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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Zur Lebensbeschreibung Heinrichs von Kleist.

Wenn sich auf deS Krieges Donnerwagen
Menschen waffnen, auf der Zwietracht Ruf,
Menschen, die im Busen Herzen tragen,
Herzen, die der Gott der Liebe schuf:
Denk' ich, können sie doch mir nichts raube",
Nicht den Frieden, der sich selbst bewährt,
Nicht die Unschuld, nicht um Gott den Glauben,
Der dem Hasse wie dem Schrecken wehrt,
Nicht des Ahorns dunklem Schatten wehren,
Daß er mich im Weizenfeld erquickt,
Und das Lied der Nachtigall nicht stören,
Die den stillen Busen mir entzückt.

Der Ausdruck ist nicht großartig, die Gedanken sind nicht tiefsinnig (und
man wird beides bei dein jugendlichen Alter des Dichters nicht erwarten), aber
die zu Grunde liegende Stimmung ist ganz poetisch. Wir sehen, daß die zart¬
besaitete, Lieder bildende Seele des jungen Kriegers vor dem rauhen Waffen-
handwerke zurückschreckt, wir sehen, daß schon der Knabe sich eine Quelle des
innern Friedens sucht, die der ihm aufgezwungene Beruf nicht gewähren kann.
Das Gedicht (und das ist sehr bemerkenswert!) weist diejenige Stimmung ans,
die den Dichter nicht mehr verläßt, bis er den verhaßten Beruf abgeschüttelt
hat. Die Abneigung gegen den Soldateuberuf und die Neigung zur Poesie
sehen wir bei dem jungen Kleist aufs engste verknüpft. Das nächste Zeugnis
seines Geistes liegt in einem ans dem Jahre 1795 stammenden Briefe vor.
Vom Nheinfeldznge gegen Frankreich, den er mitmachte, schreibt er seiner
Schwester Ulrike: "Gebe uns der Himmel nnr Frieden, um die Zeit, die wir
hier so unmoralisch töten, mit menschenfreundlicheren Thaten bezahlen zu können."
Merkwürdig ist in dieser Äußerung, daß sie sich nicht nur negativ gegen den
Beruf kehrt, sondern positiv auf ein Feld für edlere Thaten hinweist, wobei die
Vermutung, die Äußerung ziele auf poetische Thaten hin, zum mindesten nicht
ausgeschlossen ist.

Ja diese Vermutung erhält eine direkte Unterstützung durch eine Äußerung,
die Kleist sechs Jahre später von Paris aus that: "Ich habe den Lauf
meiner Studie" plötzlich unterbrochen -- schreibt er -- und werde das Versäumte
hier nachholen; aber nicht mehr bloß um der Wahrheit willen, sondern für
einen menschenfreundlicheren Zweck." Zu der Zeit, in welche diese letztere
Äußerung fällt, war Kleist mit Robert Guiseard beschäftigt, "ud es leidet keinen
Zweifel, daß er unter dem "menschenfreundlicheren Zweck" die Poesie versteht.

Einen weiteren Beweis von der fortschreitenden Geistesentwicklung Kleists
giebt ein Stammbuchblatt. Der Potsdamer Gardefähndrich schreibt: "Geschöpfe,
die den Wert ihres Daseins empfinden, die ins Vergangene froh zurückblicken,
das Gegenwärtige genießen und in der Zukunft Himmel über Himmel in "übe-


Grenzboten IV. 1886. 41
Zur Lebensbeschreibung Heinrichs von Kleist.

Wenn sich auf deS Krieges Donnerwagen
Menschen waffnen, auf der Zwietracht Ruf,
Menschen, die im Busen Herzen tragen,
Herzen, die der Gott der Liebe schuf:
Denk' ich, können sie doch mir nichts raube»,
Nicht den Frieden, der sich selbst bewährt,
Nicht die Unschuld, nicht um Gott den Glauben,
Der dem Hasse wie dem Schrecken wehrt,
Nicht des Ahorns dunklem Schatten wehren,
Daß er mich im Weizenfeld erquickt,
Und das Lied der Nachtigall nicht stören,
Die den stillen Busen mir entzückt.

Der Ausdruck ist nicht großartig, die Gedanken sind nicht tiefsinnig (und
man wird beides bei dein jugendlichen Alter des Dichters nicht erwarten), aber
die zu Grunde liegende Stimmung ist ganz poetisch. Wir sehen, daß die zart¬
besaitete, Lieder bildende Seele des jungen Kriegers vor dem rauhen Waffen-
handwerke zurückschreckt, wir sehen, daß schon der Knabe sich eine Quelle des
innern Friedens sucht, die der ihm aufgezwungene Beruf nicht gewähren kann.
Das Gedicht (und das ist sehr bemerkenswert!) weist diejenige Stimmung ans,
die den Dichter nicht mehr verläßt, bis er den verhaßten Beruf abgeschüttelt
hat. Die Abneigung gegen den Soldateuberuf und die Neigung zur Poesie
sehen wir bei dem jungen Kleist aufs engste verknüpft. Das nächste Zeugnis
seines Geistes liegt in einem ans dem Jahre 1795 stammenden Briefe vor.
Vom Nheinfeldznge gegen Frankreich, den er mitmachte, schreibt er seiner
Schwester Ulrike: „Gebe uns der Himmel nnr Frieden, um die Zeit, die wir
hier so unmoralisch töten, mit menschenfreundlicheren Thaten bezahlen zu können."
Merkwürdig ist in dieser Äußerung, daß sie sich nicht nur negativ gegen den
Beruf kehrt, sondern positiv auf ein Feld für edlere Thaten hinweist, wobei die
Vermutung, die Äußerung ziele auf poetische Thaten hin, zum mindesten nicht
ausgeschlossen ist.

