Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Deutsche Sorgen in "Österreich,

trauen und Erfolg in Handlungen finden würden, wissen wir nicht zu sagen.
Die Möglichkeit eines Mißverstehens scheint uus ausgeschlossen. Die Presse
im deutschen Reiche aber kann hier mehr thun als im vorigen Falle, sie darf
sagen, daß Österreich durch die Deutschen entstanden ist und durch sie zusammen¬
gehalten wird, daß jede unbillige Begünstigung der nichtdeutschen Nationali¬
täten mithin eine Versündigung an sich selbst ist, und daß solche Begünstigung
in weitem Umfange jetzt stattfindet, sie darf dies durch beharrliche Wiederholung
zur Überzeugung ihres Publikums daheim machen und die so entstandene
und befestigte öffentliche Meinung den Stammverwandten jenseits der Grenze
als Trost, als Bundesgenossin in ihrem Kampfe und als eine Art ulliin-i
lÄtio für deu schlimmsten Fall vor die Augen halten. Es ist keine Offensive,
sondern Selbstverteidigung, wenn sie das deutsche Österreich gegen die Flut
des Slawentums wahren hilft, welche es mehr und mehr zu überschwemmen
und so die Vorlande vor unsern Grenzdeichen sich einzuverleiben im Begriffe ist.

Der Ausdruck ultim" r^dio könnte mißverstanden werden, und so beeilen
wir uus, dem durch die Erklärung vorzubeugen, daß wir das gegenwärtige
Verhältnis des deutsche" Reiches zum österreichisch-ungarischen Donaustaate für
das einzig naturgemäße und beiden Teilen ersprießliche, eine Vereinigung beider
also, die viel enger als das Bündnis von 1879 wäre, für nicht wünschenswert
und die Hoffnungen ans eine Einverleibung der deutschen Österreicher in den
Staat der Nation für Phantasterei und Chimäre halten; wenigstens für die von
menschlichen Angen zu übersehende Zukunft. Festes Zusammenstehen beider
Gruppen gegenüber den beide gleich bedrohenden Mächten im Westen und
Osten und reger und immer reger werdender geistiger Wechselverkehr zwischen
den Stammverwandten hüben und drüben zu gegenseitiger Ergänzung und
Stärkung ist alles, was wir brauchen, und was wir infolge dessen verlangen
und erstreben dürfen. Das deutsche Element im österreichischen Organismus
nützt uns mehr, wenn es draußen bleibt, als es uns nützen würde, wenn es
unserm Verbände angegliedert würde. Es ist dort die Goldader im Körper
des aus allerhaud Metallen zusammengesetzten Königsbildes im Goethischen
Märchen von der schönen Lily. Das Bild zerfiel, als die Schlange das Gold
herausgeleckt hatte. Der Bestand Österreichs ist eine europäische Notwendigkeit
und ihn zu erhalte" Bedürfnis und Pflicht ersten Ranges für uns. Überdies
wäre jenes deutsche Element, wie dessen geographische Verteilung sofort erkennen
läßt, nicht allein für uns zu gewinnen. Wir müßten mit ihm eine größere
Auzahl Slawen in deu Kauf nehmen, mit denen wir uns die Krankheit einimpfen
würden, an welcher Österreich jetzt vorzugsweise leidet. Und ließe sich das
vermeide", wie es sich nicht vermeiden läßt, so bliebe immer noch das Bedenken
übrig, daß die Deutsch-Österreicher Katholiken sind, die mit den ungebildeten Ve-
völkerungsschichteu in ihrer Mitte und noch mehr mit einem einflußreichen Teile
der gebildeten sofort in das Lager unsrer Ultramontanen einziehen würden,


Deutsche Sorgen in «Österreich,

trauen und Erfolg in Handlungen finden würden, wissen wir nicht zu sagen.
Die Möglichkeit eines Mißverstehens scheint uus ausgeschlossen. Die Presse
im deutschen Reiche aber kann hier mehr thun als im vorigen Falle, sie darf
sagen, daß Österreich durch die Deutschen entstanden ist und durch sie zusammen¬
gehalten wird, daß jede unbillige Begünstigung der nichtdeutschen Nationali¬
täten mithin eine Versündigung an sich selbst ist, und daß solche Begünstigung
in weitem Umfange jetzt stattfindet, sie darf dies durch beharrliche Wiederholung
zur Überzeugung ihres Publikums daheim machen und die so entstandene
und befestigte öffentliche Meinung den Stammverwandten jenseits der Grenze
als Trost, als Bundesgenossin in ihrem Kampfe und als eine Art ulliin-i
lÄtio für deu schlimmsten Fall vor die Augen halten. Es ist keine Offensive,
sondern Selbstverteidigung, wenn sie das deutsche Österreich gegen die Flut
des Slawentums wahren hilft, welche es mehr und mehr zu überschwemmen
und so die Vorlande vor unsern Grenzdeichen sich einzuverleiben im Begriffe ist.

