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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Der ewige Judo.

ewigen Juden, nicht bei seiner Dichtung zu Rate gezogen zu haben. Ahasver
ist vor einigen Jahren bei Nacht von der Polizei in einem Walde aufgegriffen
worden; als er sich der Wahrheit gemäß für den ewigen Juden ausgab, wurde
er zu Granmann ins Irrenhaus gesteckt. Aber außer dieser "Wahnidee," welche
die Wissenschaft sich kaum noch durch Vererbung erklären kann, und außer einem
fabelhaften Gedächtnisse, vermöge dessen er von den entferntesten Zeiten zu reden
weiß, als wäre er selbst dabei gewesen, hatte der Pshchiater nichts Abnormes
an seineni Patienten entdecken können, vielmehr im Stillen häufig seine erhaben
ruhige Weisheit bewundern müssen. Ahasver ist seinen Wächtern vor einiger
Zeit entsprungen, und nun erscheint er wieder bei seinen Freunden in der Ge¬
stalt des Rentiers Markus Schwarz aus Lehden, von allen gern gesehen und
bewillkommnet. Es ist unser alter Bekannter: den Weltschmerz trägt er ver¬
steinert im Gesicht; ein Kunstliebhaber, ein Wohlthäter ist er geblieben; mystischer
Reichtum steht ihm zu Gebote. Allein mit seinem im zweiten Teile so leiden¬
schaftlich bewegte" Gemüte ist doch eine Änderung vorgegangen. Granmann
glaubt Spuren von Zufriedenheit in seinem alten Weltschmerze zu entdecken;
darauf sagt Schwarz-Ahasver:


Die leidige Gewohnheit lehrt
Zuletzt auch das, was ewig währt,
Als unabwendbar hinzunehmen.
So gut die Sterne sich bequemen,
Alljährlich ihre Luftgeleise
Um ein Zenlrnlgestirn zu gehn,
So konnt' es auch bei mir geschehn,
Ich wandre wie der Mond im Kreise
Um meine Welt jahrein, jahraus;
Doch hab' ich eins vor ihm voraus:
Ich kaun mich drehen, wie ich will,
Kann weitergehn und halte still,
Wenn ich auf etwas Neues scheine
Und irgendwo zu nützen meine.
Sonst bin ich grub' wie er so hart,
Verdorrt, verödet und erstarrt.

Dieser Markus Schwarz, genannt Ahasver, geht nun mit seinem ganzen
bittern Ernste durch die bunte Reihe vou kaleidoskopartig einander ablösenden
Szenen, welche in losem Zusammenhange fünf Akte lang einander folgen und
Wirklichkeit und Phantasterei, Allegorie und Symbolik in keckster Laune durch¬
einander würfeln. Diese Szenenfolge hier zu reproduziren ist überflüssig; es
genügt die Bemerkung, daß der Verfasser mit Aufopferung aller strengen Form
ein sprühend geistreiches Bild der Gegenwart hinwirft. Schließlich wird Ko¬
mödie in der Komödie gespielt. Es wird ein Karnevalsfest des Künstlervereins
angenommen, das "Labyrinth der Phantasie" soll zur Anschauung gebracht
werden. Und hier werden die märchenhaften Gestalten, die Veranden, die Saelde,


Der ewige Judo.

ewigen Juden, nicht bei seiner Dichtung zu Rate gezogen zu haben. Ahasver
ist vor einigen Jahren bei Nacht von der Polizei in einem Walde aufgegriffen
worden; als er sich der Wahrheit gemäß für den ewigen Juden ausgab, wurde
er zu Granmann ins Irrenhaus gesteckt. Aber außer dieser „Wahnidee," welche
die Wissenschaft sich kaum noch durch Vererbung erklären kann, und außer einem
fabelhaften Gedächtnisse, vermöge dessen er von den entferntesten Zeiten zu reden
weiß, als wäre er selbst dabei gewesen, hatte der Pshchiater nichts Abnormes
an seineni Patienten entdecken können, vielmehr im Stillen häufig seine erhaben
ruhige Weisheit bewundern müssen. Ahasver ist seinen Wächtern vor einiger
Zeit entsprungen, und nun erscheint er wieder bei seinen Freunden in der Ge¬
stalt des Rentiers Markus Schwarz aus Lehden, von allen gern gesehen und
bewillkommnet. Es ist unser alter Bekannter: den Weltschmerz trägt er ver¬
steinert im Gesicht; ein Kunstliebhaber, ein Wohlthäter ist er geblieben; mystischer
Reichtum steht ihm zu Gebote. Allein mit seinem im zweiten Teile so leiden¬
schaftlich bewegte» Gemüte ist doch eine Änderung vorgegangen. Granmann
glaubt Spuren von Zufriedenheit in seinem alten Weltschmerze zu entdecken;
darauf sagt Schwarz-Ahasver:


Die leidige Gewohnheit lehrt
Zuletzt auch das, was ewig währt,
Als unabwendbar hinzunehmen.
So gut die Sterne sich bequemen,
Alljährlich ihre Luftgeleise
Um ein Zenlrnlgestirn zu gehn,
So konnt' es auch bei mir geschehn,
Ich wandre wie der Mond im Kreise
Um meine Welt jahrein, jahraus;
Doch hab' ich eins vor ihm voraus:
Ich kaun mich drehen, wie ich will,
Kann weitergehn und halte still,
Wenn ich auf etwas Neues scheine
Und irgendwo zu nützen meine.
Sonst bin ich grub' wie er so hart,
Verdorrt, verödet und erstarrt.

Dieser Markus Schwarz, genannt Ahasver, geht nun mit seinem ganzen
bittern Ernste durch die bunte Reihe vou kaleidoskopartig einander ablösenden
Szenen, welche in losem Zusammenhange fünf Akte lang einander folgen und
Wirklichkeit und Phantasterei, Allegorie und Symbolik in keckster Laune durch¬
einander würfeln. Diese Szenenfolge hier zu reproduziren ist überflüssig; es
genügt die Bemerkung, daß der Verfasser mit Aufopferung aller strengen Form
ein sprühend geistreiches Bild der Gegenwart hinwirft. Schließlich wird Ko¬
mödie in der Komödie gespielt. Es wird ein Karnevalsfest des Künstlervereins
angenommen, das „Labyrinth der Phantasie" soll zur Anschauung gebracht
werden. Und hier werden die märchenhaften Gestalten, die Veranden, die Saelde,


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[0286] Der ewige Judo. ewigen Juden, nicht bei seiner Dichtung zu Rate gezogen zu haben. Ahasver ist vor einigen Jahren bei Nacht von der Polizei in einem Walde aufgegriffen worden; als er sich der Wahrheit gemäß für den ewigen Juden ausgab, wurde er zu Granmann ins Irrenhaus gesteckt. Aber außer dieser „Wahnidee," welche die Wissenschaft sich kaum noch durch Vererbung erklären kann, und außer einem fabelhaften Gedächtnisse, vermöge dessen er von den entferntesten Zeiten zu reden weiß, als wäre er selbst dabei gewesen, hatte der Pshchiater nichts Abnormes an seineni Patienten entdecken können, vielmehr im Stillen häufig seine erhaben ruhige Weisheit bewundern müssen. Ahasver ist seinen Wächtern vor einiger Zeit entsprungen, und nun erscheint er wieder bei seinen Freunden in der Ge¬ stalt des Rentiers Markus Schwarz aus Lehden, von allen gern gesehen und bewillkommnet. Es ist unser alter Bekannter: den Weltschmerz trägt er ver¬ steinert im Gesicht; ein Kunstliebhaber, ein Wohlthäter ist er geblieben; mystischer Reichtum steht ihm zu Gebote. Allein mit seinem im zweiten Teile so leiden¬ schaftlich bewegte» Gemüte ist doch eine Änderung vorgegangen. Granmann glaubt Spuren von Zufriedenheit in seinem alten Weltschmerze zu entdecken; darauf sagt Schwarz-Ahasver: Die leidige Gewohnheit lehrt Zuletzt auch das, was ewig währt, Als unabwendbar hinzunehmen. So gut die Sterne sich bequemen, Alljährlich ihre Luftgeleise Um ein Zenlrnlgestirn zu gehn, So konnt' es auch bei mir geschehn, Ich wandre wie der Mond im Kreise Um meine Welt jahrein, jahraus; Doch hab' ich eins vor ihm voraus: Ich kaun mich drehen, wie ich will, Kann weitergehn und halte still, Wenn ich auf etwas Neues scheine Und irgendwo zu nützen meine. Sonst bin ich grub' wie er so hart, Verdorrt, verödet und erstarrt. Dieser Markus Schwarz, genannt Ahasver, geht nun mit seinem ganzen bittern Ernste durch die bunte Reihe vou kaleidoskopartig einander ablösenden Szenen, welche in losem Zusammenhange fünf Akte lang einander folgen und Wirklichkeit und Phantasterei, Allegorie und Symbolik in keckster Laune durch¬ einander würfeln. Diese Szenenfolge hier zu reproduziren ist überflüssig; es genügt die Bemerkung, daß der Verfasser mit Aufopferung aller strengen Form ein sprühend geistreiches Bild der Gegenwart hinwirft. Schließlich wird Ko¬ mödie in der Komödie gespielt. Es wird ein Karnevalsfest des Künstlervereins angenommen, das „Labyrinth der Phantasie" soll zur Anschauung gebracht werden. Und hier werden die märchenhaften Gestalten, die Veranden, die Saelde,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/286>, abgerufen am 21.10.2024.