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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Deutsche Sorgen in Vsterroich.

Gefahr vor der böhmischen und ungarischen Begehrlichkeit. Aber Rudolph von
Habsburg wendete dieselbe ab, indem er seine Söhne mit diesen Landen belehnte,
wodurch letztere dauernd mit dem Reiche verbunden wurden. Auch die Grafen von
Tirol suchten ihrem Lande den deutschen Charakter möglichst zu wahrem Es wurde
mit deutschen Herzogtümern, erst mit Baiern, dann mit Kärnthen verbunden.
Deutsche Herren fiedelten sich an der Etsch an, deutsche Städte entstanden, die
Bischöfe von Trient und Brixen riefen, noch im 12. und 13. Jahrhundert von
deutschem Geiste erfüllt, Ackerbauer und Bergleute aus dem Reiche ins Land.
Die Gewinnung von Metallen war nicht nur hier, an der Grenze der wälschen
Welt, sondern auch in Steiermark, Salzburg und Kciruthcu einzig in den
Händen von Angehörigen unsrer Nation. Dasselbe war mit dem regen Handels¬
verkehr der Fall, der sich ans der Wasserstraße der Donau und ans den Wegen
über die Alpen bewegte und in Linz, Hamburg, Stehr, Wien und Wiener-Neu-
stadt, Brück, Graz, Vliland, Judeuburg und Lnibach seine Märkte und Stapel¬
plätze hatte. Gleiches gilt von der Pflege der Künste. Die Wiener Banhütte,
welche eine Tochter der Straßburger war und ihr untergeordnet blieb, hatte
ihrerseits Filialen in kleinern Orte", z. B. in Graz, welches in Meister Hans
Niesenbergcr den Künstler erzog, der den Chor des Freiburger Münsters vollendete.
Im Dienste der Architektur wurden auch die Plastik in Stein und Erz und die
Glasmalerei von Deutschen mit schönem Eifer und Erfolg betrieben. Frühzeitig
gediehen in diesen österreichischen Landen die im Mittelalter nah verschwisterten
Künste der Poesie und Musik. Das Nibelungenlied erhielt hier seine letzte Ge¬
stalt, desgleichen das Epos Gudrun, welches noch heute in den Volkssagen
der Godschee, dieser fernen deutschen Sprachinsel des krainischen Slawenlandes,
nachklingt. Der Minnesang fand Gönner an den österreichischen Fürsten und
Adlichen, und mehrere der letzten Babenberger, Heinrich von Mödling, Leopold
der Glorreiche und Friedrich der Streitbare traten selbst als Dichter auf.
Walther von der Vogelweide, vielleicht ein Tiroler, lebte in seiner Jugend in
Osterreich. Noch im fünfzehnten Jahrhundert trieb der Minnesang, im übrigen
Deutschland abgestorben, in den Dichtungen der tiroler Ritter Oswald von
Wollenstein und Hugo von Montfort eine Nachblüte. Schulen der Meister¬
singer waren später an verschiednen Orten, n. a. in Wels und Wien, wo Hans
Sachs sich hören lief;. Schulen, wo die Wissenschaft gepflegt wurde, gab es
schon im achten Jahrhundert in den Klöstern Mondsee und Kremsmünster,
später aber much in deu größeren Städten, z. B. in Wien, Graz, Laibach und
Stein; in letzterem Orte studirten 1317 auch Fremde ans München und
selbst aus der Gegend von Hamburg. Wien erhielt 1365 eine Universität,
der bald ans allen Teilen Deutschlands Studenten zuströmten. Zuerst wurde"
meist Lehrkräfte aus dem deutschen Westen, aus Schwaben und Hessen be¬
rufen, aber schon im fünfzehnten Jahrhundert sehen wir größtenteils Ein¬
heimische hier wirken, darunter Gelehrte ersten Ranges, wie Johann von Gmunden


Deutsche Sorgen in Vsterroich.

