Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Wieder die ägyptische Frage.

Einwilligung bei den zahlreichen neuen Abkommen in Betreff der ägyptischen
Staatsschulden notwendig war, haben gleiche Stimme bei der Kontrole der
Finanzen und können gegen die Fortdauer einer Okkupation Einspruch erheben,
welche die Lasten des Landes erheblich vermehrt und dadurch dessen Fähigkeit,
die Verzinsung und Tilgung seiner Schulden zu bewirken, vermindert. Die
Franzosen können sagen: Der Feldzug der Engländer in Ägypten ändert durchaus
nichts nu der Lage der Dinge, die Europa vor demselben dort geschaffen hat.
England ging dorthin, um eine Revolution niederzuwerfen, und es blieb dort,
um deu Plan des Mnhdi zu vereiteln. Beide Zwecke fallen jetzt weg, und die
Engländer haben nichts weiter zu thun, als nach Hause zu gehen und das Laud
der Verwaltung zu überlassen, welche sie selbst einrichten halfen. Sie könnten
noch hinzufügen, daß das englische Ministerium, welches zuletzt im Amte war,
nicht nur die Gleichberechtigung der übrigen Großmächte in der Sache aner¬
kannte, sondern thatsächlich Europa aufforderte, sich an dem Zustandekommen der
letzten Anleihe von neun Millionen Pfund Sterling zu beteiligen, die England
also nicht allein garantirte.

So weit sind die Franzosen in ihrem Verlangen berechtigt. Aber ihre
Presse geht weiter und spricht leidenschaftlich davon, daß man hier wieder ein¬
mal das perfide Albion vor sich habe. Sogar das ^ourng.1 ass Dubais be¬
hauptete in diesen Tagen, die englischen Beamten falschem zu Gunsten ihrer
gottlosen Pläne die Rechnungen Ägyptens. Möglich ist hier allerdings, daß
die Klage einigen Grund hat, man habe die Einnahmen mehrere Jahre zu niedrig
veranschlagt, um den Vorschlag einer Reduktion des Zinsfußes zu rechtfertigen.
Aber gegenwärtig hat man schwerlich Anlaß, zu bezweifeln, daß die Einnahme¬
quellen, deren Ertrag für die Staatsschuld belegt ist, Ausfälle ausweisen. Jeder
Sachkenner weiß, daß die ägyptischen Finanzen sich in schlechtem Zustande be¬
finden, aber daran sind weniger die Engländer als die Franzosen schuld, indem
sie es waren, welche am hartnäckigsten und erfolgreichsten den englischen Vor¬
schlag einer allgemeinen Herabsetzung des Zinsfußes bekämpften.

Sollte nun wirklich der französische Botschafter in London angewiesen
werden, die oben angeführte Forderung zu erheben, so würde er ohne Zweifel
eine abschlägige Autwort erhalten, die mit einer diplomatischen Umschreibung
des bekannten ?u 1'W venin, 6oorZo Dünclin beginnen könnte und, ebenfalls
in artiger Rede, mit der Erklärung schließen dürfte, England müsse selbst erst
die Überzeugung gewinnen, daß es in Ägypten nichts mehr zu thun habe, um
gehen können. Jetzt halte es seine Aufgabe noch nicht für hinreichend erfüllt.
Ein solcher Bescheid Hütte auf den Beifall der ungeheuern Mehrzahl der Eng¬
länder zu rechnen, welche die Behauptung der jetzigen militärischen Stellung
Englands am Nil als unbedingte Notwendigkeit für eine gesicherte Beherrschung
des nächsten Weges nach Indien, dein asiatischen Zwilling des politischen Doppel-
wescns, welches das britische Weltreich darstellt, anzusehen gewohnt sind. Der


Wieder die ägyptische Frage.

Einwilligung bei den zahlreichen neuen Abkommen in Betreff der ägyptischen
Staatsschulden notwendig war, haben gleiche Stimme bei der Kontrole der
Finanzen und können gegen die Fortdauer einer Okkupation Einspruch erheben,
welche die Lasten des Landes erheblich vermehrt und dadurch dessen Fähigkeit,
die Verzinsung und Tilgung seiner Schulden zu bewirken, vermindert. Die
Franzosen können sagen: Der Feldzug der Engländer in Ägypten ändert durchaus
nichts nu der Lage der Dinge, die Europa vor demselben dort geschaffen hat.
England ging dorthin, um eine Revolution niederzuwerfen, und es blieb dort,
um deu Plan des Mnhdi zu vereiteln. Beide Zwecke fallen jetzt weg, und die
Engländer haben nichts weiter zu thun, als nach Hause zu gehen und das Laud
der Verwaltung zu überlassen, welche sie selbst einrichten halfen. Sie könnten
noch hinzufügen, daß das englische Ministerium, welches zuletzt im Amte war,
nicht nur die Gleichberechtigung der übrigen Großmächte in der Sache aner¬
kannte, sondern thatsächlich Europa aufforderte, sich an dem Zustandekommen der
letzten Anleihe von neun Millionen Pfund Sterling zu beteiligen, die England
also nicht allein garantirte.

