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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Neue Theaterstücke.

nur die größte künstlerische Kraft hier das Gegebene so zu bewältigen vermag,
daß der Darstellung des menschlichen Konflikts die Darstellung der äußeren ge¬
schichtlichen Bedingungen nicht aufgeopfert werde. Mit diesem Mangel hängt
es wohl auch zusammen, daß das Schauspiel ohne hervorragenden geistigen
Gehalt ist. Im Jahre 1886 einen Priester gegen die Seelentyrannei der
Hierarchie sprechen zu lassen, selbst in tiefempfundenen Worten sprechen zu lassen,
null nichts bedeuten; auch sind über diese Verhältnisse schon sehr viel geistvollere
und eiuschucidendere Worte gesprochen worden, namentlich von Leuten, die keine
Dichter waren. Wenn nun auch diese geistige Unbedeutendheit, welche das Werk
mit allen Werken Wildenbrnchs gemein hat, bis zu einem gewissen Grade auf
eine geistige Schranke des Dichters zurückzuführen sein dürfte, so ist sie doch
zum Teil wohl auch durch deu Stoff selbst bedingt worden -- wie soll ein
Dichter, der sich seine Stoffe aus den entlegensten Jahrhunderten zusammen-
sucht, beweisen, daß er auf der Höhe seines Jahrhunderts stehe oder gar über
sie hinausrage! Der Künstler hat seine geistige Größe wohl vor allem darin
zu beweisen, daß er ein großer Künstler ist; aber ein Dichter und Dramatiker
muß auch zugleich eine große geistige Macht sein, weil er ohne sie auch kein
wahrhaft großer Künstler sein kann, der den gesteigerten Ansprüchen einer hoch¬
entwickelten Nation zu genügen vermag.

Wenn Herr von Wildenbruch diese Zeilen liest, so wird er ohne Zweifel
ein Lächeln nicht unterdrücken können; denn es ist kein Geheimnis, daß er zu
den Schriftstellern gehört, die sich selbst anbeten. Aber gerade diese Selbst-
anbetnng scheint mir eine Gefahr für den begabten Schriftsteller zu sein. Wie
sich diese Krankheit in ihm entwickeln konnte, läßt sich wohl begreifen. Man
denke sich einen Mann, der vom brennendsten Ehrgeiz erfüllt ist, das Edle nicht
nur zu leiste:?, sondern es auch anerkannt und gefeiert zu sehen, der aber überall
mitleidigem Lächeln begegnet und sechsunddreißig Jahre alt werden muß,
bis ihn ein glücklicher Zufall uicht nur aus dem Dunkel hervorzieht, sondern
sogleich auf die Höhe des Erfolges reißt! Mußte schon der verkannte Dichter
ein krankhaftes Selbstgefühl in sich nähren, um nicht verzweifelnd ins Wasser
zu springen, so hätte der über Nacht berühmt gewordene Dichter wirklich ein
Riesengeist sein müssen, wenn ihn der Erfolg uicht hätte schwindlig mache" und
in ihm das Bewußtsein von seiner Größe zur Ungeheuerlichkeit steigern sollen.
Wenn aber dieses Selbstgefühl zur Selbstgefälligkeit wird, so ist das schon für
einen jungen Künstler gefährlich, für einen Mann von vierzig Jahren muß es
zum Unheil werden; und das wäre immerhin zu beklagen.

Wildenbruch ist kein großer Dramatiker, ihm fehlen dazu reine Tiefe der
Empfindung (oder doch die Fähigkeit, sie zum Ausdruck zu bringen), Weite des
Gesichtskreises, Hohe des geistigen Standpunktes und philosophischer Tiefsinn,
ohne den der begabteste Dramatiker nicht über den talentvollen Theaterstück-
schrciber hinauswachsen kann; er sieht zudem an seinen Stoffen zu wenig, was


Grenzboten IV. 183". 4K
Neue Theaterstücke.

nur die größte künstlerische Kraft hier das Gegebene so zu bewältigen vermag,
daß der Darstellung des menschlichen Konflikts die Darstellung der äußeren ge¬
schichtlichen Bedingungen nicht aufgeopfert werde. Mit diesem Mangel hängt
es wohl auch zusammen, daß das Schauspiel ohne hervorragenden geistigen
Gehalt ist. Im Jahre 1886 einen Priester gegen die Seelentyrannei der
Hierarchie sprechen zu lassen, selbst in tiefempfundenen Worten sprechen zu lassen,
null nichts bedeuten; auch sind über diese Verhältnisse schon sehr viel geistvollere
und eiuschucidendere Worte gesprochen worden, namentlich von Leuten, die keine
Dichter waren. Wenn nun auch diese geistige Unbedeutendheit, welche das Werk
mit allen Werken Wildenbrnchs gemein hat, bis zu einem gewissen Grade auf
eine geistige Schranke des Dichters zurückzuführen sein dürfte, so ist sie doch
zum Teil wohl auch durch deu Stoff selbst bedingt worden — wie soll ein
Dichter, der sich seine Stoffe aus den entlegensten Jahrhunderten zusammen-
sucht, beweisen, daß er auf der Höhe seines Jahrhunderts stehe oder gar über
sie hinausrage! Der Künstler hat seine geistige Größe wohl vor allem darin
zu beweisen, daß er ein großer Künstler ist; aber ein Dichter und Dramatiker
muß auch zugleich eine große geistige Macht sein, weil er ohne sie auch kein
wahrhaft großer Künstler sein kann, der den gesteigerten Ansprüchen einer hoch¬
entwickelten Nation zu genügen vermag.

