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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Mathilde sah sich hilfesuchend nach ihren Brüdern um. Keiner von beiden
war in der Nähe; in dem Gewässer aber glitzerte freundlich die Abendsonne.
Ohne sich länger zu besinnen, nahm sie ihren Schlepprvck auf und sprang leicht¬
füßig in den Kahn. Einnahm konnte nicht umhin, die Zierlichkeit ihrer kleinen
Füße zu bewundern. Der zweite, der durch das Vorangehen der Dame an¬
gespornt sich opferte, war der Leutnant von Rohr. Mit Hilfe einer Stange
wurde der Kahn vom Ufer abgestoßen. Rohr und Mathilde saßen sich
schweigend gegenüber; es war ihnen etwas beklommcnzu Mute.

Dringt Ihnen das Wasser auch nicht dnrch die Stiefel, gnädiges Fräulein?

Nein, uoch uicht. Ich fühle garnichts.

Einnahm hob unterdessen die Stange von der rechten Seite nach der linken,
wodurch der Nachen in bedenkliches Schwanken geriet, über die Insassen aber
ein Sprühregen schlammigen Wassers herniederkam. Der kühne Fährmann
bemerkte heiter: Ich dächte, wir stimmten eine Barcarole an: Das Schiff
streicht durch die Wellen!

Rohr meinte, es sei ihm nicht gerade "singerlich" zu Mute, und setzte er¬
schrocken hinzu: Um Gottes Willen! Du fährst ja gerade in die Blumen
hinein!

Bewahre! Nur ruhig; ich bin ein perfekter Steuermann. Ich wollte aber,
wir Hütten noch eine Person auf dieser Seite. Ah -- es geht auch so ganz
vortrefflich.

Die Sonne ging lcuchtcndrot am westlichen Himmel unter. Das Wasser
erglühte wie flüssiges Gold, und die weißen Wnsserblnmen schimmerten in zarter
Nöte. Der Kahn glitt langsam seine schmale Straße und wand sich im Schatten
der mächtigen Bäume zwischen den üppigen Schilfbüschcln hindurch, deren lange
'Gräser sich in der Abendluft lispelnd bewegten. Mathilde sah auf zu den
glänzenden Wölkchen und wieder in das stille Gewässer, das die Farben des
Himmels gemildert, doch treulich wiederspicgeltc, und sie vergaß den morschen
Kahn und die Gesellschaft, in der sie sich befand.

Tausend Teufel! rief Einnahm. Noch ein Ruck, und die Spitze des Fahr¬
zeuges saß fest in einem Gewebe von Flechten, das, halb unter dem Wasser-
spiegel verborgen, heimtückisch Kahn und Stange umgarnte.

Sitzen wir fest? fragte Rohr gelassen.

Ich kann mir doch garnicht erklären -- brummte Emilchcn, wenn nur
das verdammte -- Pardon! wenn ich nur erst die alte Stauge heraus hätte!

Soll ich helfen?

Um alles nicht! Wir verlieren sofort die Balance. Will mal sehen, ob
sich dem Geschling nicht mit dem Messer beikommen läßt.

Emil bog sich über den Rand des Kahnes und begann energisch gegen den
Feind zu Felde zu ziehen. Leutnant Rohr zog die Brauen zusammen und sann
nach, wie man sich am besten aus dieser dummen Lage befreien könne.


Mathilde sah sich hilfesuchend nach ihren Brüdern um. Keiner von beiden
war in der Nähe; in dem Gewässer aber glitzerte freundlich die Abendsonne.
Ohne sich länger zu besinnen, nahm sie ihren Schlepprvck auf und sprang leicht¬
füßig in den Kahn. Einnahm konnte nicht umhin, die Zierlichkeit ihrer kleinen
Füße zu bewundern. Der zweite, der durch das Vorangehen der Dame an¬
gespornt sich opferte, war der Leutnant von Rohr. Mit Hilfe einer Stange
wurde der Kahn vom Ufer abgestoßen. Rohr und Mathilde saßen sich
schweigend gegenüber; es war ihnen etwas beklommcnzu Mute.

Dringt Ihnen das Wasser auch nicht dnrch die Stiefel, gnädiges Fräulein?

Nein, uoch uicht. Ich fühle garnichts.

Einnahm hob unterdessen die Stange von der rechten Seite nach der linken,
wodurch der Nachen in bedenkliches Schwanken geriet, über die Insassen aber
ein Sprühregen schlammigen Wassers herniederkam. Der kühne Fährmann
bemerkte heiter: Ich dächte, wir stimmten eine Barcarole an: Das Schiff
streicht durch die Wellen!

Rohr meinte, es sei ihm nicht gerade „singerlich" zu Mute, und setzte er¬
schrocken hinzu: Um Gottes Willen! Du fährst ja gerade in die Blumen
hinein!

Bewahre! Nur ruhig; ich bin ein perfekter Steuermann. Ich wollte aber,
wir Hütten noch eine Person auf dieser Seite. Ah — es geht auch so ganz
vortrefflich.

