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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Germanische Altertümer aus den Bauerdörfern Nordungarns.

sinnige Frage zu beantworten, und beschränke mich auf einen kleinen Bei¬
trag. Es ist ein Erlaß von einer höhern Verwaltungsstelle, der mir unter¬
wegs zur Kenntnis kam, eine Anweisung, durch welche alle" Vorstehern,
Dorfrichtern ?c, eingeschärft wurde, ein aufmerksames Auge auf gewisse Praktiken
der Juden zu haben. So komme es vor, daß der Jude einem Bauer ohne wei¬
teres ein Fcißchen Branntwein auf den Hals schicke. Auf die Beschwerde des
Bauern, seinen Einwand, er habe keins bestellt, erfolge die Antwort, er möge
entschuldigen, es sei ein Versehen, aber da das Faß min einmal dort sei, möge
er es ihm, dem Juden, zu Gefallen noch ein Weilchen stehen lassen, er habe
im Augenblicke keinen rechten Platz. Der Jude vertraut darauf, daß es nie¬
mand gern mit ihm verderben mag, er weiß, daß der Bauer auf die Dauer der
Versuchung nicht widersteht, das köstliche Naß anzuzapfen.

Hiermit wäre nun die Mähr von den Haudörflern und ihrer Not zu
Ende. Bergab geht es mit ihrer Wirtschaft, bergab mit ihrem Volkstume.
Heute allerdings antworten die Münichwieser, denen ihr Pfarrer einige slo¬
wakische Gebete beigebracht hat, auf alle seine weitern Fragen noch verstockt:
"Ich kann kein Bindisch" (Windisch). Aber fünfzig Jahre oder etwas mehr,
und der Todeskampf wird auch hier vorüber sei", das letzte Röcheln des
deutschen Mundes wird verstummen, und die Nachkommen dieser treuen und
tüchtigen Bauern werden lernen, sich zu rühmen, daß sie dem großen, zur
Weltherrschaft berufenen Volke der Slawen angehören. Diese Haudörfler sind
unter allem deutschen Volke in Ungarn die Beklagenswertesten, wahre Heloten,
wie Schröer sagt, einmal in seinein Sinne, weil sie jeder Möglichkeit einer
Pflege ihres Volkstumes beraubt sind, aber heute, wo sie in die Hände der
Juden gegeben sind, noch in einen: andern. Von unsrer Seite, etwa von der
des Allgemeinen Deutschen Schnlvereins, kann für diese unsre ungarischen Lands¬
leute nichts gethan werden, nichts wenigstens, so lange sie in Ungarn sind.
Aber die Frage legt sich nahe, angesichts der soeben begonnenen Maßregeln auf
dem Wege einer inner" Kolonisation, ob wir nicht versuchen können, sie zurück¬
zurufen. Ich möchte nämlich behaupten, daß es schwer fallen wird, innerhalb
unsers Vaterlandes eine Bevölkerung zu finden, welche in so hohem Maße alle
erforderlichen Eigenschaften vereinigt, um mit dem polnischen Elemente den
Kampf ums Dasein aufzunehmen, wie die hartgewöhnten Bauern der Haudörfer,
die durch ein Spiel des Schicksals bis auf die heutige Zeit gewissermaßen
in dem fast bedürfnislosen Urzustande festgehalten worden sind, welcher ihre
Vorfahren zur Zeit der großen deutschen Kolonisationen kennzeichnete.