So weit sind die Franzosen in ihrem Verlangen berechtigt. Aber ihre
Presse geht weiter und spricht leidenschaftlich davon, daß man hier wieder ein¬
mal das perfide Albion vor sich habe. Sogar das ^ourng.1 ass Dubais be¬
hauptete in diesen Tagen, die englischen Beamten falschem zu Gunsten ihrer
gottlosen Pläne die Rechnungen Ägyptens. Möglich ist hier allerdings, daß
die Klage einigen Grund hat, man habe die Einnahmen mehrere Jahre zu niedrig
veranschlagt, um den Vorschlag einer Reduktion des Zinsfußes zu rechtfertigen.
Aber gegenwärtig hat man schwerlich Anlaß, zu bezweifeln, daß die Einnahme¬
quellen, deren Ertrag für die Staatsschuld belegt ist, Ausfälle ausweisen. Jeder
Sachkenner weiß, daß die ägyptischen Finanzen sich in schlechtem Zustande be¬
finden, aber daran sind weniger die Engländer als die Franzosen schuld, indem
sie es waren, welche am hartnäckigsten und erfolgreichsten den englischen Vor¬
schlag einer allgemeinen Herabsetzung des Zinsfußes bekämpften.

Sollte nun wirklich der französische Botschafter in London angewiesen
werden, die oben angeführte Forderung zu erheben, so würde er ohne Zweifel
eine abschlägige Autwort erhalten, die mit einer diplomatischen Umschreibung
des bekannten ?u 1'W venin, 6oorZo Dünclin beginnen könnte und, ebenfalls
in artiger Rede, mit der Erklärung schließen dürfte, England müsse selbst erst
die Überzeugung gewinnen, daß es in Ägypten nichts mehr zu thun habe, um
gehen können. Jetzt halte es seine Aufgabe noch nicht für hinreichend erfüllt.
Ein solcher Bescheid Hütte auf den Beifall der ungeheuern Mehrzahl der Eng¬
länder zu rechnen, welche die Behauptung der jetzigen militärischen Stellung
Englands am Nil als unbedingte Notwendigkeit für eine gesicherte Beherrschung
des nächsten Weges nach Indien, dein asiatischen Zwilling des politischen Doppel-
wescns, welches das britische Weltreich darstellt, anzusehen gewohnt sind. Der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0263" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199617"/>
          <fw type="header" place="top"> Wieder die ägyptische Frage.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1086" prev="#ID_1085"> Einwilligung bei den zahlreichen neuen Abkommen in Betreff der ägyptischen<lb/>
Staatsschulden notwendig war, haben gleiche Stimme bei der Kontrole der<lb/>
Finanzen und können gegen die Fortdauer einer Okkupation Einspruch erheben,<lb/>
welche die Lasten des Landes erheblich vermehrt und dadurch dessen Fähigkeit,<lb/>
die Verzinsung und Tilgung seiner Schulden zu bewirken, vermindert. Die<lb/>
Franzosen können sagen: Der Feldzug der Engländer in Ägypten ändert durchaus<lb/>
nichts nu der Lage der Dinge, die Europa vor demselben dort geschaffen hat.<lb/>
England ging dorthin, um eine Revolution niederzuwerfen, und es blieb dort,<lb/>
um deu Plan des Mnhdi zu vereiteln. Beide Zwecke fallen jetzt weg, und die<lb/>
Engländer haben nichts weiter zu thun, als nach Hause zu gehen und das Laud<lb/>
der Verwaltung zu überlassen, welche sie selbst einrichten halfen. Sie könnten<lb/>
noch hinzufügen, daß das englische Ministerium, welches zuletzt im Amte war,<lb/>
nicht nur die Gleichberechtigung der übrigen Großmächte in der Sache aner¬<lb/>
kannte, sondern thatsächlich Europa aufforderte, sich an dem Zustandekommen der<lb/>
letzten Anleihe von neun Millionen Pfund Sterling zu beteiligen, die England<lb/>
also nicht allein garantirte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1087"> So weit sind die Franzosen in ihrem Verlangen berechtigt. Aber ihre<lb/>
Presse geht weiter und spricht leidenschaftlich davon, daß man hier wieder ein¬<lb/>
mal das perfide Albion vor sich habe. Sogar das ^ourng.1 ass Dubais be¬<lb/>
hauptete in diesen Tagen, die englischen Beamten falschem zu Gunsten ihrer<lb/>
gottlosen Pläne die Rechnungen Ägyptens. Möglich ist hier allerdings, daß<lb/>
die Klage einigen Grund hat, man habe die Einnahmen mehrere Jahre zu niedrig<lb/>
veranschlagt, um den Vorschlag einer Reduktion des Zinsfußes zu rechtfertigen.<lb/>
Aber gegenwärtig hat man schwerlich Anlaß, zu bezweifeln, daß die Einnahme¬<lb/>
quellen, deren Ertrag für die Staatsschuld belegt ist, Ausfälle ausweisen. Jeder<lb/>
Sachkenner weiß, daß die ägyptischen Finanzen sich in schlechtem Zustande be¬<lb/>
finden, aber daran sind weniger die Engländer als die Franzosen schuld, indem<lb/>
sie es waren, welche am hartnäckigsten und erfolgreichsten den englischen Vor¬<lb/>
