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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Zur Lebensbeschreibung Heinrichs von Aleist.

zu passen. . . . Unter diesen Umständen in mein Vaterland zurückzukehren, kann
unmöglich ratsam sein. Ja, wenn ich mich über alle Urteile hinwegsetzen könnte,
wenn mir ein grünes Häuschen bescheert wäre, das mich und dich empfinge!
Du wirst mich wegen dieser Abhängigkeit von dem Urteile andrer schwach
nennen, und ich muß dir darin Recht geben, so unangenehm mir das Gefühl
auch ist. Ich selbst habe freilich durch einige seltsame Schritte die Erwartung
der Meuschen gereizt. Was soll ich uun antworten, wenn sie die Erfüllung
von mir fordern? Und warum soll ich denn gerade ihre Erwartung erfüllen?
O es ist mir zur Last! ... Nahrungssorgen für mich allein sind es doch nicht
eigentlich, die mich so sehr ängstigen, denn wenn ich mich an das Bücher¬
schreiben machen wollte, so könnte ich mehr, als ich bedarf, verdienen. Aber
Bücherschreiben für Geld -- o nichts davon! Ich habe mir in einsamer
Stunde ein Ideal ausgearbeitet; aber ich begreife nicht, wie ein Dichter das
Lied seiner Liebe einem so rohen Haufen, wie die Menschen sind, übergeben
kann. Bastard nennen sie es. Dich wollte ich wohl in das Gewölbe führen,
wo ich mein Kind, wie eine vestalische Priesterin das ihrige, feierlich aufbewahre
bei dem Scheine der Lampe. Also aus diesem Erwerbszweige wird nichts. Ich
verachte ihn aus vielen Gründen. . . . Ein Ausweg bleibt mir übrig, zu dem
mich zugleich Neigung und Notwendigkeit führen. . . . Was meinst du, Wil¬
helmine, ich habe noch etwas von meinem Vermögen, wenig zwar, doch wird
es hinreichen, mir etwa in der Schweiz einen Bauerhof zu kaufen, der mich
ernähren kann, wenn ich selbst arbeite?" Und nun setzt er, in diesem und in
den beiden folgenden Briefen, der Braut auseinander, wie er sich den Plan
denkt. Diese Briefe siud, abgesehen von dem Abschiedsbriefe, die letzten, welche
Kleist an seine Braut geschrieben hat. Wir wissen, daß er in dem ersten Briefe
an Wilhelmine die Ökonomie als die "große Kunst" bezeichnet hatte, die ihm,
wenn er sie sich aneignen könnte, gestatten würde, als ein freier Mensch seinem
"höchsten Zwecke" und seiner Liebe zu leben. So sehen wir, daß der Gedanke
Kleists, in der Landwirtschaft den nährenden und doch nicht beengenden Beruf
zu finden, während der ganzen Dauer der Verlobung ihm nahe gestanden hat.

Ein stiller ländlicher Wohnsitz, fernab vom Weltgetriebe, war immer Kleists
Ideal. Schon die Verse des Fünfzehnjähriger gelten dem Lobe des Alleinseins
in der Natur. Der idyllischen Laube im Zengcschen Garten in Frankfurt a. O.,
wo er mit der Braut und deren Schwestern schöne Stunden verlebt hat, be¬
wahrt Heinrich stets ein liebendes Angedenken. Gegen das Leben in einer
Großstadt hegt er entschiedene Abneigung. "Je öfter ich Berlin sehe -- schreibt
er an die Braut --, je gewisser wird es mir, daß diese Stadt, sowie alle
Residenzen und Hauptstädte, kein eigentlicher Aufenthalt für die Liebe ist. Die
Menge von Erscheinungen stört das Herz in seinen Genüssen, man gewöhnt
sich endlich, in ein so vielfaches, eitles Interesse einzugreifen, und verliert am
Ende sein wahres aus den Augen." Mehrmals spricht Kleist während der


