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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Zur Lebensbeschreibung Heinrichs von Kleist.

seine Vorbereitung. Um so Großes zu vollbringen, wie es seiner Phantasie vor¬
schwebte, hielt er es für nötig, seinen Geist unaufhörlich zu Schulen.

Daß dem Dichter unter diesen Umständen der militärische Beruf, der seine
beste Zeit und seine beste Kraft in Anspruch nahm, immer mehr verhaßt wurde,
ist selbstverständlich. Schon im Frühjahr 1798 faßt er den Entschluß, der
seinem innersten Wesen fremdartigen Laufbahn zu entsagen, kommt dann freilich,
durch eigue Überlegung wohl weniger als durch fremde Überredung, wieder
dahin, von der sofortigen Ausführung des Entschlusses abzustehen. Doch mir
ein Jahr noch hält es ihn in dem alten Geleise. Als er im Frühjahr 1799
wirklich aus dem Heere ausscheidet, legt er in einem langen Briefe an einen
ehemaligen Hauslehrer dem für seine Augehörigen hochbcfremdlicheu Schritte
die interessanteste Begründung unter. Er will glücklich sein, und Glück ist ihm
das erfreuliche Anschauen der moralischen Schönheit des eignen Wesens; nicht
ein bestimmtes wissenschaftliches Ziel schwebt ihm vor, er will sein Selbst zur
vollkommenste!? Ausbildung bringen; ob er dereinst wieder ein Amt nehmen
wird, erscheint ihm dunkel, denn nur ans sein Herz will er bauen u. s. w. "Ob
er je wieder ein Amt wird nehmen, erscheint ihm dunkel." Es ist zu ver¬
wundern, daß Brechen diesen Satz nicht mehr beachtet hat. Kleist, der in der
That niemals dauernd ein Amt angenommen hat, ans dem Grnnde nicht an¬
genommen hat, weil er damit eine Untreue an seinem Genius zu begehen
fürchtet -- Kleist zweifelt schon bei seinem Ausscheiden aus der Militärlaufbcchu
daran, ob er je wieder in ein Amt eintreten werde! Nun wahrlich, wenn wir
den werdenden Kleist aus dem später wirklich gewordnen erklären Wollen, was
wir doch müssen, können wir etwas andres annehmen, als daß Heinrich sich
mit diesen Worten eine Richtschnur für sein Leben gezogen habe? Dies wird
uns noch weniger zweifelhaft, wenn wir in dem erwähnten Briefe um den Haus¬
lehrer die folgende Äußerung über seine Absichten für die Zukunft lesen: "Es
ist möglich, daß ich einst für ratsam halte, ein Amt zu suche", und ich hoffe auch
für diesen Fall, daß es mir leicht werden wird, mich für das Besondre eines
Amtes zu bilden, wenn ich mich für das Allgemeine, für das Leben, gebildet
habe. Aber ich bezweifle diesen möglichen Schritt, weil ich die goldne Unab¬
hängigkeit zu veräußern mich stets scheuen werde, wenn ich erst einmal so glücklich
wäre, sie mir wieder erworben zu haben. Diese Äußerung ist es besonders, die
ich zu verschweige" bitte, weil sie mir viele Unannehmlichkeiten vonseiten meines
Vormundes verursachen würde, der mir schon erklärt hat, ein Mündel müsse sich
für einen festen Lebensplan bestimmen." Zweierlei ist hiernach gewiß: Heinrich
denkt beim Abschiede von dem Heere an keinen neuen praktischen Beruf, also anch
nicht an den des Gelehrten, und sein geheimster Wunsch geht auf den Besitz
der vollen, "goldnen Unabhängigkeit." Die Bildung für das "Allgemeine" ist
fein nächstes Ziel, die volle Unabhängigkeit seine Hoffnung -- was ist das "All¬
gemeine" in Klcists Leben, das alles Durchdringende und Überwindende, wenn


Zur Lebensbeschreibung Heinrichs von Kleist.

seine Vorbereitung. Um so Großes zu vollbringen, wie es seiner Phantasie vor¬
schwebte, hielt er es für nötig, seinen Geist unaufhörlich zu Schulen.