schlag einer allgemeinen Herabsetzung des Zinsfußes bekämpften.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1088" next="#ID_1089"> Sollte nun wirklich der französische Botschafter in London angewiesen<lb/>
werden, die oben angeführte Forderung zu erheben, so würde er ohne Zweifel<lb/>
eine abschlägige Autwort erhalten, die mit einer diplomatischen Umschreibung<lb/>
des bekannten ?u 1'W venin, 6oorZo Dünclin beginnen könnte und, ebenfalls<lb/>
in artiger Rede, mit der Erklärung schließen dürfte, England müsse selbst erst<lb/>
die Überzeugung gewinnen, daß es in Ägypten nichts mehr zu thun habe, um<lb/>
gehen können. Jetzt halte es seine Aufgabe noch nicht für hinreichend erfüllt.<lb/>
Ein solcher Bescheid Hütte auf den Beifall der ungeheuern Mehrzahl der Eng¬<lb/>
länder zu rechnen, welche die Behauptung der jetzigen militärischen Stellung<lb/>
Englands am Nil als unbedingte Notwendigkeit für eine gesicherte Beherrschung<lb/>
des nächsten Weges nach Indien, dein asiatischen Zwilling des politischen Doppel-<lb/>
wescns, welches das britische Weltreich darstellt, anzusehen gewohnt sind. Der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0263] Wieder die ägyptische Frage. Einwilligung bei den zahlreichen neuen Abkommen in Betreff der ägyptischen Staatsschulden notwendig war, haben gleiche Stimme bei der Kontrole der Finanzen und können gegen die Fortdauer einer Okkupation Einspruch erheben, welche die Lasten des Landes erheblich vermehrt und dadurch dessen Fähigkeit, die Verzinsung und Tilgung seiner Schulden zu bewirken, vermindert. Die Franzosen können sagen: Der Feldzug der Engländer in Ägypten ändert durchaus nichts nu der Lage der Dinge, die Europa vor demselben dort geschaffen hat. England ging dorthin, um eine Revolution niederzuwerfen, und es blieb dort, um deu Plan des Mnhdi zu vereiteln. Beide Zwecke fallen jetzt weg, und die Engländer haben nichts weiter zu thun, als nach Hause zu gehen und das Laud der Verwaltung zu überlassen, welche sie selbst einrichten halfen. Sie könnten noch hinzufügen, daß das englische Ministerium, welches zuletzt im Amte war, nicht nur die Gleichberechtigung der übrigen Großmächte in der Sache aner¬ kannte, sondern thatsächlich Europa aufforderte, sich an dem Zustandekommen der letzten Anleihe von neun Millionen Pfund Sterling zu beteiligen, die England also nicht allein garantirte. So weit sind die Franzosen in ihrem Verlangen berechtigt. Aber ihre Presse geht weiter und spricht leidenschaftlich davon, daß man hier wieder ein¬ mal das perfide Albion vor sich habe. Sogar das ^ourng.1 ass Dubais be¬ hauptete in diesen Tagen, die englischen Beamten falschem zu Gunsten ihrer gottlosen Pläne die Rechnungen Ägyptens. Möglich ist hier allerdings, daß die Klage einigen Grund hat, man habe die Einnahmen mehrere Jahre zu niedrig veranschlagt, um den Vorschlag einer Reduktion des Zinsfußes zu rechtfertigen. Aber gegenwärtig hat man schwerlich Anlaß, zu bezweifeln, daß die Einnahme¬ quellen, deren Ertrag für die Staatsschuld belegt ist, Ausfälle ausweisen. Jeder Sachkenner weiß, daß die ägyptischen Finanzen sich in schlechtem Zustande be¬ finden, aber daran sind weniger die Engländer als die Franzosen schuld, indem sie es waren, welche am hartnäckigsten und erfolgreichsten den englischen Vor¬ schlag einer allgemeinen Herabsetzung des Zinsfußes bekämpften. Sollte nun wirklich der französische Botschafter in London angewiesen werden, die oben angeführte Forderung zu erheben, so würde er ohne Zweifel eine abschlägige Autwort erhalten, die mit einer diplomatischen Umschreibung des bekannten ?u 1'W venin, 6oorZo Dünclin beginnen könnte und, ebenfalls in artiger Rede, mit der Erklärung schließen dürfte, England müsse selbst erst die Überzeugung gewinnen, daß es in Ägypten nichts mehr zu thun habe, um gehen können. Jetzt halte es seine Aufgabe noch nicht für hinreichend erfüllt. Ein solcher Bescheid Hütte auf den Beifall der ungeheuern Mehrzahl der Eng¬ länder zu rechnen, welche die Behauptung der jetzigen militärischen Stellung Englands am Nil als unbedingte Notwendigkeit für eine gesicherte Beherrschung des nächsten Weges nach Indien, dein asiatischen Zwilling des politischen Doppel- wescns, welches das britische Weltreich darstellt, anzusehen gewohnt sind. Der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/263
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/263>, abgerufen am 27.09.2024.