Zur Lebensbeschreibung Heinrichs von Aleist.

zu passen. . . . Unter diesen Umständen in mein Vaterland zurückzukehren, kann
unmöglich ratsam sein. Ja, wenn ich mich über alle Urteile hinwegsetzen könnte,
wenn mir ein grünes Häuschen bescheert wäre, das mich und dich empfinge!
Du wirst mich wegen dieser Abhängigkeit von dem Urteile andrer schwach
nennen, und ich muß dir darin Recht geben, so unangenehm mir das Gefühl
auch ist. Ich selbst habe freilich durch einige seltsame Schritte die Erwartung
der Meuschen gereizt. Was soll ich uun antworten, wenn sie die Erfüllung
von mir fordern? Und warum soll ich denn gerade ihre Erwartung erfüllen?
O es ist mir zur Last! ... Nahrungssorgen für mich allein sind es doch nicht
eigentlich, die mich so sehr ängstigen, denn wenn ich mich an das Bücher¬
schreiben machen wollte, so könnte ich mehr, als ich bedarf, verdienen. Aber
Bücherschreiben für Geld — o nichts davon! Ich habe mir in einsamer
Stunde ein Ideal ausgearbeitet; aber ich begreife nicht, wie ein Dichter das
Lied seiner Liebe einem so rohen Haufen, wie die Menschen sind, übergeben
kann. Bastard nennen sie es. Dich wollte ich wohl in das Gewölbe führen,
wo ich mein Kind, wie eine vestalische Priesterin das ihrige, feierlich aufbewahre
bei dem Scheine der Lampe. Also aus diesem Erwerbszweige wird nichts. Ich
verachte ihn aus vielen Gründen. . . . Ein Ausweg bleibt mir übrig, zu dem
mich zugleich Neigung und Notwendigkeit führen. . . . Was meinst du, Wil¬
helmine, ich habe noch etwas von meinem Vermögen, wenig zwar, doch wird
es hinreichen, mir etwa in der Schweiz einen Bauerhof zu kaufen, der mich
ernähren kann, wenn ich selbst arbeite?" Und nun setzt er, in diesem und in
den beiden folgenden Briefen, der Braut auseinander, wie er sich den Plan
denkt. Diese Briefe siud, abgesehen von dem Abschiedsbriefe, die letzten, welche
Kleist an seine Braut geschrieben hat. Wir wissen, daß er in dem ersten Briefe
an Wilhelmine die Ökonomie als die „große Kunst" bezeichnet hatte, die ihm,
wenn er sie sich aneignen könnte, gestatten würde, als ein freier Mensch seinem
„höchsten Zwecke" und seiner Liebe zu leben. So sehen wir, daß der Gedanke
Kleists, in der Landwirtschaft den nährenden und doch nicht beengenden Beruf
zu finden, während der ganzen Dauer der Verlobung ihm nahe gestanden hat.

Ein stiller ländlicher Wohnsitz, fernab vom Weltgetriebe, war immer Kleists
Ideal. Schon die Verse des Fünfzehnjähriger gelten dem Lobe des Alleinseins
in der Natur. Der idyllischen Laube im Zengcschen Garten in Frankfurt a. O.,
wo er mit der Braut und deren Schwestern schöne Stunden verlebt hat, be¬
wahrt Heinrich stets ein liebendes Angedenken. Gegen das Leben in einer
Großstadt hegt er entschiedene Abneigung. „Je öfter ich Berlin sehe — schreibt
er an die Braut —, je gewisser wird es mir, daß diese Stadt, sowie alle
Residenzen und Hauptstädte, kein eigentlicher Aufenthalt für die Liebe ist. Die
Menge von Erscheinungen stört das Herz in seinen Genüssen, man gewöhnt
sich endlich, in ein so vielfaches, eitles Interesse einzugreifen, und verliert am
Ende sein wahres aus den Augen." Mehrmals spricht Kleist während der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/384>, abgerufen am 20.10.2024.