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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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verständige und verständliche Handlung in besonnener und edler Weise zur Dar¬
stellung zu bringen: ein Priester, der gezwungen wird, seinem Könige treulos
zu werden, der dann mit großer Kühnheit einer menschlichen Regung nachgiebt,
den Bann der Kirche auf sich ladet, sein eheliches Leben schänden lassen muß,
von seiner Gemeinde verlassen wird, in die Ferne zieht und hier zwnr den Sieg
seines Königs noch erlebt, aber zugleich auch den Tod seines Weibes erleidet.
Die Handlung ist von Wildenbruch sehr geschickt entwickelt; der Höhepunkt des
Ganzen, die Rettung der bedrohten, auf dem Schmerzenslager zuckenden Königin,
ist zwar so gewagt wie möglich, scheint sich aber ganz von selbst zu geben,
sodaß man die kunstvolle Kühnheit des Dramatikers wohl bewundern muß;
ebenso bewunderungswürdig ist die Szene im ersten Akt, welche mit der Ver¬
lesung der Bannbulle beginnt und mit den Verzweiflungsrufen Wimars*) endet;
und sehr schön ist die Schlußwcndung, daß Wimar dem sterbenden Priester, der
ihm den Fluch gebracht hatte, den Segen erteilt. Mit einem Worte: des Lobens-
und Rühmenswerten hat Wildenbruch diesmal genug geleistet, und niemand soll
ihm das abstreiten. Aber gerade weil sich Wildenbruch diesmal als ein Künstler
gezeigt hat, der es verdient, daß mau ihm die Wahrheit sage, so dürfen auch
die Mängel des Werkes nicht verschwiegen werden. Die Kunst des Verses hat
Wildenbruch in jungen Jahren leider nicht erlernt, er wird sie sich in ältere"
Jahren schwerlich noch aneignen. Nur auf den Höhepunkten der Handlung
wenn das Feuer in ihm lodert, wird auch seine Sprache fließend, rhythmisch
und edel; im übrigen bleibt sie schlottrig, unrhythmisch und fällt leicht ins
Gewöhnliche. Hoch soll es dem Dichter dennoch angerechnet werden, daß er
diesmal der Bildersprache fast ganz entsagt und sich bemüht hat, so einfach wie
möglich zu reden.

Schwerer wiegt der Umstand, daß das Schauspiel eigentlich ganz episo¬
discher Natur ist; es schränkt sich alles ans den menschlichen Konflikt in Wimar**)
ein. Von dem politisch-religiösen Treiben hören und scheu wir so gut wie
nichts; selbst der Einführung des Cölibats wird nur ganz nebenbei gedacht und
wohl nnr, um den Tod Marthas notdürftig zu motiviren. Gerade an einem
solchen Falle können wir gewahr werden, wie mißlich sür das Drama (das wie
alle echte Kunst ganz im Gemüt wurzeln muß) geschichtliche Stoffe sind, weil




Der Papst ist Gott! Sein Wort ist Gottes Wort!
Bruder, ich habe meinen Gott verloren,
Ich brauche einen Gott -- gieb mir sein Wort --
Sein Wort soll in mich dringen und mein Herz
Todschlagen, mein wahnsinniges --
(er klammert sich an Bruno und drückt sich die Bannbulle ans Herz)
So -- so -- so -- so.
Ob es beabsichtigt ist, daß Wimar eigentlich gar nichts von einem katholischen Priester
in sich hat, daß der Luther bereits in ihm lebendig ist? Oder ging dem Dichter die Fähig¬
keit ab, sich in die Seele eines katholischen Priesters zu versetzen?

verständige und verständliche Handlung in besonnener und edler Weise zur Dar¬
stellung zu bringen: ein Priester, der gezwungen wird, seinem Könige treulos
zu werden, der dann mit großer Kühnheit einer menschlichen Regung nachgiebt,
den Bann der Kirche auf sich ladet, sein eheliches Leben schänden lassen muß,
von seiner Gemeinde verlassen wird, in die Ferne zieht und hier zwnr den Sieg
seines Königs noch erlebt, aber zugleich auch den Tod seines Weibes erleidet.
Die Handlung ist von Wildenbruch sehr geschickt entwickelt; der Höhepunkt des
Ganzen, die Rettung der bedrohten, auf dem Schmerzenslager zuckenden Königin,
ist zwar so gewagt wie möglich, scheint sich aber ganz von selbst zu geben,
sodaß man die kunstvolle Kühnheit des Dramatikers wohl bewundern muß;
ebenso bewunderungswürdig ist die Szene im ersten Akt, welche mit der Ver¬
lesung der Bannbulle beginnt und mit den Verzweiflungsrufen Wimars*) endet;
und sehr schön ist die Schlußwcndung, daß Wimar dem sterbenden Priester, der
ihm den Fluch gebracht hatte, den Segen erteilt. Mit einem Worte: des Lobens-
und Rühmenswerten hat Wildenbruch diesmal genug geleistet, und niemand soll
ihm das abstreiten. Aber gerade weil sich Wildenbruch diesmal als ein Künstler
gezeigt hat, der es verdient, daß mau ihm die Wahrheit sage, so dürfen auch
die Mängel des Werkes nicht verschwiegen werden. Die Kunst des Verses hat
Wildenbruch in jungen Jahren leider nicht erlernt, er wird sie sich in ältere»
Jahren schwerlich noch aneignen. Nur auf den Höhepunkten der Handlung
wenn das Feuer in ihm lodert, wird auch seine Sprache fließend, rhythmisch
und edel; im übrigen bleibt sie schlottrig, unrhythmisch und fällt leicht ins
Gewöhnliche. Hoch soll es dem Dichter dennoch angerechnet werden, daß er
diesmal der Bildersprache fast ganz entsagt und sich bemüht hat, so einfach wie
möglich zu reden.

