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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Der ewige Jude.

Ich muß mich selber fragen,
Wie's kommt, daß mich in meinen alten Tagen
Stets neue Fäden mit der Welt verknüpfen,
So oft mir alte aus den Händen schlüpfen.
Man wird sein Menschentum nicht los,
Ist man auch noch so alt und groß.

Und aus Menschenliebe kommt Ahasver zu einer scheinbar so widerspruchs¬
vollen Handlung, wie der, einem Alchemisten, der aus rein wissenschaftlichem Ehr¬
geiz nach dem Elixir der Unsterblichkeit sucht, das von Hermes Trismegistos
dazu geschriebene richtige Rezept, welches Ahasver aus dem Brande der
alexandrinischen Bibliothek glücklich gerettet hat, zu übergeben. Dadurch bringt
er seinen alten Feind, den Tod, gegen sich ans und muß zornige Worte von
diesem anhören:


Ich kenn' ihn, alter Jude, deinen Plan!
Gesellschaft möchtest du! Du fühlst dich zu allein!
Die ganze Menschheit soll unsterblich sein!
Darum hast du mir das gethan!


Ahn SV er.

Und wenn ich's deshalb that -- war das so frevelhaft?
Ich null ja nicht die ganze Menschenschaft
Unsterblich macheu. Ach -- sie hätten es ja satt,
Wenn sie erst hundertfünfzig Jahre
Durchkostet haben. Mut' und matt
Legt sich dann jeder gern auf seine Bahre.
Denn schneller, als man denkt, hat man hier abgchaust.
Nur eines wollt' ich. Ach, und wenn dn gnädig bist --

Thanatos.

Ha -- dem brutalen Griffe dieser Faust
Willst du entreißen, was ihr Opfer ist?
Du Schlaukopf? Wolltest du?

(faßt ihn bei der Hand).

Ach ja! Ich wollte,

Ahasver

Daß diese Faust nicht liebevolle Gatten
Mehr auseinanderreißen sollte,
Daß sie nicht länger wie ein Hvllcnschatten
Vor dem erstarrten Mnttcrblicke
Das unschuldvolle Kind ersticke;
Daß sie nicht mehr in grauser Schlacht
Die Menschen nahe wie die Halme!
Daß sie nicht mehr im Schlund der See, im Qualme
Verbrannter Dächer, und am Marterpfahl
Des Henkers mit der Todesqual
Der Menschheit ihre grausen Spiele treibe!
DaS wollt' ich! Und ich wollte mir den Segen
Der Welt verdienen, daß er bei mir bliebe
Als einz'gar Trost auf meinen öden Wegen!
War daS so schlecht? So gottverdammt?


Der Tod und Ahasver stehen sich in diesem Trauerspiele als Hauptgestalten
gegenüber. Allem, was der ewige Jude unternimmt, tritt der Tod, der hier


Grenzboten IV. 188K. 8.?
Der ewige Jude.

Ich muß mich selber fragen,
Wie's kommt, daß mich in meinen alten Tagen
Stets neue Fäden mit der Welt verknüpfen,
So oft mir alte aus den Händen schlüpfen.
Man wird sein Menschentum nicht los,
Ist man auch noch so alt und groß.

Und aus Menschenliebe kommt Ahasver zu einer scheinbar so widerspruchs¬
vollen Handlung, wie der, einem Alchemisten, der aus rein wissenschaftlichem Ehr¬
geiz nach dem Elixir der Unsterblichkeit sucht, das von Hermes Trismegistos
dazu geschriebene richtige Rezept, welches Ahasver aus dem Brande der
alexandrinischen Bibliothek glücklich gerettet hat, zu übergeben. Dadurch bringt
er seinen alten Feind, den Tod, gegen sich ans und muß zornige Worte von
diesem anhören:


Ich kenn' ihn, alter Jude, deinen Plan!
Gesellschaft möchtest du! Du fühlst dich zu allein!
Die ganze Menschheit soll unsterblich sein!
Darum hast du mir das gethan!


Ahn SV er.

Und wenn ich's deshalb that — war das so frevelhaft?
Ich null ja nicht die ganze Menschenschaft
Unsterblich macheu. Ach — sie hätten es ja satt,
Wenn sie erst hundertfünfzig Jahre
Durchkostet haben. Mut' und matt
Legt sich dann jeder gern auf seine Bahre.
Denn schneller, als man denkt, hat man hier abgchaust.
Nur eines wollt' ich. Ach, und wenn dn gnädig bist —

Thanatos.

