Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus der Lhronik derer von Riffelshansen.

Sie warf ein wenig die Oberlippe auf und sah vor sich hin. Als sie nicht ant¬
wortete, fuhr er fort: Der Unfall, den ich herzlich bedaure, ist ganz allein seine
Schuld. Mein Aufseher meldete, er habe ihn an dem betreffenden Morgen,
sobald er kam, zurückschicken wollen, da er total betrunken gewesen sei, doch
habe er deu Bitten Hegels, ihn an die Arbeit zu lassen, nachgegeben. Sie sehen,
gnädiges Fräulein, daß von unsrer Seite nichts versäumt worden ist. Wir sind
also dem Hegel gegenüber in keiner Weise verpflichtet, wie Ihr Herr Onkel an¬
zunehmen scheint.

Julie sah deu Sprecher jetzt mit unverhohlener Verachtung an. Also wollen
Sie nichts für den Verunglückten thun? Daß er in Ihrem Hause, bei Ihrer
Arbeit zu Schaden kam, ist Ihnen ganz gleich giltig? Ist Ihnen der Mensch
eine Arbeitskraft und weiter nichts? Nun, dann find wir ja mit dieser Be¬
sprechung am Ende.

Sie mißverstehen mich gänzlich, gnädiges Fräulein, erwiederte er gelassen;
ich habe bis jetzt uur vom Standpunkte des Geschäftsmannes aus gesprochen.
Ich bin vollkommen bereit, als Privatmann etwas für den Kranken zu thun,
und erwarte nach dieser Seite hin Ihre Befehle. Sie kennen die häuslichen
Verhältnisse und daher die Bedürfnisse des Arbeiters Hegel wahrscheinlich
besser als ich.

Gerade diese Scheidung zwischen Fabrikherrn und Menschen verdroß Julien.
So recht aus Gnaden wollte der reiche Mann in Siebenhvfen den Wohlthäter
spielen, weil die Herrschaft zu arm war, um sich der Bedürftigen anzunehmen.
Ihr erstes Gefühl war, sein Anerbieten schroff abzuweisen. Aber was würde
der Onkel Georg gesagt haben? Sie schüttelte unwillig den Kopf.

Wenn ich Herr Brennhold wäre und dazu Fabrikbesitzer, so würde ich es
mir vornehmlich angeleget! sein lassen, mir als letzterer einen guten Namen zu
macheu. Glauben Sie denn nicht, daß Ihre Arbeiter mit mehr Lust und Mut
an ihr Werk gehen würden, wenn sie von vornherein wüßten, daß für sie im
Falle eines Unglücks Sorge getragen würde? Und ist das Opfer denn so groß,
Herr Brennhold! Kommen Sie mit mir, setzte sie wärmer werdend hinzu,
kündigen Sie selbst dem Hegel Ihren Entschluß, ihn zu unterstützen, an! Ich
werde Sie zu ihm führen.

Sie war stehen geblieben und sah ihn mit ihren klugen, grauen Augen
überredend an. Er hatte kein Interesse für die Gefühle seiner Arbeiter, fand
dies aber sehr anziehend bei der stolzen jungen Dame. Ihre Worte: Wenn ich
Herr Brennhold wäre, klangen ihm angenehm in den Ohren. Nun, wenn auch
nicht Herr, warum nicht Frau? Er konnte sich schon eine kostspielige Frau
gestatten. Dann mochte sie ja nach Belieben die Arbeiterverhältnisse reformiren;
er würde ihr dies Vergnügen nicht verwehren.

Vielleicht wäre Julie nicht ganz so heiter gewesen, als er ihren Vorschlag
annahm, wäre sie dem Gange seiner Gedanken gefolgt. So aber zeigte sie


Aus der Lhronik derer von Riffelshansen.

Sie warf ein wenig die Oberlippe auf und sah vor sich hin. Als sie nicht ant¬
wortete, fuhr er fort: Der Unfall, den ich herzlich bedaure, ist ganz allein seine
Schuld. Mein Aufseher meldete, er habe ihn an dem betreffenden Morgen,
sobald er kam, zurückschicken wollen, da er total betrunken gewesen sei, doch
habe er deu Bitten Hegels, ihn an die Arbeit zu lassen, nachgegeben. Sie sehen,
gnädiges Fräulein, daß von unsrer Seite nichts versäumt worden ist. Wir sind
also dem Hegel gegenüber in keiner Weise verpflichtet, wie Ihr Herr Onkel an¬
zunehmen scheint.

Julie sah deu Sprecher jetzt mit unverhohlener Verachtung an. Also wollen
Sie nichts für den Verunglückten thun? Daß er in Ihrem Hause, bei Ihrer
Arbeit zu Schaden kam, ist Ihnen ganz gleich giltig? Ist Ihnen der Mensch
eine Arbeitskraft und weiter nichts? Nun, dann find wir ja mit dieser Be¬
sprechung am Ende.

