelle hervor. Sein Begleiter
auf dieser Reise war der mecklenburgische Edelmann von Brotes, der treueste,
uneigennützigste Freund und vielleicht der aufrichtigste Bewunderer, den Kleist
je besessen hat. Brotes, dem sich Kleist vor Beginn der Reise ganz anvertraute,
war auf dessen Bitten sogleich bereit, ihn bei der Ausführung seines Vorhabens
zu unterstützen. Die bewußte Briefstelle in dem Schreiben ans Würzburg vom
20. September 1800 aber lautet: "Ob ich gleich im ganze" die Kosten der
Reise nicht gescheut habe, ja selbst zehnmal so viel und noch mehr ihrem Zwecke
geopfert haben würde, so suchen wir doch im einzelnen unsre Absicht so wohl¬
feil als möglich zu erkaufen. Indessen, ob wir gleich beide die Absicht haben,
zu sparen, so verstehen wir es doch eigentlich nicht, weder Brotes noch ich.
Dazu gehört ein ewiges Abwiegen des Vorteils, eine ewige Aufmerksamkeit aus
das geprägte Metall, die jungen Leuten mit warmem Blute meistens fehlt; be¬
sonders wenn sie auf Reisen das große Gepräge der Natur vor sich sehen.
Indessen jede Keinigkeit, zu sehr verachtet, rächt sich, und daher bin ich doch
fest entschlossen, mich an eine größere Aufmerksamkeit auf das Geld zu gewöhnen.
Recht herzlich lieb ist es mir, an dir ein ordnungsliebendes Mädchen gefunden
zu haben, das auch diese kleine Aufmerksamkeit nicht scheut. Wir beide wollen


Grenzboten IV. 1886. 48
Zur Lebensbeschreibung Heinrichs von Aleist.

Fahrt nach Würzburg die Sehnsucht aus, in einem kleinen Hause, fern von
dem Sitze der Menschen, wohnen zu dürfen. Nach seiner Reise durch den
Plauenschen Grund, Anfang September 1800, schreibt er an Wilhelmine: „Da
hängt an dem Einschnitte des Thales, zwischen Felsen und Strom, ein Haus,
eng und einfältig gebant, wie für einen Weisen. Der Hintere Felsen giebt dem
Örtchen Sicherheit, Schatten winken ihm die überhängenden Zweige zu, Kühle
führt ihm die Welle der Weißeritz entgegen. Eng, sagte ich, wäre das Häuschen?
Ja freilich, für Assemblern und Redouten. Aber für zwei Menschen und die
Liebe weit genug, weit hinlänglich genug." Und in demselben Briefe heißt es:
„In dem reizenden Thale von Tharandt war ich unbeschreiblich bewegt. Ich
wünschte recht mit Innigkeit, dich bei mir zu sehen. Solche Thäler, eng und
heimlich, sind das wahre Vaterland der Liebe." Diesen Ton schlägt Kleist noch
öfters an.

Die Vorliebe unsers Dichters für das Leben in der Natur liegt tief in
seinem Wesen; wenn er aber diese Neigung zu dem Plane, Landmann zu werden,
zuspitzt, so werden wir an seinen Widerwillen gegen den Eintritt in ein Amt,
dessen schaffenslähmenden Einfluß er fürchtete, uns zu erinnern und darin den
Ursprung jenes Planes zu suchen haben. Seine „irdische Bestimmung" zu er¬
füllen, seinem „höchsten Zweck" zu entsprechen, sein „wahres Interesse" nicht
aus den Augen zu verlieren, war ja Kleists immer und immer wieder beteuerte
Sorge; und daß er seine „irdische Bestimmung" schon frühzeitig als eine poetische
Sendung auffaßte ist, wie mir scheint, nicht zu bezweifeln.

Daß der Dichter auf der Würzburger Reise in bestimmter Weise den Plan
hegte, Landwirt zu werden, geht aus einer Briefstelle hervor. Sein Begleiter
auf dieser Reise war der mecklenburgische Edelmann von Brotes, der treueste,
uneigennützigste Freund und vielleicht der aufrichtigste Bewunderer, den Kleist
je besessen hat. Brotes, dem sich Kleist vor Beginn der Reise ganz anvertraute,
war auf dessen Bitten sogleich bereit, ihn bei der Ausführung seines Vorhabens
zu unterstützen. Die bewußte Briefstelle in dem Schreiben ans Würzburg vom
20. September 1800 aber lautet: „Ob ich gleich im ganze» die Kosten der
Reise nicht gescheut habe, ja selbst zehnmal so viel und noch mehr ihrem Zwecke
geopfert haben würde, so suchen wir doch im einzelnen unsre Absicht so wohl¬
feil als möglich zu erkaufen. Indessen, ob wir gleich beide die Absicht haben,
zu sparen, so verstehen wir es doch eigentlich nicht, weder Brotes noch ich.
Dazu gehört ein ewiges Abwiegen des Vorteils, eine ewige Aufmerksamkeit aus
das geprägte Metall, die jungen Leuten mit warmem Blute meistens fehlt; be¬
sonders wenn sie auf Reisen das große Gepräge der Natur vor sich sehen.
Indessen jede Keinigkeit, zu sehr verachtet, rächt sich, und daher bin ich doch
fest entschlossen, mich an eine größere Aufmerksamkeit auf das Geld zu gewöhnen.
Recht herzlich lieb ist es mir, an dir ein ordnungsliebendes Mädchen gefunden
zu haben, das auch diese kleine Aufmerksamkeit nicht scheut. Wir beide wollen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/385>, abgerufen am 20.10.2024.