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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Deutsche Sorgen in "Österreich.

Kulturarbeit bis über Raab hinaus, im Süden bis an das adriatische Meer.
Die fränkische Verwaltung mit Gau und Hundertschaft wurde eingeführt, des¬
gleichen die fränkische Heerverfassung. Allmählich entstanden in den Klöstern
Schulen und Bibliotheken, und so regten sich in dem fernen Ostlande anch die
ersten Anfänge zu höherem geistigen Leben. Diese schöne Entwicklung wurde
durch das Eindringen der Magyaren unterbrochen, welche zunächst in den Tief¬
ebenen der Donau und Theiß Wohnsitze fanden und dann in wildem Neitcrsturm
gegen die deutsche Ostmark aufbrachen, die, nachdem 907 in der großen Naaber
Schlacht Markgraf Luitpold vou Scheycn mit vielen weltlichen und geistlichen
Herren und dem gesamten Heerbann des venerischen Herzogtums gefallen war,
bis zur Enns verloren ging und gänzlicher Verwüstung anheimfiel. Seitdem
brachen die neuen Hunnen fast jedes Jahr sengend und mordend in die deutschen
Lande ein, und erst dann tagte eine bessere Zeit, als der Stamm der Sachsen
dein Reiche in seinem Herzoge Heinrich einen ebenso mannhaften als klagen
Führer gegeben hatte. Sein Sieg an der Unstrut befreite Nvrddeutschlnnd
von der Magyarenplagc, sein gewaltiger Sohn und Nachfolger Otto wies sie
durch die Schlacht auf dem Lechfelde für immer aus den Grenzen der Reiches
und nahm den Eroberern einen großen Teil des von ihnen geraubten Landes
wieder ab, um daraus eine neue Ostmark zu gründen, mit der von Otto dem
Zweiten das fränkische Geschlecht der Babenberger belehnt wurde. Auch andre Be¬
gründer fürstlicher Macht in den Alpenländern waren süddeutschen Ursprungs:
so die Tranngauer in Steiermark, die Eppeusteiner und die Spvnheimcr in
Kärnthen. endlich die Habsburger. Mit den fürstlichen und adeligen Familien
aber zogen abermals Schaaren deutscher Kolonisten nach dein Osten, der, zur
Einöde geworden, nnn von neuem von der Axt und dem Pfluge für die Kultur
gewonnen wurde und sich in seinen nördlichen Strichen fast ausschließlich in
deutsches Land verwandelte. Auch im Süden macht das Deutschtum wieder
Fortschritte. Die Stadtanfäuge in Uuterfteiermark siud deutsche Sprachinsel",
in Kärnthen verschwinden die freien slovenischen Grundbesitzer mehr und mehr,
in Krain wandern deutsche Adelige, darunter die schwäbischen Auerspcrgc, und
zahlreiche Bauern ein. Allenthalben kam das deutsche Volksrecht zur Geltung,
und überall war neben dem Lateinischen das Deutsche die Schrift- und Amts¬
sprache. So erscheint die Kerngruppe des heutigen österreichischen Staates schon
flühzeitig als ein stets wachsender Komplex deutscher Länder. Freilich machte
sich bei ihrer Entfernung vom Mittelpunkte des Reiches die Neigung zur Bildung
Politisch selbständiger Gebiete bemerkbar, immer aber blieben sie in vielen Be¬
ziehungen mit jenem verbunden. Ihre Fürsten und Ritter z. B. nahmen eifrig
an den Kreuzzügen und Römerfahrten der deutsche" Könige teil. Das Inter¬
regnum, welches nach dem Aussterben der Babenberger in den Ostmarken fast
gleichzeitig mit demjenigen begann, welches nach dem Aussterben der Hohenstaufen
im deutschen Hauptlande Verwirrung und Schwäche hervorrief, wurde dort zur


Deutsche Sorgen in «Österreich.