Die Sonne ging lcuchtcndrot am westlichen Himmel unter. Das Wasser
erglühte wie flüssiges Gold, und die weißen Wnsserblnmen schimmerten in zarter
Nöte. Der Kahn glitt langsam seine schmale Straße und wand sich im Schatten
der mächtigen Bäume zwischen den üppigen Schilfbüschcln hindurch, deren lange
'Gräser sich in der Abendluft lispelnd bewegten. Mathilde sah auf zu den
glänzenden Wölkchen und wieder in das stille Gewässer, das die Farben des
Himmels gemildert, doch treulich wiederspicgeltc, und sie vergaß den morschen
Kahn und die Gesellschaft, in der sie sich befand.

Tausend Teufel! rief Einnahm. Noch ein Ruck, und die Spitze des Fahr¬
zeuges saß fest in einem Gewebe von Flechten, das, halb unter dem Wasser-
spiegel verborgen, heimtückisch Kahn und Stange umgarnte.

Sitzen wir fest? fragte Rohr gelassen.

Ich kann mir doch garnicht erklären — brummte Emilchcn, wenn nur
das verdammte — Pardon! wenn ich nur erst die alte Stauge heraus hätte!

Soll ich helfen?

Um alles nicht! Wir verlieren sofort die Balance. Will mal sehen, ob
sich dem Geschling nicht mit dem Messer beikommen läßt.

Emil bog sich über den Rand des Kahnes und begann energisch gegen den
Feind zu Felde zu ziehen. Leutnant Rohr zog die Brauen zusammen und sann
nach, wie man sich am besten aus dieser dummen Lage befreien könne.


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[0354] Mathilde sah sich hilfesuchend nach ihren Brüdern um. Keiner von beiden war in der Nähe; in dem Gewässer aber glitzerte freundlich die Abendsonne. Ohne sich länger zu besinnen, nahm sie ihren Schlepprvck auf und sprang leicht¬ füßig in den Kahn. Einnahm konnte nicht umhin, die Zierlichkeit ihrer kleinen Füße zu bewundern. Der zweite, der durch das Vorangehen der Dame an¬ gespornt sich opferte, war der Leutnant von Rohr. Mit Hilfe einer Stange wurde der Kahn vom Ufer abgestoßen. Rohr und Mathilde saßen sich schweigend gegenüber; es war ihnen etwas beklommcnzu Mute. Dringt Ihnen das Wasser auch nicht dnrch die Stiefel, gnädiges Fräulein? Nein, uoch uicht. Ich fühle garnichts. Einnahm hob unterdessen die Stange von der rechten Seite nach der linken, wodurch der Nachen in bedenkliches Schwanken geriet, über die Insassen aber ein Sprühregen schlammigen Wassers herniederkam. Der kühne Fährmann bemerkte heiter: Ich dächte, wir stimmten eine Barcarole an: Das Schiff streicht durch die Wellen! Rohr meinte, es sei ihm nicht gerade „singerlich" zu Mute, und setzte er¬ schrocken hinzu: Um Gottes Willen! Du fährst ja gerade in die Blumen hinein! Bewahre! Nur ruhig; ich bin ein perfekter Steuermann. Ich wollte aber, wir Hütten noch eine Person auf dieser Seite. Ah — es geht auch so ganz vortrefflich. Die Sonne ging lcuchtcndrot am westlichen Himmel unter. Das Wasser erglühte wie flüssiges Gold, und die weißen Wnsserblnmen schimmerten in zarter Nöte. Der Kahn glitt langsam seine schmale Straße und wand sich im Schatten der mächtigen Bäume zwischen den üppigen Schilfbüschcln hindurch, deren lange 'Gräser sich in der Abendluft lispelnd bewegten. Mathilde sah auf zu den glänzenden Wölkchen und wieder in das stille Gewässer, das die Farben des Himmels gemildert, doch treulich wiederspicgeltc, und sie vergaß den morschen Kahn und die Gesellschaft, in der sie sich befand. Tausend Teufel! rief Einnahm. Noch ein Ruck, und die Spitze des Fahr¬ zeuges saß fest in einem Gewebe von Flechten, das, halb unter dem Wasser- spiegel verborgen, heimtückisch Kahn und Stange umgarnte. Sitzen wir fest? fragte Rohr gelassen. Ich kann mir doch garnicht erklären — brummte Emilchcn, wenn nur das verdammte — Pardon! wenn ich nur erst die alte Stauge heraus hätte! Soll ich helfen? Um alles nicht! Wir verlieren sofort die Balance. Will mal sehen, ob sich dem Geschling nicht mit dem Messer beikommen läßt. Emil bog sich über den Rand des Kahnes und begann energisch gegen den Feind zu Felde zu ziehen. Leutnant Rohr zog die Brauen zusammen und sann nach, wie man sich am besten aus dieser dummen Lage befreien könne.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/354>, abgerufen am 27.09.2024.