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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Der ewige Jude,

Ich thut's. Nun führ' ich dich eins andern Wegen
Den Rätseln, die du suchst, entgegen.
Wenn ich nicht kam, so trankst du diese Nacht
Das Gift, auf das du jetzt verzichten mußt,
Das nur den Leib unsterblich macht.
Du hättest dann in deiner Brust
Die Hölle tausend Jahre hin und her
Gewälzt, wie dieser Ahasver!

Ernst ist erlöst, Ahasver nicht, denn, wie der Tod ein Schlüsse der Tragödie
verkündet:


Nur einer dauert aus und trägt
Das Menschentum versteinert durch die Zeiten,
Als Schatten will ich den begleiten,
Bis einst ein Stnriu die Welt zerfegt,
Und wir auf Trümmer Weltgeschichte schreiben.
Die Zeit verbrcmst -- wir beide werden bleiben,
Bis alles kirchhvfstill ist, öd' und leer --
Steh' auf -- und wundre weiter, Ahasver!

Im Grunde ist diese Entscheidung des Todes ein nackter Machtspruch und
keineswegs die tragische Konsequenz des Ganges der Handlung. Warum soll
Ernst erlöst werden und Ahasver nicht? Worin besteht die größere Schuld des
Juden? Streng genommen, verdiente dieser Ahasver alias Jesaias Wiener,
welcher eine so tief gefühlte Herzensgüte bekundete, eine Tugend, die er bei der
verhängnisvollen Begegnen mit Christus nicht im allergeringsten Grade besaß,
erlöst zu werden; auch vom streng christlich-orthodoxen Staudpunkte müßte
einem so gütigen, hilfreichen, mitleidvollen Manne die Erlösung zugestanden
worden. Haushofer geriet demnach bei der Fortbildung seines Ahasver-Charakters
in Widerspruch zu seinem Ausgangspunkte: Jesaias Wiener ist nicht der eigentliche
Ahasver mehr; dem "Trauerspiele der Unsterblichkeit" fehlt es an der Tragik.
Vielleicht ist es eine Tragikomödie.

Der dritte Teil der Dichtung ist "Eine phantastische Komödie" über¬
schrieben. Und in der That feiert hier der barocke Humor Haushofers wahre
Orgien. Der Leser erinnert sich des Prologs, welcher der eigentlichen Hand¬
lung des Gedichtes vorausging. Ein Maler Eckbert von Ardep, sein Freund,
der Schriftsteller Kurt Westphal, der Hofrat und Direktor eines Irrenhauses
Graumann und dessen Nichte Ada fanden sich im Atelier des Künstlers zusammen
und hörten die Vorlesung des von Kurt gedichteten "Ewigen Juden" an. In
dieselbe Gesellschaft führt uns der dritte Teil, in die vollste Gegenwart also,
und man kann sich sehr wohl München als Ort der Handlung denken.
Die eben kennengelernte Dichtung wird kritisirt -- nicht zum Schaden des
Dichters natürlich. Aber noch mehr: in diese selbe Gesellschaft tritt Ahasverus
in eigenster Person, und der Scherz wird so weit getrieben, daß er es dem
Dichter Kurt zum Vorwurf macht, ihn, den unter ihnen lebenden wahrhaften


Der ewige Jude,

Ich thut's. Nun führ' ich dich eins andern Wegen
Den Rätseln, die du suchst, entgegen.
Wenn ich nicht kam, so trankst du diese Nacht
Das Gift, auf das du jetzt verzichten mußt,
Das nur den Leib unsterblich macht.
Du hättest dann in deiner Brust
Die Hölle tausend Jahre hin und her
Gewälzt, wie dieser Ahasver!

Ernst ist erlöst, Ahasver nicht, denn, wie der Tod ein Schlüsse der Tragödie
verkündet:


Nur einer dauert aus und trägt
Das Menschentum versteinert durch die Zeiten,
Als Schatten will ich den begleiten,
Bis einst ein Stnriu die Welt zerfegt,
Und wir auf Trümmer Weltgeschichte schreiben.
Die Zeit verbrcmst — wir beide werden bleiben,
Bis alles kirchhvfstill ist, öd' und leer —
Steh' auf — und wundre weiter, Ahasver!

Im Grunde ist diese Entscheidung des Todes ein nackter Machtspruch und
keineswegs die tragische Konsequenz des Ganges der Handlung. Warum soll
Ernst erlöst werden und Ahasver nicht? Worin besteht die größere Schuld des
Juden? Streng genommen, verdiente dieser Ahasver alias Jesaias Wiener,
welcher eine so tief gefühlte Herzensgüte bekundete, eine Tugend, die er bei der
verhängnisvollen Begegnen mit Christus nicht im allergeringsten Grade besaß,
erlöst zu werden; auch vom streng christlich-orthodoxen Staudpunkte müßte
einem so gütigen, hilfreichen, mitleidvollen Manne die Erlösung zugestanden
worden. Haushofer geriet demnach bei der Fortbildung seines Ahasver-Charakters
in Widerspruch zu seinem Ausgangspunkte: Jesaias Wiener ist nicht der eigentliche
Ahasver mehr; dem „Trauerspiele der Unsterblichkeit" fehlt es an der Tragik.
Vielleicht ist es eine Tragikomödie.

