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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Die deutsche Tmidliga und der deutsche Großgrundbesitz.

bezeichnet werden müssen, und die, wenn sie auch vielleicht keine landwirt¬
schaftlichen Genies sind, doch nicht schlechter wirtschaften als unzählige andre
Dnrchschnittslandwirte auch. Nun ist es doch im allgemeinen gewiß zu weit
gegangen, den Leuten zu sagen: Wenn ihr nicht zu Grunde gehen wollt, so
müßt ihr Genies sein, oder müßt einen Fleiß und eine Sorgfalt an den Tag
legen, die über das Durchschnittsmaß weit Hinausgehen. Thatsächlich aber stehen
zahlreiche Landwirte der hier angedeuteten Art sozusagen einer vollständigen
Ertragslvsigkeit ihrer Güter gegenüber, und es ist sehr hart, daß dieselben eines
Preisstandes wegen, den ja auch der Verfasser als einen wahrscheinlich nur
vorübergehenden betrachtet, aus ihren Verhältnissen herausgeschleudert werden
sollen. Auch der Durchschnittsmensch hat innerhalb seines gewohnten Kreises
seinen Wert, und es ist besser, ihn in diesem Kreise zu lassen, als ihn
(möglicherweise) ganz wertlos zu machen. Es mag Zeiten geben, in denen es
sich empfiehlt, t,!it)ulu Wg, zu machen und überall frische Kraft ans Nuder zu
bringen, und wenn noch so viel individuelles Elend dadurch erzeugt wird; aber
ob wir in der Lage sind, dieses Experiment machen zu müssen, ist doch wohl
eine offene Frage, und erfreulich ist dasselbe sicherlich niemals.

Billige Preise sind für die Masse der Bevölkerung sehr erfreulich, meint
der Verfasser, und weist darauf hin, daß eine Steigerung des Verbrauchs
unsrer Arbeitermassen uns sofort den Absatz unzähliger Produkte, deren Unab-
setzbarkeit wir gegenwärtig so sehr beklagen, schaffen würde. Dies ist in der
That, meines Erachtens, der stärkste Punkt seiner Argumentation. Aber zweierlei
ist doch nicht zu vergessen: erstens, daß seiner eignen Ansicht nach die jetzigen
Preise wohl nicht bleibende sein, sondern bei weiterer Entwicklung der sozialen
Zustände in den Produktivnslündern ohne Zweifel wieder steigen werden, sodaß
wir also mit dem (nicht von heute auf morgen wieder herzustellenden) Ruin
unsrer Landwirtschaft uns keineswegs eine bleibende, sondern nur eine vorüber¬
gehende Besserung unsrer sozialen Lage erkauft haben würden; und zweitens
daß die eigentliche Masse unsrer Bevölkerung heute uoch uicht die Fabrik-,
sondern die Landarbeiter sind. Daß diese aber umso besser genährt und bezahlt
werden kann, daß ihrer umso viel mehr davon abgehalten werden können, in den
Städten und Fabrikbezirken ihr Glück zu versuchen, je mehr der Landwirt (hier
insbesondre der größere) gedeiht, je mehr er zu feineren Kulturen schreitet, je
mehr er überhaupt auf Verbesserungen wenden kaun, das ist doch wohl unan¬
fechtbar. Man glaube aber nur, daß jeder Landwirt mit beiden Händen nach
der Gelegenheit greifen wird, derartige Verbesserungen zu bewerkstelligen, und
daß die Landwirte, die lieber ihre Lebenshaltung verbessern, als einen Mehr¬
ertrag in Kulturen stecken, vielleicht in ganz Deutschland an den Fingern her¬
zuzählen sind.

Allerdings würde null hier das Bestreben einsetzen, unsre ländlichen Ar¬
beiter lieber selbst zu kleinen Besitzern zu machen, und ich würde dagegen auch


Die deutsche Tmidliga und der deutsche Großgrundbesitz.

bezeichnet werden müssen, und die, wenn sie auch vielleicht keine landwirt¬
schaftlichen Genies sind, doch nicht schlechter wirtschaften als unzählige andre
Dnrchschnittslandwirte auch. Nun ist es doch im allgemeinen gewiß zu weit
gegangen, den Leuten zu sagen: Wenn ihr nicht zu Grunde gehen wollt, so
müßt ihr Genies sein, oder müßt einen Fleiß und eine Sorgfalt an den Tag
legen, die über das Durchschnittsmaß weit Hinausgehen. Thatsächlich aber stehen
zahlreiche Landwirte der hier angedeuteten Art sozusagen einer vollständigen
Ertragslvsigkeit ihrer Güter gegenüber, und es ist sehr hart, daß dieselben eines
Preisstandes wegen, den ja auch der Verfasser als einen wahrscheinlich nur
vorübergehenden betrachtet, aus ihren Verhältnissen herausgeschleudert werden
sollen. Auch der Durchschnittsmensch hat innerhalb seines gewohnten Kreises
seinen Wert, und es ist besser, ihn in diesem Kreise zu lassen, als ihn
(möglicherweise) ganz wertlos zu machen. Es mag Zeiten geben, in denen es
sich empfiehlt, t,!it)ulu Wg, zu machen und überall frische Kraft ans Nuder zu
bringen, und wenn noch so viel individuelles Elend dadurch erzeugt wird; aber
ob wir in der Lage sind, dieses Experiment machen zu müssen, ist doch wohl
eine offene Frage, und erfreulich ist dasselbe sicherlich niemals.