Gefahr vor der böhmischen und ungarischen Begehrlichkeit. Aber Rudolph von
Habsburg wendete dieselbe ab, indem er seine Söhne mit diesen Landen belehnte,
wodurch letztere dauernd mit dem Reiche verbunden wurden. Auch die Grafen von
Tirol suchten ihrem Lande den deutschen Charakter möglichst zu wahrem Es wurde
mit deutschen Herzogtümern, erst mit Baiern, dann mit Kärnthen verbunden.
Deutsche Herren fiedelten sich an der Etsch an, deutsche Städte entstanden, die
Bischöfe von Trient und Brixen riefen, noch im 12. und 13. Jahrhundert von
deutschem Geiste erfüllt, Ackerbauer und Bergleute aus dem Reiche ins Land.
Die Gewinnung von Metallen war nicht nur hier, an der Grenze der wälschen
Welt, sondern auch in Steiermark, Salzburg und Kciruthcu einzig in den
Händen von Angehörigen unsrer Nation. Dasselbe war mit dem regen Handels¬
verkehr der Fall, der sich ans der Wasserstraße der Donau und ans den Wegen
über die Alpen bewegte und in Linz, Hamburg, Stehr, Wien und Wiener-Neu-
stadt, Brück, Graz, Vliland, Judeuburg und Lnibach seine Märkte und Stapel¬
plätze hatte. Gleiches gilt von der Pflege der Künste. Die Wiener Banhütte,
welche eine Tochter der Straßburger war und ihr untergeordnet blieb, hatte
ihrerseits Filialen in kleinern Orte», z. B. in Graz, welches in Meister Hans
Niesenbergcr den Künstler erzog, der den Chor des Freiburger Münsters vollendete.
Im Dienste der Architektur wurden auch die Plastik in Stein und Erz und die
Glasmalerei von Deutschen mit schönem Eifer und Erfolg betrieben. Frühzeitig
gediehen in diesen österreichischen Landen die im Mittelalter nah verschwisterten
Künste der Poesie und Musik. Das Nibelungenlied erhielt hier seine letzte Ge¬
stalt, desgleichen das Epos Gudrun, welches noch heute in den Volkssagen
der Godschee, dieser fernen deutschen Sprachinsel des krainischen Slawenlandes,
nachklingt. Der Minnesang fand Gönner an den österreichischen Fürsten und
Adlichen, und mehrere der letzten Babenberger, Heinrich von Mödling, Leopold
der Glorreiche und Friedrich der Streitbare traten selbst als Dichter auf.
Walther von der Vogelweide, vielleicht ein Tiroler, lebte in seiner Jugend in
Osterreich. Noch im fünfzehnten Jahrhundert trieb der Minnesang, im übrigen
Deutschland abgestorben, in den Dichtungen der tiroler Ritter Oswald von
Wollenstein und Hugo von Montfort eine Nachblüte. Schulen der Meister¬
singer waren später an verschiednen Orten, n. a. in Wels und Wien, wo Hans
Sachs sich hören lief;. Schulen, wo die Wissenschaft gepflegt wurde, gab es
schon im achten Jahrhundert in den Klöstern Mondsee und Kremsmünster,
später aber much in deu größeren Städten, z. B. in Wien, Graz, Laibach und
Stein; in letzterem Orte studirten 1317 auch Fremde ans München und
selbst aus der Gegend von Hamburg. Wien erhielt 1365 eine Universität,
der bald ans allen Teilen Deutschlands Studenten zuströmten. Zuerst wurde»
meist Lehrkräfte aus dem deutschen Westen, aus Schwaben und Hessen be¬
rufen, aber schon im fünfzehnten Jahrhundert sehen wir größtenteils Ein¬
heimische hier wirken, darunter Gelehrte ersten Ranges, wie Johann von Gmunden


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[0366] Deutsche Sorgen in Vsterroich. Gefahr vor der böhmischen und ungarischen Begehrlichkeit. Aber Rudolph von Habsburg wendete dieselbe ab, indem er seine Söhne mit diesen Landen belehnte, wodurch letztere dauernd mit dem Reiche verbunden wurden. Auch die Grafen von Tirol suchten ihrem Lande den deutschen Charakter möglichst zu wahrem Es wurde mit deutschen Herzogtümern, erst mit Baiern, dann mit Kärnthen verbunden. Deutsche Herren fiedelten sich an der Etsch an, deutsche Städte entstanden, die Bischöfe von Trient und Brixen riefen, noch im 12. und 13. Jahrhundert von deutschem Geiste erfüllt, Ackerbauer und Bergleute aus dem Reiche ins Land. Die Gewinnung von Metallen war nicht nur hier, an der Grenze der wälschen Welt, sondern auch in Steiermark, Salzburg und Kciruthcu einzig in den Händen von Angehörigen unsrer Nation. Dasselbe war mit dem regen Handels¬ verkehr der Fall, der sich ans der Wasserstraße der Donau und ans den Wegen über die Alpen bewegte und in Linz, Hamburg, Stehr, Wien und Wiener-Neu- stadt, Brück, Graz, Vliland, Judeuburg und Lnibach seine Märkte und Stapel¬ plätze hatte. Gleiches gilt von der Pflege der Künste. Die Wiener Banhütte, welche eine Tochter der Straßburger war und ihr untergeordnet blieb, hatte ihrerseits Filialen in kleinern Orte», z. B. in Graz, welches in Meister Hans Niesenbergcr den Künstler erzog, der den Chor des Freiburger Münsters vollendete. Im Dienste der Architektur wurden auch die Plastik in Stein und Erz und die Glasmalerei von Deutschen mit schönem Eifer und Erfolg betrieben. Frühzeitig gediehen in diesen österreichischen Landen die im Mittelalter nah verschwisterten Künste der Poesie und Musik. Das Nibelungenlied erhielt hier seine letzte Ge¬ stalt, desgleichen das Epos Gudrun, welches noch heute in den Volkssagen der Godschee, dieser fernen deutschen Sprachinsel des krainischen Slawenlandes, nachklingt. Der Minnesang fand Gönner an den österreichischen Fürsten und Adlichen, und mehrere der letzten Babenberger, Heinrich von Mödling, Leopold der Glorreiche und Friedrich der Streitbare traten selbst als Dichter auf. Walther von der Vogelweide, vielleicht ein Tiroler, lebte in seiner Jugend in Osterreich. Noch im fünfzehnten Jahrhundert trieb der Minnesang, im übrigen Deutschland abgestorben, in den Dichtungen der tiroler Ritter Oswald von Wollenstein und Hugo von Montfort eine Nachblüte. Schulen der Meister¬ singer waren später an verschiednen Orten, n. a. in Wels und Wien, wo Hans Sachs sich hören lief;. Schulen, wo die Wissenschaft gepflegt wurde, gab es schon im achten Jahrhundert in den Klöstern Mondsee und Kremsmünster, später aber much in deu größeren Städten, z. B. in Wien, Graz, Laibach und Stein; in letzterem Orte studirten 1317 auch Fremde ans München und selbst aus der Gegend von Hamburg. Wien erhielt 1365 eine Universität, der bald ans allen Teilen Deutschlands Studenten zuströmten. Zuerst wurde» meist Lehrkräfte aus dem deutschen Westen, aus Schwaben und Hessen be¬ rufen, aber schon im fünfzehnten Jahrhundert sehen wir größtenteils Ein¬ heimische hier wirken, darunter Gelehrte ersten Ranges, wie Johann von Gmunden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/366>, abgerufen am 20.10.2024.