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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Germanische Altertümer aus den Bauerdörfern Nordungarns.

Für dasselbe spricht auch das Alter und die Gleichmäßigkeit des Hausbaues in
allen mir bekannten deutschen Dörfern, endlich nach Wolands Zeugnis das
Vorkommen der Hausgenossenschaft in dem von aller Verbindung mit den
Haudörferu gänzlich abgelegnen deutscheu Dorfe Tergenye unweit der Donau.

Die schon des öftern bemerkte Übereinstimmung in den Verhältnissen der
bis auf die heutige Zeit erhaltenen und näher bekannten Hausgenossenschaften
bewährt sich auch noch in einem letzten Punkte, in den Folgen der Auflösung
die für alle einen Niedergang der Wirtschaft bezeichnet. Was Mackenzie Wallace
in seinem Werke über Rußland S. 684 hierüber für die russische Bäuerei anführt,
kann in den meisten Beziehungen auch für die andern Gebiete Geltung be¬
anspruchen. Die Gesamtwirtschaft gleicht gewissermaßen einem mächtigen Baume,
der mit seinem weitschattigen Geäste einer ganzen Sippschaft Schutz vor dem
Unwetter geben kann, während fünf oder sechs an seine Stelle gesetzte kleine
Bäume nicht vermögend sind, nur einen einzigen entsprechend zu decken.

Man kaun sagen, daß die Geschlcchtsgenossenschaften die Vorzüge der
großen und kleinen Wirtschaften vereinigen und ihnen noch andre hinzufügen,
welche besonders das ethische Gebiet berühren und durch kein andres System zu
erreichen sind. Vor allem gestatten sie die größte Arbeitsteilung, eine ganz
unbegrenzte Ausnutzung der Arbeitskräfte, da die Genossenschaft, wenn sie
auch zunächst bodenständig ist, alle denkbaren Erwerbszweige in ihren Bereich
ziehen kann; diese Vielgestaltigkeit ihrer Hilfsmittel, diese Dehnbarkeit ihres
Bandes liegt im Grundwesen der Hausgenossenschaft beschlossen und erscheint
überall, in Nußland, in Bulgaren, in Kroatien und Dalmatien wie in den
Haudörfcrn. Der Überschuß der Bevölkerung sucht anderwärts Arbeit und
behält dabei seine Heimat, seinen Unterstützungswohnsitz. Die Hausgenossenschaft
verwendet die besten Arbeiter: alle arbeiten auf eigne Rechnung, und sie braucht
doch keinen Lohn zu zahlen, sie besitzt eine große Widerstandsfähigkeit gegen
Unfälle, die die Einzelwirtschaft leicht niederwerfen. Ein sehr wichtiger Umstand
liegt endlich darin, daß die Wirksamkeit dieser festen Verbände einen sittigenden
und erziehenden Einfluß auf die ganze Bevölkerung ausübt; sie erweisen sich als
Wahrer alter einfacher Sitte, Lebensweise und Zucht, einer Zucht, der nicht
bloß die Kinder, sondern die Erwachsenen noch unterliegen: Faulheit, Wider¬
setzlichkeit, Schmutz, Unordnung, Trunksucht sind Familienuntcrschiede, Schäden,
welche in der Unterordnung der Hausgenossenschaft garnicht auskommen können.

Auch in den Haudörfern ist die Aufhebung der Hausgenossenschaft nach
übereinstimmenden Zeugnissen von den nachteiligsten Folgen gewesen. Es sollte
aber bei diesem einen Unglück nicht sein Bewenden haben. Bevor die neuen,
noch ungewohnten Zustände Zeit hatten, Wurzel zu schlagen und Gestalt zu
gewinnen, mitten in diese unglückliche Zeit der allgemeinen Auflösung und Ver¬
wirrung fiel, wie eine Bombe, ein andres Ereignis, welches den Ruin der
Bauerschaft vollendete: ich meine den Einzug der Juden, welchem die von solchen


Germanische Altertümer aus den Bauerdörfern Nordungarns.