Sie mißverstehen mich gänzlich, gnädiges Fräulein, erwiederte er gelassen;
ich habe bis jetzt uur vom Standpunkte des Geschäftsmannes aus gesprochen.
Ich bin vollkommen bereit, als Privatmann etwas für den Kranken zu thun,
und erwarte nach dieser Seite hin Ihre Befehle. Sie kennen die häuslichen
Verhältnisse und daher die Bedürfnisse des Arbeiters Hegel wahrscheinlich
besser als ich.

Gerade diese Scheidung zwischen Fabrikherrn und Menschen verdroß Julien.
So recht aus Gnaden wollte der reiche Mann in Siebenhvfen den Wohlthäter
spielen, weil die Herrschaft zu arm war, um sich der Bedürftigen anzunehmen.
Ihr erstes Gefühl war, sein Anerbieten schroff abzuweisen. Aber was würde
der Onkel Georg gesagt haben? Sie schüttelte unwillig den Kopf.

Wenn ich Herr Brennhold wäre und dazu Fabrikbesitzer, so würde ich es
mir vornehmlich angeleget! sein lassen, mir als letzterer einen guten Namen zu
macheu. Glauben Sie denn nicht, daß Ihre Arbeiter mit mehr Lust und Mut
an ihr Werk gehen würden, wenn sie von vornherein wüßten, daß für sie im
Falle eines Unglücks Sorge getragen würde? Und ist das Opfer denn so groß,
Herr Brennhold! Kommen Sie mit mir, setzte sie wärmer werdend hinzu,
kündigen Sie selbst dem Hegel Ihren Entschluß, ihn zu unterstützen, an! Ich
werde Sie zu ihm führen.

Sie war stehen geblieben und sah ihn mit ihren klugen, grauen Augen
überredend an. Er hatte kein Interesse für die Gefühle seiner Arbeiter, fand
dies aber sehr anziehend bei der stolzen jungen Dame. Ihre Worte: Wenn ich
Herr Brennhold wäre, klangen ihm angenehm in den Ohren. Nun, wenn auch
nicht Herr, warum nicht Frau? Er konnte sich schon eine kostspielige Frau
gestatten. Dann mochte sie ja nach Belieben die Arbeiterverhältnisse reformiren;
er würde ihr dies Vergnügen nicht verwehren.

Vielleicht wäre Julie nicht ganz so heiter gewesen, als er ihren Vorschlag
annahm, wäre sie dem Gange seiner Gedanken gefolgt. So aber zeigte sie