Die Haudörflcr sind durchweg ein starkes, rüstiges Geschlecht, die Kricker¬
häuer beispielsweise zum Teil hünenhaften Wuchses, an Körperkraft und
Arbeitsleistung den Slowaken überlegen, wie sie auch einen größern Prozentsatz
zum Militär stellen. Den Ruhm des Stärksten unter ihnen genießt Andreas
Steinhübel, gewöhnlich schlechtweg "der Starke" genannt. Als einst ein Bär


Germanische Altertümer aus den Bauerdörfern Nordungarns.

sinnige Frage zu beantworten, und beschränke mich auf einen kleinen Bei¬
trag. Es ist ein Erlaß von einer höhern Verwaltungsstelle, der mir unter¬
wegs zur Kenntnis kam, eine Anweisung, durch welche alle» Vorstehern,
Dorfrichtern ?c, eingeschärft wurde, ein aufmerksames Auge auf gewisse Praktiken
der Juden zu haben. So komme es vor, daß der Jude einem Bauer ohne wei¬
teres ein Fcißchen Branntwein auf den Hals schicke. Auf die Beschwerde des
Bauern, seinen Einwand, er habe keins bestellt, erfolge die Antwort, er möge
entschuldigen, es sei ein Versehen, aber da das Faß min einmal dort sei, möge
er es ihm, dem Juden, zu Gefallen noch ein Weilchen stehen lassen, er habe
im Augenblicke keinen rechten Platz. Der Jude vertraut darauf, daß es nie¬
mand gern mit ihm verderben mag, er weiß, daß der Bauer auf die Dauer der
Versuchung nicht widersteht, das köstliche Naß anzuzapfen.

Hiermit wäre nun die Mähr von den Haudörflern und ihrer Not zu
Ende. Bergab geht es mit ihrer Wirtschaft, bergab mit ihrem Volkstume.
Heute allerdings antworten die Münichwieser, denen ihr Pfarrer einige slo¬
wakische Gebete beigebracht hat, auf alle seine weitern Fragen noch verstockt:
„Ich kann kein Bindisch" (Windisch). Aber fünfzig Jahre oder etwas mehr,
und der Todeskampf wird auch hier vorüber sei», das letzte Röcheln des
deutschen Mundes wird verstummen, und die Nachkommen dieser treuen und
tüchtigen Bauern werden lernen, sich zu rühmen, daß sie dem großen, zur
Weltherrschaft berufenen Volke der Slawen angehören. Diese Haudörfler sind
unter allem deutschen Volke in Ungarn die Beklagenswertesten, wahre Heloten,
wie Schröer sagt, einmal in seinein Sinne, weil sie jeder Möglichkeit einer
Pflege ihres Volkstumes beraubt sind, aber heute, wo sie in die Hände der
Juden gegeben sind, noch in einen: andern. Von unsrer Seite, etwa von der
des Allgemeinen Deutschen Schnlvereins, kann für diese unsre ungarischen Lands¬
leute nichts gethan werden, nichts wenigstens, so lange sie in Ungarn sind.
Aber die Frage legt sich nahe, angesichts der soeben begonnenen Maßregeln auf
dem Wege einer inner» Kolonisation, ob wir nicht versuchen können, sie zurück¬
zurufen. Ich möchte nämlich behaupten, daß es schwer fallen wird, innerhalb
unsers Vaterlandes eine Bevölkerung zu finden, welche in so hohem Maße alle
erforderlichen Eigenschaften vereinigt, um mit dem polnischen Elemente den
Kampf ums Dasein aufzunehmen, wie die hartgewöhnten Bauern der Haudörfer,
die durch ein Spiel des Schicksals bis auf die heutige Zeit gewissermaßen
in dem fast bedürfnislosen Urzustande festgehalten worden sind, welcher ihre
Vorfahren zur Zeit der großen deutschen Kolonisationen kennzeichnete.