Billige Preise sind für die Masse der Bevölkerung sehr erfreulich, meint
der Verfasser, und weist darauf hin, daß eine Steigerung des Verbrauchs
unsrer Arbeitermassen uns sofort den Absatz unzähliger Produkte, deren Unab-
setzbarkeit wir gegenwärtig so sehr beklagen, schaffen würde. Dies ist in der
That, meines Erachtens, der stärkste Punkt seiner Argumentation. Aber zweierlei
ist doch nicht zu vergessen: erstens, daß seiner eignen Ansicht nach die jetzigen
Preise wohl nicht bleibende sein, sondern bei weiterer Entwicklung der sozialen
Zustände in den Produktivnslündern ohne Zweifel wieder steigen werden, sodaß
wir also mit dem (nicht von heute auf morgen wieder herzustellenden) Ruin
unsrer Landwirtschaft uns keineswegs eine bleibende, sondern nur eine vorüber¬
gehende Besserung unsrer sozialen Lage erkauft haben würden; und zweitens
daß die eigentliche Masse unsrer Bevölkerung heute uoch uicht die Fabrik-,
sondern die Landarbeiter sind. Daß diese aber umso besser genährt und bezahlt
werden kann, daß ihrer umso viel mehr davon abgehalten werden können, in den
Städten und Fabrikbezirken ihr Glück zu versuchen, je mehr der Landwirt (hier
insbesondre der größere) gedeiht, je mehr er zu feineren Kulturen schreitet, je
mehr er überhaupt auf Verbesserungen wenden kaun, das ist doch wohl unan¬
fechtbar. Man glaube aber nur, daß jeder Landwirt mit beiden Händen nach
der Gelegenheit greifen wird, derartige Verbesserungen zu bewerkstelligen, und
daß die Landwirte, die lieber ihre Lebenshaltung verbessern, als einen Mehr¬
ertrag in Kulturen stecken, vielleicht in ganz Deutschland an den Fingern her¬
zuzählen sind.

Allerdings würde null hier das Bestreben einsetzen, unsre ländlichen Ar¬
beiter lieber selbst zu kleinen Besitzern zu machen, und ich würde dagegen auch


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[0322] Die deutsche Tmidliga und der deutsche Großgrundbesitz. bezeichnet werden müssen, und die, wenn sie auch vielleicht keine landwirt¬ schaftlichen Genies sind, doch nicht schlechter wirtschaften als unzählige andre Dnrchschnittslandwirte auch. Nun ist es doch im allgemeinen gewiß zu weit gegangen, den Leuten zu sagen: Wenn ihr nicht zu Grunde gehen wollt, so müßt ihr Genies sein, oder müßt einen Fleiß und eine Sorgfalt an den Tag legen, die über das Durchschnittsmaß weit Hinausgehen. Thatsächlich aber stehen zahlreiche Landwirte der hier angedeuteten Art sozusagen einer vollständigen Ertragslvsigkeit ihrer Güter gegenüber, und es ist sehr hart, daß dieselben eines Preisstandes wegen, den ja auch der Verfasser als einen wahrscheinlich nur vorübergehenden betrachtet, aus ihren Verhältnissen herausgeschleudert werden sollen. Auch der Durchschnittsmensch hat innerhalb seines gewohnten Kreises seinen Wert, und es ist besser, ihn in diesem Kreise zu lassen, als ihn (möglicherweise) ganz wertlos zu machen. Es mag Zeiten geben, in denen es sich empfiehlt, t,!it)ulu Wg, zu machen und überall frische Kraft ans Nuder zu bringen, und wenn noch so viel individuelles Elend dadurch erzeugt wird; aber ob wir in der Lage sind, dieses Experiment machen zu müssen, ist doch wohl eine offene Frage, und erfreulich ist dasselbe sicherlich niemals. Billige Preise sind für die Masse der Bevölkerung sehr erfreulich, meint der Verfasser, und weist darauf hin, daß eine Steigerung des Verbrauchs unsrer Arbeitermassen uns sofort den Absatz unzähliger Produkte, deren Unab- setzbarkeit wir gegenwärtig so sehr beklagen, schaffen würde. Dies ist in der That, meines Erachtens, der stärkste Punkt seiner Argumentation. Aber zweierlei ist doch nicht zu vergessen: erstens, daß seiner eignen Ansicht nach die jetzigen Preise wohl nicht bleibende sein, sondern bei weiterer Entwicklung der sozialen Zustände in den Produktivnslündern ohne Zweifel wieder steigen werden, sodaß wir also mit dem (nicht von heute auf morgen wieder herzustellenden) Ruin unsrer Landwirtschaft uns keineswegs eine bleibende, sondern nur eine vorüber¬ gehende Besserung unsrer sozialen Lage erkauft haben würden; und zweitens daß die eigentliche Masse unsrer Bevölkerung heute uoch uicht die Fabrik-, sondern die Landarbeiter sind. Daß diese aber umso besser genährt und bezahlt werden kann, daß ihrer umso viel mehr davon abgehalten werden können, in den Städten und Fabrikbezirken ihr Glück zu versuchen, je mehr der Landwirt (hier insbesondre der größere) gedeiht, je mehr er zu feineren Kulturen schreitet, je mehr er überhaupt auf Verbesserungen wenden kaun, das ist doch wohl unan¬ fechtbar. Man glaube aber nur, daß jeder Landwirt mit beiden Händen nach der Gelegenheit greifen wird, derartige Verbesserungen zu bewerkstelligen, und daß die Landwirte, die lieber ihre Lebenshaltung verbessern, als einen Mehr¬ ertrag in Kulturen stecken, vielleicht in ganz Deutschland an den Fingern her¬ zuzählen sind. Allerdings würde null hier das Bestreben einsetzen, unsre ländlichen Ar¬ beiter lieber selbst zu kleinen Besitzern zu machen, und ich würde dagegen auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/322>, abgerufen am 27.09.2024.