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0299" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199653"/>
            <fw type="header" place="top"> Aus der Lhronik derer von Riffelshansen.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1200" prev="#ID_1199"> Sie warf ein wenig die Oberlippe auf und sah vor sich hin. Als sie nicht ant¬<lb/>
wortete, fuhr er fort: Der Unfall, den ich herzlich bedaure, ist ganz allein seine<lb/>
Schuld. Mein Aufseher meldete, er habe ihn an dem betreffenden Morgen,<lb/>
sobald er kam, zurückschicken wollen, da er total betrunken gewesen sei, doch<lb/>
habe er deu Bitten Hegels, ihn an die Arbeit zu lassen, nachgegeben. Sie sehen,<lb/>
gnädiges Fräulein, daß von unsrer Seite nichts versäumt worden ist. Wir sind<lb/>
also dem Hegel gegenüber in keiner Weise verpflichtet, wie Ihr Herr Onkel an¬<lb/>
zunehmen scheint.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1201"> Julie sah deu Sprecher jetzt mit unverhohlener Verachtung an. Also wollen<lb/>
Sie nichts für den Verunglückten thun? Daß er in Ihrem Hause, bei Ihrer<lb/>
Arbeit zu Schaden kam, ist Ihnen ganz gleich giltig? Ist Ihnen der Mensch<lb/>
eine Arbeitskraft und weiter nichts? Nun, dann find wir ja mit dieser Be¬<lb/>
sprechung am Ende.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1202"> Sie mißverstehen mich gänzlich, gnädiges Fräulein, erwiederte er gelassen;<lb/>
ich habe bis jetzt uur vom Standpunkte des Geschäftsmannes aus gesprochen.<lb/>
Ich bin vollkommen bereit, als Privatmann etwas für den Kranken zu thun,<lb/>
und erwarte nach dieser Seite hin Ihre Befehle. Sie kennen die häuslichen<lb/>
Verhältnisse und daher die Bedürfnisse des Arbeiters Hegel wahrscheinlich<lb/>
besser als ich.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1203"> Gerade diese Scheidung zwischen Fabrikherrn und Menschen verdroß Julien.<lb/>
So recht aus Gnaden wollte der reiche Mann in Siebenhvfen den Wohlthäter<lb/>
spielen, weil die Herrschaft zu arm war, um sich der Bedürftigen anzunehmen.<lb/>
Ihr erstes Gefühl war, sein Anerbieten schroff abzuweisen. Aber was würde<lb/>
der Onkel Georg gesagt haben? Sie schüttelte unwillig den Kopf.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1204"> Wenn ich Herr Brennhold wäre und dazu Fabrikbesitzer, so würde ich es<lb/>
mir vornehmlich angeleget! sein lassen, mir als letzterer einen guten Namen zu<lb/>
macheu. Glauben Sie denn nicht, daß Ihre Arbeiter mit mehr Lust und Mut<lb/>
an ihr Werk gehen würden, wenn sie von vornherein wüßten, daß für sie im<lb/>
Falle eines Unglücks Sorge getragen würde? Und ist das Opfer denn so groß,<lb/>
Herr Brennhold! Kommen Sie mit mir, setzte sie wärmer werdend hinzu,<lb/>
kündigen Sie selbst dem Hegel Ihren Entschluß, ihn zu unterstützen, an! Ich<lb/>
werde Sie zu ihm führen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1205"> Sie war stehen geblieben und sah ihn mit ihren klugen, grauen Augen<lb/>
überredend an. Er hatte kein Interesse für die Gefühle seiner Arbeiter, fand<lb/>
dies aber sehr anziehend bei der stolzen jungen Dame. Ihre Worte: Wenn ich<lb/>
Herr Brennhold wäre, klangen ihm angenehm in den Ohren. Nun, wenn auch<lb/>
nicht Herr, warum nicht Frau? Er konnte sich schon eine kostspielige Frau<lb/>
gestatten. Dann mochte sie ja nach Belieben die Arbeiterverhältnisse reformiren;<lb/>
er würde ihr dies Vergnügen nicht verwehren.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1206" next="#ID_1207"> Vielleicht wäre Julie nicht ganz so heiter gewesen, als er ihren Vorschlag<lb/>
annahm, wäre sie dem Gange seiner Gedanken gefolgt.  So aber zeigte sie</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0299] Aus der Lhronik derer von Riffelshansen. Sie warf ein wenig die Oberlippe auf und sah vor sich hin. Als sie nicht ant¬ wortete, fuhr er fort: Der Unfall, den ich herzlich bedaure, ist ganz allein seine Schuld. Mein Aufseher meldete, er habe ihn an dem betreffenden Morgen, sobald er kam, zurückschicken wollen, da er total betrunken gewesen sei, doch habe er deu Bitten Hegels, ihn an die Arbeit zu lassen, nachgegeben. Sie sehen, gnädiges Fräulein, daß von unsrer Seite nichts versäumt worden ist. Wir sind also dem Hegel gegenüber in keiner Weise verpflichtet, wie Ihr Herr Onkel an¬ zunehmen scheint. Julie sah deu Sprecher jetzt mit unverhohlener Verachtung an. Also wollen Sie nichts für den Verunglückten thun? Daß er in Ihrem Hause, bei Ihrer Arbeit zu Schaden kam, ist Ihnen ganz gleich giltig? Ist Ihnen der Mensch eine Arbeitskraft und weiter nichts? Nun, dann find wir ja mit dieser Be¬ sprechung am Ende. Sie mißverstehen mich gänzlich, gnädiges Fräulein, erwiederte er gelassen; ich habe bis jetzt uur vom Standpunkte des Geschäftsmannes aus gesprochen. Ich bin vollkommen bereit, als Privatmann etwas für den Kranken zu thun, und erwarte nach dieser Seite hin Ihre Befehle. Sie kennen die häuslichen Verhältnisse und daher die Bedürfnisse des Arbeiters Hegel wahrscheinlich besser als ich. Gerade diese Scheidung zwischen Fabrikherrn und Menschen verdroß Julien. So recht aus Gnaden wollte der reiche Mann in Siebenhvfen den Wohlthäter spielen, weil die Herrschaft zu arm war, um sich der Bedürftigen anzunehmen. Ihr erstes Gefühl war, sein Anerbieten schroff abzuweisen. Aber was würde der Onkel Georg gesagt haben? Sie schüttelte unwillig den Kopf. Wenn ich Herr Brennhold wäre und dazu Fabrikbesitzer, so würde ich es mir vornehmlich angeleget! sein lassen, mir als letzterer einen guten Namen zu macheu. Glauben Sie denn nicht, daß Ihre Arbeiter mit mehr Lust und Mut an ihr Werk gehen würden, wenn sie von vornherein wüßten, daß für sie im Falle eines Unglücks Sorge getragen würde? Und ist das Opfer denn so groß, Herr Brennhold! Kommen Sie mit mir, setzte sie wärmer werdend hinzu, kündigen Sie selbst dem Hegel Ihren Entschluß, ihn zu unterstützen, an! Ich werde Sie zu ihm führen. Sie war stehen geblieben und sah ihn mit ihren klugen, grauen Augen überredend an. Er hatte kein Interesse für die Gefühle seiner Arbeiter, fand dies aber sehr anziehend bei der stolzen jungen Dame. Ihre Worte: Wenn ich Herr Brennhold wäre, klangen ihm angenehm in den Ohren. Nun, wenn auch nicht Herr, warum nicht Frau? Er konnte sich schon eine kostspielige Frau gestatten. Dann mochte sie ja nach Belieben die Arbeiterverhältnisse reformiren; er würde ihr dies Vergnügen nicht verwehren. Vielleicht wäre Julie nicht ganz so heiter gewesen, als er ihren Vorschlag annahm, wäre sie dem Gange seiner Gedanken gefolgt. So aber zeigte sie

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/299
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/299>, abgerufen am 27.09.2024.