Daß dem Dichter unter diesen Umständen der militärische Beruf, der seine
beste Zeit und seine beste Kraft in Anspruch nahm, immer mehr verhaßt wurde,
ist selbstverständlich. Schon im Frühjahr 1798 faßt er den Entschluß, der
seinem innersten Wesen fremdartigen Laufbahn zu entsagen, kommt dann freilich,
durch eigue Überlegung wohl weniger als durch fremde Überredung, wieder
dahin, von der sofortigen Ausführung des Entschlusses abzustehen. Doch mir
ein Jahr noch hält es ihn in dem alten Geleise. Als er im Frühjahr 1799
wirklich aus dem Heere ausscheidet, legt er in einem langen Briefe an einen
ehemaligen Hauslehrer dem für seine Augehörigen hochbcfremdlicheu Schritte
die interessanteste Begründung unter. Er will glücklich sein, und Glück ist ihm
das erfreuliche Anschauen der moralischen Schönheit des eignen Wesens; nicht
ein bestimmtes wissenschaftliches Ziel schwebt ihm vor, er will sein Selbst zur
vollkommenste!? Ausbildung bringen; ob er dereinst wieder ein Amt nehmen
wird, erscheint ihm dunkel, denn nur ans sein Herz will er bauen u. s. w. „Ob
er je wieder ein Amt wird nehmen, erscheint ihm dunkel." Es ist zu ver¬
wundern, daß Brechen diesen Satz nicht mehr beachtet hat. Kleist, der in der
That niemals dauernd ein Amt angenommen hat, ans dem Grnnde nicht an¬
genommen hat, weil er damit eine Untreue an seinem Genius zu begehen
fürchtet — Kleist zweifelt schon bei seinem Ausscheiden aus der Militärlaufbcchu
daran, ob er je wieder in ein Amt eintreten werde! Nun wahrlich, wenn wir
den werdenden Kleist aus dem später wirklich gewordnen erklären Wollen, was
wir doch müssen, können wir etwas andres annehmen, als daß Heinrich sich
mit diesen Worten eine Richtschnur für sein Leben gezogen habe? Dies wird
uns noch weniger zweifelhaft, wenn wir in dem erwähnten Briefe um den Haus¬
lehrer die folgende Äußerung über seine Absichten für die Zukunft lesen: „Es
ist möglich, daß ich einst für ratsam halte, ein Amt zu suche», und ich hoffe auch
für diesen Fall, daß es mir leicht werden wird, mich für das Besondre eines
Amtes zu bilden, wenn ich mich für das Allgemeine, für das Leben, gebildet
habe. Aber ich bezweifle diesen möglichen Schritt, weil ich die goldne Unab¬
hängigkeit zu veräußern mich stets scheuen werde, wenn ich erst einmal so glücklich
wäre, sie mir wieder erworben zu haben. Diese Äußerung ist es besonders, die
ich zu verschweige» bitte, weil sie mir viele Unannehmlichkeiten vonseiten meines
Vormundes verursachen würde, der mir schon erklärt hat, ein Mündel müsse sich
für einen festen Lebensplan bestimmen." Zweierlei ist hiernach gewiß: Heinrich
denkt beim Abschiede von dem Heere an keinen neuen praktischen Beruf, also anch
nicht an den des Gelehrten, und sein geheimster Wunsch geht auf den Besitz
der vollen, „goldnen Unabhängigkeit." Die Bildung für das „Allgemeine" ist
fein nächstes Ziel, die volle Unabhängigkeit seine Hoffnung — was ist das „All¬
gemeine" in Klcists Leben, das alles Durchdringende und Überwindende, wenn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/332>, abgerufen am 20.10.2024.