Kulturarbeit bis über Raab hinaus, im Süden bis an das adriatische Meer.
Die fränkische Verwaltung mit Gau und Hundertschaft wurde eingeführt, des¬
gleichen die fränkische Heerverfassung. Allmählich entstanden in den Klöstern
Schulen und Bibliotheken, und so regten sich in dem fernen Ostlande anch die
ersten Anfänge zu höherem geistigen Leben. Diese schöne Entwicklung wurde
durch das Eindringen der Magyaren unterbrochen, welche zunächst in den Tief¬
ebenen der Donau und Theiß Wohnsitze fanden und dann in wildem Neitcrsturm
gegen die deutsche Ostmark aufbrachen, die, nachdem 907 in der großen Naaber
Schlacht Markgraf Luitpold vou Scheycn mit vielen weltlichen und geistlichen
Herren und dem gesamten Heerbann des venerischen Herzogtums gefallen war,
bis zur Enns verloren ging und gänzlicher Verwüstung anheimfiel. Seitdem
brachen die neuen Hunnen fast jedes Jahr sengend und mordend in die deutschen
Lande ein, und erst dann tagte eine bessere Zeit, als der Stamm der Sachsen
dein Reiche in seinem Herzoge Heinrich einen ebenso mannhaften als klagen
Führer gegeben hatte. Sein Sieg an der Unstrut befreite Nvrddeutschlnnd
von der Magyarenplagc, sein gewaltiger Sohn und Nachfolger Otto wies sie
durch die Schlacht auf dem Lechfelde für immer aus den Grenzen der Reiches
und nahm den Eroberern einen großen Teil des von ihnen geraubten Landes
wieder ab, um daraus eine neue Ostmark zu gründen, mit der von Otto dem
Zweiten das fränkische Geschlecht der Babenberger belehnt wurde. Auch andre Be¬
gründer fürstlicher Macht in den Alpenländern waren süddeutschen Ursprungs:
so die Tranngauer in Steiermark, die Eppeusteiner und die Spvnheimcr in
Kärnthen. endlich die Habsburger. Mit den fürstlichen und adeligen Familien
aber zogen abermals Schaaren deutscher Kolonisten nach dein Osten, der, zur
Einöde geworden, nnn von neuem von der Axt und dem Pfluge für die Kultur
gewonnen wurde und sich in seinen nördlichen Strichen fast ausschließlich in
deutsches Land verwandelte. Auch im Süden macht das Deutschtum wieder
Fortschritte. Die Stadtanfäuge in Uuterfteiermark siud deutsche Sprachinsel»,
in Kärnthen verschwinden die freien slovenischen Grundbesitzer mehr und mehr,
in Krain wandern deutsche Adelige, darunter die schwäbischen Auerspcrgc, und
zahlreiche Bauern ein. Allenthalben kam das deutsche Volksrecht zur Geltung,
und überall war neben dem Lateinischen das Deutsche die Schrift- und Amts¬
sprache. So erscheint die Kerngruppe des heutigen österreichischen Staates schon
flühzeitig als ein stets wachsender Komplex deutscher Länder. Freilich machte
sich bei ihrer Entfernung vom Mittelpunkte des Reiches die Neigung zur Bildung
Politisch selbständiger Gebiete bemerkbar, immer aber blieben sie in vielen Be¬
ziehungen mit jenem verbunden. Ihre Fürsten und Ritter z. B. nahmen eifrig
an den Kreuzzügen und Römerfahrten der deutsche» Könige teil. Das Inter¬
regnum, welches nach dem Aussterben der Babenberger in den Ostmarken fast
gleichzeitig mit demjenigen begann, welches nach dem Aussterben der Hohenstaufen
im deutschen Hauptlande Verwirrung und Schwäche hervorrief, wurde dort zur


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[0365] Deutsche Sorgen in «Österreich. Kulturarbeit bis über Raab hinaus, im Süden bis an das adriatische Meer. Die fränkische Verwaltung mit Gau und Hundertschaft wurde eingeführt, des¬ gleichen die fränkische Heerverfassung. Allmählich entstanden in den Klöstern Schulen und Bibliotheken, und so regten sich in dem fernen Ostlande anch die ersten Anfänge zu höherem geistigen Leben. Diese schöne Entwicklung wurde durch das Eindringen der Magyaren unterbrochen, welche zunächst in den Tief¬ ebenen der Donau und Theiß Wohnsitze fanden und dann in wildem Neitcrsturm gegen die deutsche Ostmark aufbrachen, die, nachdem 907 in der großen Naaber Schlacht Markgraf Luitpold vou Scheycn mit vielen weltlichen und geistlichen Herren und dem gesamten Heerbann des venerischen Herzogtums gefallen war, bis zur Enns verloren ging und gänzlicher Verwüstung anheimfiel. Seitdem brachen die neuen Hunnen fast jedes Jahr sengend und mordend in die deutschen Lande ein, und erst dann tagte eine bessere Zeit, als der Stamm der Sachsen dein Reiche in seinem Herzoge Heinrich einen ebenso mannhaften als klagen Führer gegeben hatte. Sein Sieg an der Unstrut befreite Nvrddeutschlnnd von der Magyarenplagc, sein gewaltiger Sohn und Nachfolger Otto wies sie durch die Schlacht auf dem Lechfelde für immer aus den Grenzen der Reiches und nahm den Eroberern einen großen Teil des von ihnen geraubten Landes wieder ab, um daraus eine neue Ostmark zu gründen, mit der von Otto dem Zweiten das fränkische Geschlecht der Babenberger belehnt wurde. Auch andre Be¬ gründer fürstlicher Macht in den Alpenländern waren süddeutschen Ursprungs: so die Tranngauer in Steiermark, die Eppeusteiner und die Spvnheimcr in Kärnthen. endlich die Habsburger. Mit den fürstlichen und adeligen Familien aber zogen abermals Schaaren deutscher Kolonisten nach dein Osten, der, zur Einöde geworden, nnn von neuem von der Axt und dem Pfluge für die Kultur gewonnen wurde und sich in seinen nördlichen Strichen fast ausschließlich in deutsches Land verwandelte. Auch im Süden macht das Deutschtum wieder Fortschritte. Die Stadtanfäuge in Uuterfteiermark siud deutsche Sprachinsel», in Kärnthen verschwinden die freien slovenischen Grundbesitzer mehr und mehr, in Krain wandern deutsche Adelige, darunter die schwäbischen Auerspcrgc, und zahlreiche Bauern ein. Allenthalben kam das deutsche Volksrecht zur Geltung, und überall war neben dem Lateinischen das Deutsche die Schrift- und Amts¬ sprache. So erscheint die Kerngruppe des heutigen österreichischen Staates schon flühzeitig als ein stets wachsender Komplex deutscher Länder. Freilich machte sich bei ihrer Entfernung vom Mittelpunkte des Reiches die Neigung zur Bildung Politisch selbständiger Gebiete bemerkbar, immer aber blieben sie in vielen Be¬ ziehungen mit jenem verbunden. Ihre Fürsten und Ritter z. B. nahmen eifrig an den Kreuzzügen und Römerfahrten der deutsche» Könige teil. Das Inter¬ regnum, welches nach dem Aussterben der Babenberger in den Ostmarken fast gleichzeitig mit demjenigen begann, welches nach dem Aussterben der Hohenstaufen im deutschen Hauptlande Verwirrung und Schwäche hervorrief, wurde dort zur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/365>, abgerufen am 20.10.2024.