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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Wieder die ägyptische Frage.

wissen, läßt uns annehmen, daß es ihnen an Neigung fehlen könnte, in der
Angelegenheit gemeinsam zu handeln. Alles spricht vielmehr dafür, daß sie
hierin einen Punkt erblicken werden oder bereits erblicken, in dem sich ihre Inter¬
essen vereinigen. Über Nußland können wir uns kurz fassen. So lange das
weltgeschichtliche Ringen desselben mit England um die Suprematie im Orient
dauert, wird England mit aller Bestimmtheit zu erwarten haben, daß Nußland sich
jedem Bündnisse gegen den britischen Nebenbuhler anschließen, daß es jeder Be¬
strebung gegen dessen Interessen seinen Beistand gewähren wird. Von Frank¬
reich ist bereits gesprochen, aber noch werden einige weitere Bemerkungen hier
am Orte sein. Frankreich war immer darauf bedacht, alleiniger Gebieter über das
Mittelmeer zu werden, und es war seit einem Jahrhundert bemüht, den Eng¬
ländern hier den Rang abzulaufen, indem es in Nordafrika eroberte. Von
Bonapartes Zuge nach dem Lande der Pyramiden an bis auf Mehemed Alis
Herrschaft richtete es sein Augenmerk vorzüglich auf Ägypten, und es war ihm
gelungen, eine Besitznahme desselben dadurch vorzubereiten, daß es sich durch
Parteinahme für dessen Herrscher in ihren Streitigkeiten mit dem Sultan zum
Beschützer für die Zukunft empfahl, und daß es dem Lande Offiziere, höhere
Beamte, Ingenieure und Gelehrte verschiedner Art schickte. Der Suezkanal
wurde von einem Franzosen und großenteils mit französischem Gelde ausgeführt,
sicher mit einem Seitenblicke auf Indien. Alles, was bis vor einigen Jahren
von Frankreich in Ägypten versucht und gethan wurde, trug mehr oder minder
den Stempel der Eifersucht und der Feindseligkeit gegen England, mit dem es
zuletzt die oberste Kontrole über die Verwaltung teilte. Jene Feindseligkeit wird
jetzt noch verbittert durch eine verdrießliche Erinnerung. Gleich neben der eigen¬
tümlichen Neigung der Menschen, die zu hassen, welchen man Unrecht zugefügt
hat, steht der instinktmäßige Groll gegen die, welche von den Sünden Vorteil
haben, die man gegen sich selbst begangen hat. Frankreich würde möglicherweise
den Engländern ihre Erfolge am Nil verzeihen -- zumal da sie bisher mit
Mißerfolgen abwechselten --, wenn es nur dahin gelangen könnte, diesen selben
Engländern die Mißgriffe zu vergeben, die, von ihm selbst begangen, jene Er¬
folge in erster Linie möglich machten. Frankreich kann es dem "treulosen
Albion" nicht vergessen, daß es klug und kühn genug war, an jenem verhäng¬
nisvollen Morgen, wo die alliirten französischen Panzerschiffe aus der Bucht von
Alexandrien plötzlich wegführen und am Horizonte verschwanden, zurückzubleiben
und die Stadt zu beschießen. Der Umstand, daß es durch diese -- wie sollen
wir's nennen? -- sagen wir, durch diese vorsichtige Fahnenflucht, die gemein¬
same Kontrole mit eigner Hand zerstörte und stillschweigend in die nun erfol¬
gende englische Okkupation einwilligte, macht das letztere Ereignis zu schmerzlich
für das politische Gewissen der Franzosen, als daß sie es zu ertragen und sich
darüber zu trösten vermöchten. Eifrig haben sie sich in den letzten beiden
Jahren abgemüht, der ärgerlichen Thatsache ein Ende zu machen, und in


Grenzboten IV. 1886. 33
Wieder die ägyptische Frage.