Wenn Herr von Wildenbruch diese Zeilen liest, so wird er ohne Zweifel
ein Lächeln nicht unterdrücken können; denn es ist kein Geheimnis, daß er zu
den Schriftstellern gehört, die sich selbst anbeten. Aber gerade diese Selbst-
anbetnng scheint mir eine Gefahr für den begabten Schriftsteller zu sein. Wie
sich diese Krankheit in ihm entwickeln konnte, läßt sich wohl begreifen. Man
denke sich einen Mann, der vom brennendsten Ehrgeiz erfüllt ist, das Edle nicht
nur zu leiste:?, sondern es auch anerkannt und gefeiert zu sehen, der aber überall
mitleidigem Lächeln begegnet und sechsunddreißig Jahre alt werden muß,
bis ihn ein glücklicher Zufall uicht nur aus dem Dunkel hervorzieht, sondern
sogleich auf die Höhe des Erfolges reißt! Mußte schon der verkannte Dichter
ein krankhaftes Selbstgefühl in sich nähren, um nicht verzweifelnd ins Wasser
zu springen, so hätte der über Nacht berühmt gewordene Dichter wirklich ein
Riesengeist sein müssen, wenn ihn der Erfolg uicht hätte schwindlig mache» und
in ihm das Bewußtsein von seiner Größe zur Ungeheuerlichkeit steigern sollen.
Wenn aber dieses Selbstgefühl zur Selbstgefälligkeit wird, so ist das schon für
einen jungen Künstler gefährlich, für einen Mann von vierzig Jahren muß es
zum Unheil werden; und das wäre immerhin zu beklagen.

Wildenbruch ist kein großer Dramatiker, ihm fehlen dazu reine Tiefe der
Empfindung (oder doch die Fähigkeit, sie zum Ausdruck zu bringen), Weite des
Gesichtskreises, Hohe des geistigen Standpunktes und philosophischer Tiefsinn,
ohne den der begabteste Dramatiker nicht über den talentvollen Theaterstück-
schrciber hinauswachsen kann; er sieht zudem an seinen Stoffen zu wenig, was


Grenzboten IV. 183». 4K
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[0345] Neue Theaterstücke. nur die größte künstlerische Kraft hier das Gegebene so zu bewältigen vermag, daß der Darstellung des menschlichen Konflikts die Darstellung der äußeren ge¬ schichtlichen Bedingungen nicht aufgeopfert werde. Mit diesem Mangel hängt es wohl auch zusammen, daß das Schauspiel ohne hervorragenden geistigen Gehalt ist. Im Jahre 1886 einen Priester gegen die Seelentyrannei der Hierarchie sprechen zu lassen, selbst in tiefempfundenen Worten sprechen zu lassen, null nichts bedeuten; auch sind über diese Verhältnisse schon sehr viel geistvollere und eiuschucidendere Worte gesprochen worden, namentlich von Leuten, die keine Dichter waren. Wenn nun auch diese geistige Unbedeutendheit, welche das Werk mit allen Werken Wildenbrnchs gemein hat, bis zu einem gewissen Grade auf eine geistige Schranke des Dichters zurückzuführen sein dürfte, so ist sie doch zum Teil wohl auch durch deu Stoff selbst bedingt worden — wie soll ein Dichter, der sich seine Stoffe aus den entlegensten Jahrhunderten zusammen- sucht, beweisen, daß er auf der Höhe seines Jahrhunderts stehe oder gar über sie hinausrage! Der Künstler hat seine geistige Größe wohl vor allem darin zu beweisen, daß er ein großer Künstler ist; aber ein Dichter und Dramatiker muß auch zugleich eine große geistige Macht sein, weil er ohne sie auch kein wahrhaft großer Künstler sein kann, der den gesteigerten Ansprüchen einer hoch¬ entwickelten Nation zu genügen vermag. Wenn Herr von Wildenbruch diese Zeilen liest, so wird er ohne Zweifel ein Lächeln nicht unterdrücken können; denn es ist kein Geheimnis, daß er zu den Schriftstellern gehört, die sich selbst anbeten. Aber gerade diese Selbst- anbetnng scheint mir eine Gefahr für den begabten Schriftsteller zu sein. Wie sich diese Krankheit in ihm entwickeln konnte, läßt sich wohl begreifen. Man denke sich einen Mann, der vom brennendsten Ehrgeiz erfüllt ist, das Edle nicht nur zu leiste:?, sondern es auch anerkannt und gefeiert zu sehen, der aber überall mitleidigem Lächeln begegnet und sechsunddreißig Jahre alt werden muß, bis ihn ein glücklicher Zufall uicht nur aus dem Dunkel hervorzieht, sondern sogleich auf die Höhe des Erfolges reißt! Mußte schon der verkannte Dichter ein krankhaftes Selbstgefühl in sich nähren, um nicht verzweifelnd ins Wasser zu springen, so hätte der über Nacht berühmt gewordene Dichter wirklich ein Riesengeist sein müssen, wenn ihn der Erfolg uicht hätte schwindlig mache» und in ihm das Bewußtsein von seiner Größe zur Ungeheuerlichkeit steigern sollen. Wenn aber dieses Selbstgefühl zur Selbstgefälligkeit wird, so ist das schon für einen jungen Künstler gefährlich, für einen Mann von vierzig Jahren muß es zum Unheil werden; und das wäre immerhin zu beklagen. Wildenbruch ist kein großer Dramatiker, ihm fehlen dazu reine Tiefe der Empfindung (oder doch die Fähigkeit, sie zum Ausdruck zu bringen), Weite des Gesichtskreises, Hohe des geistigen Standpunktes und philosophischer Tiefsinn, ohne den der begabteste Dramatiker nicht über den talentvollen Theaterstück- schrciber hinauswachsen kann; er sieht zudem an seinen Stoffen zu wenig, was Grenzboten IV. 183». 4K

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/345>, abgerufen am 28.09.2024.