Der Ausdruck ultim» r^dio könnte mißverstanden werden, und so beeilen
wir uus, dem durch die Erklärung vorzubeugen, daß wir das gegenwärtige
Verhältnis des deutsche» Reiches zum österreichisch-ungarischen Donaustaate für
das einzig naturgemäße und beiden Teilen ersprießliche, eine Vereinigung beider
also, die viel enger als das Bündnis von 1879 wäre, für nicht wünschenswert
und die Hoffnungen ans eine Einverleibung der deutschen Österreicher in den
Staat der Nation für Phantasterei und Chimäre halten; wenigstens für die von
menschlichen Angen zu übersehende Zukunft. Festes Zusammenstehen beider
Gruppen gegenüber den beide gleich bedrohenden Mächten im Westen und
Osten und reger und immer reger werdender geistiger Wechselverkehr zwischen
den Stammverwandten hüben und drüben zu gegenseitiger Ergänzung und
Stärkung ist alles, was wir brauchen, und was wir infolge dessen verlangen
und erstreben dürfen. Das deutsche Element im österreichischen Organismus
nützt uns mehr, wenn es draußen bleibt, als es uns nützen würde, wenn es
unserm Verbände angegliedert würde. Es ist dort die Goldader im Körper
des aus allerhaud Metallen zusammengesetzten Königsbildes im Goethischen
Märchen von der schönen Lily. Das Bild zerfiel, als die Schlange das Gold
herausgeleckt hatte. Der Bestand Österreichs ist eine europäische Notwendigkeit
und ihn zu erhalte» Bedürfnis und Pflicht ersten Ranges für uns. Überdies
wäre jenes deutsche Element, wie dessen geographische Verteilung sofort erkennen
läßt, nicht allein für uns zu gewinnen. Wir müßten mit ihm eine größere
Auzahl Slawen in deu Kauf nehmen, mit denen wir uns die Krankheit einimpfen
würden, an welcher Österreich jetzt vorzugsweise leidet. Und ließe sich das
vermeide», wie es sich nicht vermeiden läßt, so bliebe immer noch das Bedenken
übrig, daß die Deutsch-Österreicher Katholiken sind, die mit den ungebildeten Ve-
völkerungsschichteu in ihrer Mitte und noch mehr mit einem einflußreichen Teile
der gebildeten sofort in das Lager unsrer Ultramontanen einziehen würden,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0363" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199717"/>
          <fw type="header" place="top"> Deutsche Sorgen in «Österreich,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1523" prev="#ID_1522"> trauen und Erfolg in Handlungen finden würden, wissen wir nicht zu sagen.<lb/>
Die Möglichkeit eines Mißverstehens scheint uus ausgeschlossen. Die Presse<lb/>
im deutschen Reiche aber kann hier mehr thun als im vorigen Falle, sie darf<lb/>
sagen, daß Österreich durch die Deutschen entstanden ist und durch sie zusammen¬<lb/>
gehalten wird, daß jede unbillige Begünstigung der nichtdeutschen Nationali¬<lb/>
täten mithin eine Versündigung an sich selbst ist, und daß solche Begünstigung<lb/>
in weitem Umfange jetzt stattfindet, sie darf dies durch beharrliche Wiederholung<lb/>
zur Überzeugung ihres Publikums daheim machen und die so entstandene<lb/>
und befestigte öffentliche Meinung den Stammverwandten jenseits der Grenze<lb/>
als Trost, als Bundesgenossin in ihrem Kampfe und als eine Art ulliin-i<lb/>
lÄtio für deu schlimmsten Fall vor die Augen halten. Es ist keine Offensive,<lb/>
sondern Selbstverteidigung, wenn sie das deutsche Österreich gegen die Flut<lb/>
des Slawentums wahren hilft, welche es mehr und mehr zu überschwemmen<lb/>
und so die Vorlande vor unsern Grenzdeichen sich einzuverleiben im Begriffe ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1524" next="#ID_1525"> Der Ausdruck ultim» r^dio könnte mißverstanden werden, und so beeilen<lb/>
wir uus, dem durch die Erklärung vorzubeugen, daß wir das gegenwärtige<lb/>
Verhältnis des deutsche» Reiches zum österreichisch-ungarischen Donaustaate für<lb/>
das einzig naturgemäße und beiden Teilen ersprießliche, eine Vereinigung beider<lb/>
also, die viel enger als das Bündnis von 1879 wäre, für nicht wünschenswert<lb/>
und die Hoffnungen ans eine Einverleibung der deutschen Österreicher in den<lb/>
Staat der Nation für Phantasterei und Chimäre halten; wenigstens für die von<lb/>
menschlichen Angen zu übersehende Zukunft. Festes Zusammenstehen beider<lb/>
Gruppen gegenüber den beide gleich bedrohenden Mächten im Westen und<lb/>
Osten und reger und immer reger werdender geistiger Wechselverkehr zwischen<lb/>
den Stammverwandten hüben und drüben zu gegenseitiger Ergänzung und<lb/>
Stärkung ist alles, was wir brauchen, und was wir infolge dessen verlangen<lb/>
und erstreben dürfen. Das deutsche Element im österreichischen Organismus<lb/>