Die Haudörflcr sind durchweg ein starkes, rüstiges Geschlecht, die Kricker¬
häuer beispielsweise zum Teil hünenhaften Wuchses, an Körperkraft und
Arbeitsleistung den Slowaken überlegen, wie sie auch einen größern Prozentsatz
zum Militär stellen. Den Ruhm des Stärksten unter ihnen genießt Andreas
Steinhübel, gewöhnlich schlechtweg „der Starke" genannt. Als einst ein Bär


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[0274] Germanische Altertümer aus den Bauerdörfern Nordungarns. sinnige Frage zu beantworten, und beschränke mich auf einen kleinen Bei¬ trag. Es ist ein Erlaß von einer höhern Verwaltungsstelle, der mir unter¬ wegs zur Kenntnis kam, eine Anweisung, durch welche alle» Vorstehern, Dorfrichtern ?c, eingeschärft wurde, ein aufmerksames Auge auf gewisse Praktiken der Juden zu haben. So komme es vor, daß der Jude einem Bauer ohne wei¬ teres ein Fcißchen Branntwein auf den Hals schicke. Auf die Beschwerde des Bauern, seinen Einwand, er habe keins bestellt, erfolge die Antwort, er möge entschuldigen, es sei ein Versehen, aber da das Faß min einmal dort sei, möge er es ihm, dem Juden, zu Gefallen noch ein Weilchen stehen lassen, er habe im Augenblicke keinen rechten Platz. Der Jude vertraut darauf, daß es nie¬ mand gern mit ihm verderben mag, er weiß, daß der Bauer auf die Dauer der Versuchung nicht widersteht, das köstliche Naß anzuzapfen. Hiermit wäre nun die Mähr von den Haudörflern und ihrer Not zu Ende. Bergab geht es mit ihrer Wirtschaft, bergab mit ihrem Volkstume. Heute allerdings antworten die Münichwieser, denen ihr Pfarrer einige slo¬ wakische Gebete beigebracht hat, auf alle seine weitern Fragen noch verstockt: „Ich kann kein Bindisch" (Windisch). Aber fünfzig Jahre oder etwas mehr, und der Todeskampf wird auch hier vorüber sei», das letzte Röcheln des deutschen Mundes wird verstummen, und die Nachkommen dieser treuen und tüchtigen Bauern werden lernen, sich zu rühmen, daß sie dem großen, zur Weltherrschaft berufenen Volke der Slawen angehören. Diese Haudörfler sind unter allem deutschen Volke in Ungarn die Beklagenswertesten, wahre Heloten, wie Schröer sagt, einmal in seinein Sinne, weil sie jeder Möglichkeit einer Pflege ihres Volkstumes beraubt sind, aber heute, wo sie in die Hände der Juden gegeben sind, noch in einen: andern. Von unsrer Seite, etwa von der des Allgemeinen Deutschen Schnlvereins, kann für diese unsre ungarischen Lands¬ leute nichts gethan werden, nichts wenigstens, so lange sie in Ungarn sind. Aber die Frage legt sich nahe, angesichts der soeben begonnenen Maßregeln auf dem Wege einer inner» Kolonisation, ob wir nicht versuchen können, sie zurück¬ zurufen. Ich möchte nämlich behaupten, daß es schwer fallen wird, innerhalb unsers Vaterlandes eine Bevölkerung zu finden, welche in so hohem Maße alle erforderlichen Eigenschaften vereinigt, um mit dem polnischen Elemente den Kampf ums Dasein aufzunehmen, wie die hartgewöhnten Bauern der Haudörfer, die durch ein Spiel des Schicksals bis auf die heutige Zeit gewissermaßen in dem fast bedürfnislosen Urzustande festgehalten worden sind, welcher ihre Vorfahren zur Zeit der großen deutschen Kolonisationen kennzeichnete. Die Haudörflcr sind durchweg ein starkes, rüstiges Geschlecht, die Kricker¬ häuer beispielsweise zum Teil hünenhaften Wuchses, an Körperkraft und Arbeitsleistung den Slowaken überlegen, wie sie auch einen größern Prozentsatz zum Militär stellen. Den Ruhm des Stärksten unter ihnen genießt Andreas Steinhübel, gewöhnlich schlechtweg „der Starke" genannt. Als einst ein Bär

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/274>, abgerufen am 20.10.2024.