Für dasselbe spricht auch das Alter und die Gleichmäßigkeit des Hausbaues in
allen mir bekannten deutschen Dörfern, endlich nach Wolands Zeugnis das
Vorkommen der Hausgenossenschaft in dem von aller Verbindung mit den
Haudörferu gänzlich abgelegnen deutscheu Dorfe Tergenye unweit der Donau.

Die schon des öftern bemerkte Übereinstimmung in den Verhältnissen der
bis auf die heutige Zeit erhaltenen und näher bekannten Hausgenossenschaften
bewährt sich auch noch in einem letzten Punkte, in den Folgen der Auflösung
die für alle einen Niedergang der Wirtschaft bezeichnet. Was Mackenzie Wallace
in seinem Werke über Rußland S. 684 hierüber für die russische Bäuerei anführt,
kann in den meisten Beziehungen auch für die andern Gebiete Geltung be¬
anspruchen. Die Gesamtwirtschaft gleicht gewissermaßen einem mächtigen Baume,
der mit seinem weitschattigen Geäste einer ganzen Sippschaft Schutz vor dem
Unwetter geben kann, während fünf oder sechs an seine Stelle gesetzte kleine
Bäume nicht vermögend sind, nur einen einzigen entsprechend zu decken.

Man kaun sagen, daß die Geschlcchtsgenossenschaften die Vorzüge der
großen und kleinen Wirtschaften vereinigen und ihnen noch andre hinzufügen,
welche besonders das ethische Gebiet berühren und durch kein andres System zu
erreichen sind. Vor allem gestatten sie die größte Arbeitsteilung, eine ganz
unbegrenzte Ausnutzung der Arbeitskräfte, da die Genossenschaft, wenn sie
auch zunächst bodenständig ist, alle denkbaren Erwerbszweige in ihren Bereich
ziehen kann; diese Vielgestaltigkeit ihrer Hilfsmittel, diese Dehnbarkeit ihres
Bandes liegt im Grundwesen der Hausgenossenschaft beschlossen und erscheint
überall, in Nußland, in Bulgaren, in Kroatien und Dalmatien wie in den
Haudörfcrn. Der Überschuß der Bevölkerung sucht anderwärts Arbeit und
behält dabei seine Heimat, seinen Unterstützungswohnsitz. Die Hausgenossenschaft
verwendet die besten Arbeiter: alle arbeiten auf eigne Rechnung, und sie braucht
doch keinen Lohn zu zahlen, sie besitzt eine große Widerstandsfähigkeit gegen
Unfälle, die die Einzelwirtschaft leicht niederwerfen. Ein sehr wichtiger Umstand
liegt endlich darin, daß die Wirksamkeit dieser festen Verbände einen sittigenden
und erziehenden Einfluß auf die ganze Bevölkerung ausübt; sie erweisen sich als
Wahrer alter einfacher Sitte, Lebensweise und Zucht, einer Zucht, der nicht
bloß die Kinder, sondern die Erwachsenen noch unterliegen: Faulheit, Wider¬
setzlichkeit, Schmutz, Unordnung, Trunksucht sind Familienuntcrschiede, Schäden,
welche in der Unterordnung der Hausgenossenschaft garnicht auskommen können.

Auch in den Haudörfern ist die Aufhebung der Hausgenossenschaft nach
übereinstimmenden Zeugnissen von den nachteiligsten Folgen gewesen. Es sollte
aber bei diesem einen Unglück nicht sein Bewenden haben. Bevor die neuen,
noch ungewohnten Zustände Zeit hatten, Wurzel zu schlagen und Gestalt zu
gewinnen, mitten in diese unglückliche Zeit der allgemeinen Auflösung und Ver¬
wirrung fiel, wie eine Bombe, ein andres Ereignis, welches den Ruin der
Bauerschaft vollendete: ich meine den Einzug der Juden, welchem die von solchen