Der dritte Teil der Dichtung ist „Eine phantastische Komödie" über¬
schrieben. Und in der That feiert hier der barocke Humor Haushofers wahre
Orgien. Der Leser erinnert sich des Prologs, welcher der eigentlichen Hand¬
lung des Gedichtes vorausging. Ein Maler Eckbert von Ardep, sein Freund,
der Schriftsteller Kurt Westphal, der Hofrat und Direktor eines Irrenhauses
Graumann und dessen Nichte Ada fanden sich im Atelier des Künstlers zusammen
und hörten die Vorlesung des von Kurt gedichteten „Ewigen Juden" an. In
dieselbe Gesellschaft führt uns der dritte Teil, in die vollste Gegenwart also,
und man kann sich sehr wohl München als Ort der Handlung denken.
Die eben kennengelernte Dichtung wird kritisirt — nicht zum Schaden des
Dichters natürlich. Aber noch mehr: in diese selbe Gesellschaft tritt Ahasverus
in eigenster Person, und der Scherz wird so weit getrieben, daß er es dem
Dichter Kurt zum Vorwurf macht, ihn, den unter ihnen lebenden wahrhaften


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[0285] Der ewige Jude, Ich thut's. Nun führ' ich dich eins andern Wegen Den Rätseln, die du suchst, entgegen. Wenn ich nicht kam, so trankst du diese Nacht Das Gift, auf das du jetzt verzichten mußt, Das nur den Leib unsterblich macht. Du hättest dann in deiner Brust Die Hölle tausend Jahre hin und her Gewälzt, wie dieser Ahasver! Ernst ist erlöst, Ahasver nicht, denn, wie der Tod ein Schlüsse der Tragödie verkündet: Nur einer dauert aus und trägt Das Menschentum versteinert durch die Zeiten, Als Schatten will ich den begleiten, Bis einst ein Stnriu die Welt zerfegt, Und wir auf Trümmer Weltgeschichte schreiben. Die Zeit verbrcmst — wir beide werden bleiben, Bis alles kirchhvfstill ist, öd' und leer — Steh' auf — und wundre weiter, Ahasver! Im Grunde ist diese Entscheidung des Todes ein nackter Machtspruch und keineswegs die tragische Konsequenz des Ganges der Handlung. Warum soll Ernst erlöst werden und Ahasver nicht? Worin besteht die größere Schuld des Juden? Streng genommen, verdiente dieser Ahasver alias Jesaias Wiener, welcher eine so tief gefühlte Herzensgüte bekundete, eine Tugend, die er bei der verhängnisvollen Begegnen mit Christus nicht im allergeringsten Grade besaß, erlöst zu werden; auch vom streng christlich-orthodoxen Staudpunkte müßte einem so gütigen, hilfreichen, mitleidvollen Manne die Erlösung zugestanden worden. Haushofer geriet demnach bei der Fortbildung seines Ahasver-Charakters in Widerspruch zu seinem Ausgangspunkte: Jesaias Wiener ist nicht der eigentliche Ahasver mehr; dem „Trauerspiele der Unsterblichkeit" fehlt es an der Tragik. Vielleicht ist es eine Tragikomödie. Der dritte Teil der Dichtung ist „Eine phantastische Komödie" über¬ schrieben. Und in der That feiert hier der barocke Humor Haushofers wahre Orgien. Der Leser erinnert sich des Prologs, welcher der eigentlichen Hand¬ lung des Gedichtes vorausging. Ein Maler Eckbert von Ardep, sein Freund, der Schriftsteller Kurt Westphal, der Hofrat und Direktor eines Irrenhauses Graumann und dessen Nichte Ada fanden sich im Atelier des Künstlers zusammen und hörten die Vorlesung des von Kurt gedichteten „Ewigen Juden" an. In dieselbe Gesellschaft führt uns der dritte Teil, in die vollste Gegenwart also, und man kann sich sehr wohl München als Ort der Handlung denken. Die eben kennengelernte Dichtung wird kritisirt — nicht zum Schaden des Dichters natürlich. Aber noch mehr: in diese selbe Gesellschaft tritt Ahasverus in eigenster Person, und der Scherz wird so weit getrieben, daß er es dem Dichter Kurt zum Vorwurf macht, ihn, den unter ihnen lebenden wahrhaften

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/285>, abgerufen am 21.10.2024.