nützt uns mehr, wenn es draußen bleibt, als es uns nützen würde, wenn es<lb/>
unserm Verbände angegliedert würde. Es ist dort die Goldader im Körper<lb/>
des aus allerhaud Metallen zusammengesetzten Königsbildes im Goethischen<lb/>
Märchen von der schönen Lily. Das Bild zerfiel, als die Schlange das Gold<lb/>
herausgeleckt hatte. Der Bestand Österreichs ist eine europäische Notwendigkeit<lb/>
und ihn zu erhalte» Bedürfnis und Pflicht ersten Ranges für uns. Überdies<lb/>
wäre jenes deutsche Element, wie dessen geographische Verteilung sofort erkennen<lb/>
läßt, nicht allein für uns zu gewinnen. Wir müßten mit ihm eine größere<lb/>
Auzahl Slawen in deu Kauf nehmen, mit denen wir uns die Krankheit einimpfen<lb/>
würden, an welcher Österreich jetzt vorzugsweise leidet. Und ließe sich das<lb/>
vermeide», wie es sich nicht vermeiden läßt, so bliebe immer noch das Bedenken<lb/>
übrig, daß die Deutsch-Österreicher Katholiken sind, die mit den ungebildeten Ve-<lb/>
völkerungsschichteu in ihrer Mitte und noch mehr mit einem einflußreichen Teile<lb/>
der gebildeten sofort in das Lager unsrer Ultramontanen einziehen würden,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0363] Deutsche Sorgen in «Österreich, trauen und Erfolg in Handlungen finden würden, wissen wir nicht zu sagen. Die Möglichkeit eines Mißverstehens scheint uus ausgeschlossen. Die Presse im deutschen Reiche aber kann hier mehr thun als im vorigen Falle, sie darf sagen, daß Österreich durch die Deutschen entstanden ist und durch sie zusammen¬ gehalten wird, daß jede unbillige Begünstigung der nichtdeutschen Nationali¬ täten mithin eine Versündigung an sich selbst ist, und daß solche Begünstigung in weitem Umfange jetzt stattfindet, sie darf dies durch beharrliche Wiederholung zur Überzeugung ihres Publikums daheim machen und die so entstandene und befestigte öffentliche Meinung den Stammverwandten jenseits der Grenze als Trost, als Bundesgenossin in ihrem Kampfe und als eine Art ulliin-i lÄtio für deu schlimmsten Fall vor die Augen halten. Es ist keine Offensive, sondern Selbstverteidigung, wenn sie das deutsche Österreich gegen die Flut des Slawentums wahren hilft, welche es mehr und mehr zu überschwemmen und so die Vorlande vor unsern Grenzdeichen sich einzuverleiben im Begriffe ist. Der Ausdruck ultim» r^dio könnte mißverstanden werden, und so beeilen wir uus, dem durch die Erklärung vorzubeugen, daß wir das gegenwärtige Verhältnis des deutsche» Reiches zum österreichisch-ungarischen Donaustaate für das einzig naturgemäße und beiden Teilen ersprießliche, eine Vereinigung beider also, die viel enger als das Bündnis von 1879 wäre, für nicht wünschenswert und die Hoffnungen ans eine Einverleibung der deutschen Österreicher in den Staat der Nation für Phantasterei und Chimäre halten; wenigstens für die von menschlichen Angen zu übersehende Zukunft. Festes Zusammenstehen beider Gruppen gegenüber den beide gleich bedrohenden Mächten im Westen und Osten und reger und immer reger werdender geistiger Wechselverkehr zwischen den Stammverwandten hüben und drüben zu gegenseitiger Ergänzung und Stärkung ist alles, was wir brauchen, und was wir infolge dessen verlangen und erstreben dürfen. Das deutsche Element im österreichischen Organismus nützt uns mehr, wenn es draußen bleibt, als es uns nützen würde, wenn es unserm Verbände angegliedert würde. Es ist dort die Goldader im Körper des aus allerhaud Metallen zusammengesetzten Königsbildes im Goethischen Märchen von der schönen Lily. Das Bild zerfiel, als die Schlange das Gold herausgeleckt hatte. Der Bestand Österreichs ist eine europäische Notwendigkeit und ihn zu erhalte» Bedürfnis und Pflicht ersten Ranges für uns. Überdies wäre jenes deutsche Element, wie dessen geographische Verteilung sofort erkennen läßt, nicht allein für uns zu gewinnen. Wir müßten mit ihm eine größere Auzahl Slawen in deu Kauf nehmen, mit denen wir uns die Krankheit einimpfen würden, an welcher Österreich jetzt vorzugsweise leidet. Und ließe sich das vermeide», wie es sich nicht vermeiden läßt, so bliebe immer noch das Bedenken übrig, daß die Deutsch-Österreicher Katholiken sind, die mit den ungebildeten Ve- völkerungsschichteu in ihrer Mitte und noch mehr mit einem einflußreichen Teile der gebildeten sofort in das Lager unsrer Ultramontanen einziehen würden,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/363
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/363>, abgerufen am 20.10.2024.