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[0271] Germanische Altertümer aus den Bauerdörfern Nordungarns. Für dasselbe spricht auch das Alter und die Gleichmäßigkeit des Hausbaues in allen mir bekannten deutschen Dörfern, endlich nach Wolands Zeugnis das Vorkommen der Hausgenossenschaft in dem von aller Verbindung mit den Haudörferu gänzlich abgelegnen deutscheu Dorfe Tergenye unweit der Donau. Die schon des öftern bemerkte Übereinstimmung in den Verhältnissen der bis auf die heutige Zeit erhaltenen und näher bekannten Hausgenossenschaften bewährt sich auch noch in einem letzten Punkte, in den Folgen der Auflösung die für alle einen Niedergang der Wirtschaft bezeichnet. Was Mackenzie Wallace in seinem Werke über Rußland S. 684 hierüber für die russische Bäuerei anführt, kann in den meisten Beziehungen auch für die andern Gebiete Geltung be¬ anspruchen. Die Gesamtwirtschaft gleicht gewissermaßen einem mächtigen Baume, der mit seinem weitschattigen Geäste einer ganzen Sippschaft Schutz vor dem Unwetter geben kann, während fünf oder sechs an seine Stelle gesetzte kleine Bäume nicht vermögend sind, nur einen einzigen entsprechend zu decken. Man kaun sagen, daß die Geschlcchtsgenossenschaften die Vorzüge der großen und kleinen Wirtschaften vereinigen und ihnen noch andre hinzufügen, welche besonders das ethische Gebiet berühren und durch kein andres System zu erreichen sind. Vor allem gestatten sie die größte Arbeitsteilung, eine ganz unbegrenzte Ausnutzung der Arbeitskräfte, da die Genossenschaft, wenn sie auch zunächst bodenständig ist, alle denkbaren Erwerbszweige in ihren Bereich ziehen kann; diese Vielgestaltigkeit ihrer Hilfsmittel, diese Dehnbarkeit ihres Bandes liegt im Grundwesen der Hausgenossenschaft beschlossen und erscheint überall, in Nußland, in Bulgaren, in Kroatien und Dalmatien wie in den Haudörfcrn. Der Überschuß der Bevölkerung sucht anderwärts Arbeit und behält dabei seine Heimat, seinen Unterstützungswohnsitz. Die Hausgenossenschaft verwendet die besten Arbeiter: alle arbeiten auf eigne Rechnung, und sie braucht doch keinen Lohn zu zahlen, sie besitzt eine große Widerstandsfähigkeit gegen Unfälle, die die Einzelwirtschaft leicht niederwerfen. Ein sehr wichtiger Umstand liegt endlich darin, daß die Wirksamkeit dieser festen Verbände einen sittigenden und erziehenden Einfluß auf die ganze Bevölkerung ausübt; sie erweisen sich als Wahrer alter einfacher Sitte, Lebensweise und Zucht, einer Zucht, der nicht bloß die Kinder, sondern die Erwachsenen noch unterliegen: Faulheit, Wider¬ setzlichkeit, Schmutz, Unordnung, Trunksucht sind Familienuntcrschiede, Schäden, welche in der Unterordnung der Hausgenossenschaft garnicht auskommen können. Auch in den Haudörfern ist die Aufhebung der Hausgenossenschaft nach übereinstimmenden Zeugnissen von den nachteiligsten Folgen gewesen. Es sollte aber bei diesem einen Unglück nicht sein Bewenden haben. Bevor die neuen, noch ungewohnten Zustände Zeit hatten, Wurzel zu schlagen und Gestalt zu gewinnen, mitten in diese unglückliche Zeit der allgemeinen Auflösung und Ver¬ wirrung fiel, wie eine Bombe, ein andres Ereignis, welches den Ruin der Bauerschaft vollendete: ich meine den Einzug der Juden, welchem die von solchen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/271>, abgerufen am 20.10.2024.