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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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sprechen. Man kann ihren Standpunkt begreifen, obwohl der phrasenhafte
Liberalismus der Jnngtschcchen gewiß seltsamere Blüten treibt als der deutsche
auch in seinen schlimmsten Jahren, und die sind -- in Osterreich wenigstens --
vorbei.

Aber kehren wir in unser Städtchen zurück. Der jetzige Besitzer des großen
Gebietes, in welchem es nur eine Enklave bildet, gehört der föderalistischen
Partei an, stimmt also in den wichtigsten Fragen mit den Tschechisch-nationalen,
Um nun die deutscheu Bauern des Böhmerwaldcs einigermaßen aus der Wirt-
schaftlichen Abhängigkeit, in der sie sich dem Fürsten gegenüber befinden, zu
lösen, hat sich vor mehreren Jahren ein Verein gebildet, der mit beschränkten
Mitteln schon Ersprießliches geleistet hat. Der Hauptsitz dieses deutscheu "Vöhmer-
waldbuudes" -- denn es giebt auch einen tschechischen, obwohl im eigentlichen
Gebirge, mit Ausnahme der Freibauern von Stachan, gar keine Tschechen
wohnen -- ist Budweis; ein wichtiger Vorort ist auch unser Städtchen, Der
Verein ist zunächst darauf bedacht, den Bildungsstand und die ökonomischen
Verhältnisse der Bevölkerung zu heben. Denn der Fürst macht in neuester Zeit
die Unterstützung der Bauernschaften von ihrer politischen Haltung abhängig,
und im vorigen Jahre geschah es, daß der Gemeinde von Kalsching der Zucht¬
stier, den sie sonst von der herrschaftlichen Verwaltung zu entlehnen Pflegte,
versagt wurde, weil sie -- bei deu Neichsrcttswahlen ihre Stimme einem Kan¬
didaten der deutschen Partei gegeben hatte. Ein solches Argument wirkt aber
bei armen Gemeinden sehr, und viele lassen es sich gesagt sein. Dazu kommt
die alte Anhänglichkeit der konservativen Bauernschaft an ein Geschlecht, dem
sie bis vor einem Menschenalter unterthänig war und das ihr länger als ein
Jahrhundert hindurch nur Gutes erwiesen hat. Aber die Kämpfe der letzten
Jahre haben doch auch den nationalen Sinn in diesen Bergen erweckt und ge¬
kräftigt, und so ist ein Widerstreit der Interessen unvermeidlich geworden, der
keinem Teile zum Vorteil gereichen wird. Gerade hier kann heute der konser¬
vativen Sache nur gedient werden, wenn sie sich nicht als Gegnerin des Volks-
tums zeigt, wenn sie aufhört, das Vordringen des Slawentums gegen Süden
und Westen auf jede Art zu begünstigen. Schon weiß der Bauer auch des
abgelegensten Dorfes, um was es sich handelt, und wenn ihm heute noch des
Lebens Not so manches Zugeständnis abzwingt, der Tag dürfte bald kommen,
wo er dem anstürmenden Gegner ein selbstbewußtes: "Dies ist unser!" eutgcgen-
rufeu wird. Und das wird zum guten Teile auch das Verdienst der tüchtigen
Bürgerschaft sein, von deren Leben nud Treiben wir hier ein flüchtiges Bild
zu zeichnen unternommen haben.




sprechen. Man kann ihren Standpunkt begreifen, obwohl der phrasenhafte
Liberalismus der Jnngtschcchen gewiß seltsamere Blüten treibt als der deutsche
auch in seinen schlimmsten Jahren, und die sind — in Osterreich wenigstens —
vorbei.

Aber kehren wir in unser Städtchen zurück. Der jetzige Besitzer des großen
Gebietes, in welchem es nur eine Enklave bildet, gehört der föderalistischen
Partei an, stimmt also in den wichtigsten Fragen mit den Tschechisch-nationalen,
Um nun die deutscheu Bauern des Böhmerwaldcs einigermaßen aus der Wirt-
schaftlichen Abhängigkeit, in der sie sich dem Fürsten gegenüber befinden, zu
lösen, hat sich vor mehreren Jahren ein Verein gebildet, der mit beschränkten
Mitteln schon Ersprießliches geleistet hat. Der Hauptsitz dieses deutscheu „Vöhmer-
waldbuudes" — denn es giebt auch einen tschechischen, obwohl im eigentlichen
Gebirge, mit Ausnahme der Freibauern von Stachan, gar keine Tschechen
wohnen — ist Budweis; ein wichtiger Vorort ist auch unser Städtchen, Der
Verein ist zunächst darauf bedacht, den Bildungsstand und die ökonomischen
Verhältnisse der Bevölkerung zu heben. Denn der Fürst macht in neuester Zeit
die Unterstützung der Bauernschaften von ihrer politischen Haltung abhängig,
und im vorigen Jahre geschah es, daß der Gemeinde von Kalsching der Zucht¬
stier, den sie sonst von der herrschaftlichen Verwaltung zu entlehnen Pflegte,
versagt wurde, weil sie — bei deu Neichsrcttswahlen ihre Stimme einem Kan¬
didaten der deutschen Partei gegeben hatte. Ein solches Argument wirkt aber
bei armen Gemeinden sehr, und viele lassen es sich gesagt sein. Dazu kommt
die alte Anhänglichkeit der konservativen Bauernschaft an ein Geschlecht, dem
sie bis vor einem Menschenalter unterthänig war und das ihr länger als ein
Jahrhundert hindurch nur Gutes erwiesen hat. Aber die Kämpfe der letzten
Jahre haben doch auch den nationalen Sinn in diesen Bergen erweckt und ge¬
kräftigt, und so ist ein Widerstreit der Interessen unvermeidlich geworden, der
keinem Teile zum Vorteil gereichen wird. Gerade hier kann heute der konser¬
vativen Sache nur gedient werden, wenn sie sich nicht als Gegnerin des Volks-
tums zeigt, wenn sie aufhört, das Vordringen des Slawentums gegen Süden
und Westen auf jede Art zu begünstigen. Schon weiß der Bauer auch des
abgelegensten Dorfes, um was es sich handelt, und wenn ihm heute noch des
Lebens Not so manches Zugeständnis abzwingt, der Tag dürfte bald kommen,
wo er dem anstürmenden Gegner ein selbstbewußtes: „Dies ist unser!" eutgcgen-
rufeu wird. Und das wird zum guten Teile auch das Verdienst der tüchtigen
Bürgerschaft sein, von deren Leben nud Treiben wir hier ein flüchtiges Bild
zu zeichnen unternommen haben.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/38>, abgerufen am 27.09.2024.