Schwerer wiegt der Umstand, daß das Schauspiel eigentlich ganz episo¬
discher Natur ist; es schränkt sich alles ans den menschlichen Konflikt in Wimar**)
ein. Von dem politisch-religiösen Treiben hören und scheu wir so gut wie
nichts; selbst der Einführung des Cölibats wird nur ganz nebenbei gedacht und
wohl nnr, um den Tod Marthas notdürftig zu motiviren. Gerade an einem
solchen Falle können wir gewahr werden, wie mißlich sür das Drama (das wie
alle echte Kunst ganz im Gemüt wurzeln muß) geschichtliche Stoffe sind, weil




Der Papst ist Gott! Sein Wort ist Gottes Wort!
Bruder, ich habe meinen Gott verloren,
Ich brauche einen Gott — gieb mir sein Wort —
Sein Wort soll in mich dringen und mein Herz
Todschlagen, mein wahnsinniges —
(er klammert sich an Bruno und drückt sich die Bannbulle ans Herz)
So — so — so — so.
Ob es beabsichtigt ist, daß Wimar eigentlich gar nichts von einem katholischen Priester
in sich hat, daß der Luther bereits in ihm lebendig ist? Oder ging dem Dichter die Fähig¬
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[0344] verständige und verständliche Handlung in besonnener und edler Weise zur Dar¬ stellung zu bringen: ein Priester, der gezwungen wird, seinem Könige treulos zu werden, der dann mit großer Kühnheit einer menschlichen Regung nachgiebt, den Bann der Kirche auf sich ladet, sein eheliches Leben schänden lassen muß, von seiner Gemeinde verlassen wird, in die Ferne zieht und hier zwnr den Sieg seines Königs noch erlebt, aber zugleich auch den Tod seines Weibes erleidet. Die Handlung ist von Wildenbruch sehr geschickt entwickelt; der Höhepunkt des Ganzen, die Rettung der bedrohten, auf dem Schmerzenslager zuckenden Königin, ist zwar so gewagt wie möglich, scheint sich aber ganz von selbst zu geben, sodaß man die kunstvolle Kühnheit des Dramatikers wohl bewundern muß; ebenso bewunderungswürdig ist die Szene im ersten Akt, welche mit der Ver¬ lesung der Bannbulle beginnt und mit den Verzweiflungsrufen Wimars*) endet; und sehr schön ist die Schlußwcndung, daß Wimar dem sterbenden Priester, der ihm den Fluch gebracht hatte, den Segen erteilt. Mit einem Worte: des Lobens- und Rühmenswerten hat Wildenbruch diesmal genug geleistet, und niemand soll ihm das abstreiten. Aber gerade weil sich Wildenbruch diesmal als ein Künstler gezeigt hat, der es verdient, daß mau ihm die Wahrheit sage, so dürfen auch die Mängel des Werkes nicht verschwiegen werden. Die Kunst des Verses hat Wildenbruch in jungen Jahren leider nicht erlernt, er wird sie sich in ältere» Jahren schwerlich noch aneignen. Nur auf den Höhepunkten der Handlung wenn das Feuer in ihm lodert, wird auch seine Sprache fließend, rhythmisch und edel; im übrigen bleibt sie schlottrig, unrhythmisch und fällt leicht ins Gewöhnliche. Hoch soll es dem Dichter dennoch angerechnet werden, daß er diesmal der Bildersprache fast ganz entsagt und sich bemüht hat, so einfach wie möglich zu reden. Schwerer wiegt der Umstand, daß das Schauspiel eigentlich ganz episo¬ discher Natur ist; es schränkt sich alles ans den menschlichen Konflikt in Wimar**) ein. Von dem politisch-religiösen Treiben hören und scheu wir so gut wie nichts; selbst der Einführung des Cölibats wird nur ganz nebenbei gedacht und wohl nnr, um den Tod Marthas notdürftig zu motiviren. Gerade an einem solchen Falle können wir gewahr werden, wie mißlich sür das Drama (das wie alle echte Kunst ganz im Gemüt wurzeln muß) geschichtliche Stoffe sind, weil Der Papst ist Gott! Sein Wort ist Gottes Wort! Bruder, ich habe meinen Gott verloren, Ich brauche einen Gott — gieb mir sein Wort — Sein Wort soll in mich dringen und mein Herz Todschlagen, mein wahnsinniges — (er klammert sich an Bruno und drückt sich die Bannbulle ans Herz) So — so — so — so. Ob es beabsichtigt ist, daß Wimar eigentlich gar nichts von einem katholischen Priester in sich hat, daß der Luther bereits in ihm lebendig ist? Oder ging dem Dichter die Fähig¬ keit ab, sich in die Seele eines katholischen Priesters zu versetzen?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/344>, abgerufen am 28.09.2024.