Ja diese Vermutung erhält eine direkte Unterstützung durch eine Äußerung,
die Kleist sechs Jahre später von Paris aus that: „Ich habe den Lauf
meiner Studie» plötzlich unterbrochen — schreibt er — und werde das Versäumte
hier nachholen; aber nicht mehr bloß um der Wahrheit willen, sondern für
einen menschenfreundlicheren Zweck." Zu der Zeit, in welche diese letztere
Äußerung fällt, war Kleist mit Robert Guiseard beschäftigt, »ud es leidet keinen
Zweifel, daß er unter dem „menschenfreundlicheren Zweck" die Poesie versteht.

Einen weiteren Beweis von der fortschreitenden Geistesentwicklung Kleists
giebt ein Stammbuchblatt. Der Potsdamer Gardefähndrich schreibt: „Geschöpfe,
die den Wert ihres Daseins empfinden, die ins Vergangene froh zurückblicken,
das Gegenwärtige genießen und in der Zukunft Himmel über Himmel in »übe-


Grenzboten IV. 1886. 41
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[0329] Zur Lebensbeschreibung Heinrichs von Kleist. Wenn sich auf deS Krieges Donnerwagen Menschen waffnen, auf der Zwietracht Ruf, Menschen, die im Busen Herzen tragen, Herzen, die der Gott der Liebe schuf: Denk' ich, können sie doch mir nichts raube», Nicht den Frieden, der sich selbst bewährt, Nicht die Unschuld, nicht um Gott den Glauben, Der dem Hasse wie dem Schrecken wehrt, Nicht des Ahorns dunklem Schatten wehren, Daß er mich im Weizenfeld erquickt, Und das Lied der Nachtigall nicht stören, Die den stillen Busen mir entzückt. Der Ausdruck ist nicht großartig, die Gedanken sind nicht tiefsinnig (und man wird beides bei dein jugendlichen Alter des Dichters nicht erwarten), aber die zu Grunde liegende Stimmung ist ganz poetisch. Wir sehen, daß die zart¬ besaitete, Lieder bildende Seele des jungen Kriegers vor dem rauhen Waffen- handwerke zurückschreckt, wir sehen, daß schon der Knabe sich eine Quelle des innern Friedens sucht, die der ihm aufgezwungene Beruf nicht gewähren kann. Das Gedicht (und das ist sehr bemerkenswert!) weist diejenige Stimmung ans, die den Dichter nicht mehr verläßt, bis er den verhaßten Beruf abgeschüttelt hat. Die Abneigung gegen den Soldateuberuf und die Neigung zur Poesie sehen wir bei dem jungen Kleist aufs engste verknüpft. Das nächste Zeugnis seines Geistes liegt in einem ans dem Jahre 1795 stammenden Briefe vor. Vom Nheinfeldznge gegen Frankreich, den er mitmachte, schreibt er seiner Schwester Ulrike: „Gebe uns der Himmel nnr Frieden, um die Zeit, die wir hier so unmoralisch töten, mit menschenfreundlicheren Thaten bezahlen zu können." Merkwürdig ist in dieser Äußerung, daß sie sich nicht nur negativ gegen den Beruf kehrt, sondern positiv auf ein Feld für edlere Thaten hinweist, wobei die Vermutung, die Äußerung ziele auf poetische Thaten hin, zum mindesten nicht ausgeschlossen ist. Ja diese Vermutung erhält eine direkte Unterstützung durch eine Äußerung, die Kleist sechs Jahre später von Paris aus that: „Ich habe den Lauf meiner Studie» plötzlich unterbrochen — schreibt er — und werde das Versäumte hier nachholen; aber nicht mehr bloß um der Wahrheit willen, sondern für einen menschenfreundlicheren Zweck." Zu der Zeit, in welche diese letztere Äußerung fällt, war Kleist mit Robert Guiseard beschäftigt, »ud es leidet keinen Zweifel, daß er unter dem „menschenfreundlicheren Zweck" die Poesie versteht. Einen weiteren Beweis von der fortschreitenden Geistesentwicklung Kleists giebt ein Stammbuchblatt. Der Potsdamer Gardefähndrich schreibt: „Geschöpfe, die den Wert ihres Daseins empfinden, die ins Vergangene froh zurückblicken, das Gegenwärtige genießen und in der Zukunft Himmel über Himmel in »übe- Grenzboten IV. 1886. 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/329>, abgerufen am 20.10.2024.