wissen, läßt uns annehmen, daß es ihnen an Neigung fehlen könnte, in der
Angelegenheit gemeinsam zu handeln. Alles spricht vielmehr dafür, daß sie
hierin einen Punkt erblicken werden oder bereits erblicken, in dem sich ihre Inter¬
essen vereinigen. Über Nußland können wir uns kurz fassen. So lange das
weltgeschichtliche Ringen desselben mit England um die Suprematie im Orient
dauert, wird England mit aller Bestimmtheit zu erwarten haben, daß Nußland sich
jedem Bündnisse gegen den britischen Nebenbuhler anschließen, daß es jeder Be¬
strebung gegen dessen Interessen seinen Beistand gewähren wird. Von Frank¬
reich ist bereits gesprochen, aber noch werden einige weitere Bemerkungen hier
am Orte sein. Frankreich war immer darauf bedacht, alleiniger Gebieter über das
Mittelmeer zu werden, und es war seit einem Jahrhundert bemüht, den Eng¬
ländern hier den Rang abzulaufen, indem es in Nordafrika eroberte. Von
Bonapartes Zuge nach dem Lande der Pyramiden an bis auf Mehemed Alis
Herrschaft richtete es sein Augenmerk vorzüglich auf Ägypten, und es war ihm
gelungen, eine Besitznahme desselben dadurch vorzubereiten, daß es sich durch
Parteinahme für dessen Herrscher in ihren Streitigkeiten mit dem Sultan zum
Beschützer für die Zukunft empfahl, und daß es dem Lande Offiziere, höhere
Beamte, Ingenieure und Gelehrte verschiedner Art schickte. Der Suezkanal
wurde von einem Franzosen und großenteils mit französischem Gelde ausgeführt,
sicher mit einem Seitenblicke auf Indien. Alles, was bis vor einigen Jahren
von Frankreich in Ägypten versucht und gethan wurde, trug mehr oder minder
den Stempel der Eifersucht und der Feindseligkeit gegen England, mit dem es
zuletzt die oberste Kontrole über die Verwaltung teilte. Jene Feindseligkeit wird
jetzt noch verbittert durch eine verdrießliche Erinnerung. Gleich neben der eigen¬
tümlichen Neigung der Menschen, die zu hassen, welchen man Unrecht zugefügt
hat, steht der instinktmäßige Groll gegen die, welche von den Sünden Vorteil
haben, die man gegen sich selbst begangen hat. Frankreich würde möglicherweise
den Engländern ihre Erfolge am Nil verzeihen — zumal da sie bisher mit
Mißerfolgen abwechselten —, wenn es nur dahin gelangen könnte, diesen selben
Engländern die Mißgriffe zu vergeben, die, von ihm selbst begangen, jene Er¬
folge in erster Linie möglich machten. Frankreich kann es dem „treulosen
Albion" nicht vergessen, daß es klug und kühn genug war, an jenem verhäng¬
nisvollen Morgen, wo die alliirten französischen Panzerschiffe aus der Bucht von
Alexandrien plötzlich wegführen und am Horizonte verschwanden, zurückzubleiben
und die Stadt zu beschießen. Der Umstand, daß es durch diese — wie sollen
wir's nennen? — sagen wir, durch diese vorsichtige Fahnenflucht, die gemein¬
same Kontrole mit eigner Hand zerstörte und stillschweigend in die nun erfol¬
gende englische Okkupation einwilligte, macht das letztere Ereignis zu schmerzlich
für das politische Gewissen der Franzosen, als daß sie es zu ertragen und sich
darüber zu trösten vermöchten. Eifrig haben sie sich in den letzten beiden
Jahren abgemüht, der ärgerlichen Thatsache ein Ende zu machen, und in


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[0265] Wieder die ägyptische Frage. wissen, läßt uns annehmen, daß es ihnen an Neigung fehlen könnte, in der Angelegenheit gemeinsam zu handeln. Alles spricht vielmehr dafür, daß sie hierin einen Punkt erblicken werden oder bereits erblicken, in dem sich ihre Inter¬ essen vereinigen. Über Nußland können wir uns kurz fassen. So lange das weltgeschichtliche Ringen desselben mit England um die Suprematie im Orient dauert, wird England mit aller Bestimmtheit zu erwarten haben, daß Nußland sich jedem Bündnisse gegen den britischen Nebenbuhler anschließen, daß es jeder Be¬ strebung gegen dessen Interessen seinen Beistand gewähren wird. Von Frank¬ reich ist bereits gesprochen, aber noch werden einige weitere Bemerkungen hier am Orte sein. Frankreich war immer darauf bedacht, alleiniger Gebieter über das Mittelmeer zu werden, und es war seit einem Jahrhundert bemüht, den Eng¬ ländern hier den Rang abzulaufen, indem es in Nordafrika eroberte. Von Bonapartes Zuge nach dem Lande der Pyramiden an bis auf Mehemed Alis Herrschaft richtete es sein Augenmerk vorzüglich auf Ägypten, und es war ihm gelungen, eine Besitznahme desselben dadurch vorzubereiten, daß es sich durch Parteinahme für dessen Herrscher in ihren Streitigkeiten mit dem Sultan zum Beschützer für die Zukunft empfahl, und daß es dem Lande Offiziere, höhere Beamte, Ingenieure und Gelehrte verschiedner Art schickte. Der Suezkanal wurde von einem Franzosen und großenteils mit französischem Gelde ausgeführt, sicher mit einem Seitenblicke auf Indien. Alles, was bis vor einigen Jahren von Frankreich in Ägypten versucht und gethan wurde, trug mehr oder minder den Stempel der Eifersucht und der Feindseligkeit gegen England, mit dem es zuletzt die oberste Kontrole über die Verwaltung teilte. Jene Feindseligkeit wird jetzt noch verbittert durch eine verdrießliche Erinnerung. Gleich neben der eigen¬ tümlichen Neigung der Menschen, die zu hassen, welchen man Unrecht zugefügt hat, steht der instinktmäßige Groll gegen die, welche von den Sünden Vorteil haben, die man gegen sich selbst begangen hat. Frankreich würde möglicherweise den Engländern ihre Erfolge am Nil verzeihen — zumal da sie bisher mit Mißerfolgen abwechselten —, wenn es nur dahin gelangen könnte, diesen selben Engländern die Mißgriffe zu vergeben, die, von ihm selbst begangen, jene Er¬ folge in erster Linie möglich machten. Frankreich kann es dem „treulosen Albion" nicht vergessen, daß es klug und kühn genug war, an jenem verhäng¬ nisvollen Morgen, wo die alliirten französischen Panzerschiffe aus der Bucht von Alexandrien plötzlich wegführen und am Horizonte verschwanden, zurückzubleiben und die Stadt zu beschießen. Der Umstand, daß es durch diese — wie sollen wir's nennen? — sagen wir, durch diese vorsichtige Fahnenflucht, die gemein¬ same Kontrole mit eigner Hand zerstörte und stillschweigend in die nun erfol¬ gende englische Okkupation einwilligte, macht das letztere Ereignis zu schmerzlich für das politische Gewissen der Franzosen, als daß sie es zu ertragen und sich darüber zu trösten vermöchten. Eifrig haben sie sich in den letzten beiden Jahren abgemüht, der ärgerlichen Thatsache ein Ende zu machen, und in Grenzboten IV. 1886. 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/265>, abgerufen am 27.09.2024.