Ha — dem brutalen Griffe dieser Faust
Willst du entreißen, was ihr Opfer ist?
Du Schlaukopf? Wolltest du?

(faßt ihn bei der Hand).

Ach ja! Ich wollte,

Ahasver

Daß diese Faust nicht liebevolle Gatten
Mehr auseinanderreißen sollte,
Daß sie nicht länger wie ein Hvllcnschatten
Vor dem erstarrten Mnttcrblicke
Das unschuldvolle Kind ersticke;
Daß sie nicht mehr in grauser Schlacht
Die Menschen nahe wie die Halme!
Daß sie nicht mehr im Schlund der See, im Qualme
Verbrannter Dächer, und am Marterpfahl
Des Henkers mit der Todesqual
Der Menschheit ihre grausen Spiele treibe!
DaS wollt' ich! Und ich wollte mir den Segen
Der Welt verdienen, daß er bei mir bliebe
Als einz'gar Trost auf meinen öden Wegen!
War daS so schlecht? So gottverdammt?


Der Tod und Ahasver stehen sich in diesem Trauerspiele als Hauptgestalten
gegenüber. Allem, was der ewige Jude unternimmt, tritt der Tod, der hier


Grenzboten IV. 188K. 8.?
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[0281] Der ewige Jude. Ich muß mich selber fragen, Wie's kommt, daß mich in meinen alten Tagen Stets neue Fäden mit der Welt verknüpfen, So oft mir alte aus den Händen schlüpfen. Man wird sein Menschentum nicht los, Ist man auch noch so alt und groß. Und aus Menschenliebe kommt Ahasver zu einer scheinbar so widerspruchs¬ vollen Handlung, wie der, einem Alchemisten, der aus rein wissenschaftlichem Ehr¬ geiz nach dem Elixir der Unsterblichkeit sucht, das von Hermes Trismegistos dazu geschriebene richtige Rezept, welches Ahasver aus dem Brande der alexandrinischen Bibliothek glücklich gerettet hat, zu übergeben. Dadurch bringt er seinen alten Feind, den Tod, gegen sich ans und muß zornige Worte von diesem anhören: Ich kenn' ihn, alter Jude, deinen Plan! Gesellschaft möchtest du! Du fühlst dich zu allein! Die ganze Menschheit soll unsterblich sein! Darum hast du mir das gethan! Ahn SV er. Und wenn ich's deshalb that — war das so frevelhaft? Ich null ja nicht die ganze Menschenschaft Unsterblich macheu. Ach — sie hätten es ja satt, Wenn sie erst hundertfünfzig Jahre Durchkostet haben. Mut' und matt Legt sich dann jeder gern auf seine Bahre. Denn schneller, als man denkt, hat man hier abgchaust. Nur eines wollt' ich. Ach, und wenn dn gnädig bist — Thanatos. Ha — dem brutalen Griffe dieser Faust Willst du entreißen, was ihr Opfer ist? Du Schlaukopf? Wolltest du? (faßt ihn bei der Hand). Ach ja! Ich wollte, Ahasver Daß diese Faust nicht liebevolle Gatten Mehr auseinanderreißen sollte, Daß sie nicht länger wie ein Hvllcnschatten Vor dem erstarrten Mnttcrblicke Das unschuldvolle Kind ersticke; Daß sie nicht mehr in grauser Schlacht Die Menschen nahe wie die Halme! Daß sie nicht mehr im Schlund der See, im Qualme Verbrannter Dächer, und am Marterpfahl Des Henkers mit der Todesqual Der Menschheit ihre grausen Spiele treibe! DaS wollt' ich! Und ich wollte mir den Segen Der Welt verdienen, daß er bei mir bliebe Als einz'gar Trost auf meinen öden Wegen! War daS so schlecht? So gottverdammt? Der Tod und Ahasver stehen sich in diesem Trauerspiele als Hauptgestalten gegenüber. Allem, was der ewige Jude unternimmt, tritt der Tod, der hier Grenzboten IV. 188K. 8.?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/281>, abgerufen am 20.10.2024.