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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Wieder die ägyptische Frage.

betont und auf eine baldige Entfernung der britischen Streitkräfte aus demselben
dringt; aber die Zeitungen sind oft nur die vorausgeschickten Plänkler, wenn
eine Regierung sich zu einer diplomatischen Campagne anschickt, und es wäre
nicht unmöglich, daß die Gerüchte, nach welchen das Ministerium Freycinet dem¬
nächst in London Vorstellungen wegen einer endlichen Räumung Ägyptens von-
seiten der Engländer macheu werde, sich als begründet erwiesen. Jedenfalls
beschäftigt die ägyptische Frage nicht bloß die Zeitungsschreiber, sondern auch
die Staatsmänner Frankreichs gegenwärtig mehr als die bulgarische Schwierig¬
keit, und da jene wahrscheinlich einige Zeit im Vordergründe verbleiben wird,
so erscheint es nützlich, die Sache einmal näher zu betrachten und zu beleuchten.

Seit der Schlacht bei Tel-El-Kebir, welche der Herrschaft Arabis ein Ziel
setzte, ist das Nilland für die Franzosen ein Punkt gewesen, an den sie fast mit
demselben Schmerze dachten wie an Elsaß-Lothringen. So lange der Feldzug
dauerte, mochten viele unter ihnen sich Glück wünschen, daß ihre Regierung sich
von einem Wagnisse fern gehalten habe, in das sich die englischen Nachbarn und
Nebenbuhler, wie es schien, unbesonnen gestürzt hatten. Aber von dem Augen¬
blicke an, wo diese nach raschem Erfolge im Lande Fuß faßten und sich einzu¬
richten begannen, machte diese Freude wesentlich anderen Empfindungen Platz.
Man sah, daß jene vorsichtige Haltung ein arger politischer Fehler gewesen
war, indem sie dem britischen Rivalen die Erlangung von Vorurteilen gestattet
hatte, die er natürlich nicht mit Frankreich zu teilen geneigt war. Der Ver¬
druß darüber äußerte sich in lauter Klage, und da Freycinet es gewesen war,
welcher der französischen Flotte den Befehl erteilt hatte, vor der Beschießung
Alexandriens von der Seite der englischen wegzudampfen, wurde er nicht mit
Unrecht für die Einbuße an Einfluß verantwortlich gemacht, die Frankreich im
Thale des Nil erlitten hatte. Daher jetzt sein Bestreben, diesen Vorwurf los¬
zuwerden, und dies die Erklärung, wenn er jetzt in der That begonnen hat,
England zum Abzüge und zur Rückerstattung des Anteils von Einfluß zu
drängen, den man französischcrseits, als er Verantwortlichkeit einschloß, aufzu¬
geben sich beeilte. Kurz: Freycinet wünscht, das Ansehen wiederzuerlangen,
welches er bei dieser Gelegenheit verloren hat, und es versteht sich von selbst,
daß er sich bei den Bestrebungen, welche diesem Wunsche entspringen, der eifrigen
Unterstützung aller französischen Politiker zu erfreuen hat. Wie weit auch die
gemäßigten Republikaner in ihren Meinungen und Zielen von den Konservativen
entfernt stehen, welche breite Kluft die roten Sozialdemokraten von beiden
scheidet, alle sind einig, daß auf England jeder Druck ausgeübt werdeu müsse,
um es zum Rückzüge aus dem Pharaonenlande zu nötigen. Auch Clemenceau,
der in allen übrigen Dingen andrer Meinung als der jetzt am Nuder stehende
Staatsmann ist, stimmt in dieser Angelegenheit durchaus mit ihm überein.
Dazu kommt noch, daß die Franzosen bei der Stellung, die sie hierbei ein¬
nehmen, starke Nechtsgrttude für sich anführen können. Die Mächte, deren


Wieder die ägyptische Frage.

betont und auf eine baldige Entfernung der britischen Streitkräfte aus demselben
dringt; aber die Zeitungen sind oft nur die vorausgeschickten Plänkler, wenn
eine Regierung sich zu einer diplomatischen Campagne anschickt, und es wäre
nicht unmöglich, daß die Gerüchte, nach welchen das Ministerium Freycinet dem¬
nächst in London Vorstellungen wegen einer endlichen Räumung Ägyptens von-
seiten der Engländer macheu werde, sich als begründet erwiesen. Jedenfalls
beschäftigt die ägyptische Frage nicht bloß die Zeitungsschreiber, sondern auch
die Staatsmänner Frankreichs gegenwärtig mehr als die bulgarische Schwierig¬
keit, und da jene wahrscheinlich einige Zeit im Vordergründe verbleiben wird,
so erscheint es nützlich, die Sache einmal näher zu betrachten und zu beleuchten.

Seit der Schlacht bei Tel-El-Kebir, welche der Herrschaft Arabis ein Ziel
setzte, ist das Nilland für die Franzosen ein Punkt gewesen, an den sie fast mit
demselben Schmerze dachten wie an Elsaß-Lothringen. So lange der Feldzug
dauerte, mochten viele unter ihnen sich Glück wünschen, daß ihre Regierung sich
von einem Wagnisse fern gehalten habe, in das sich die englischen Nachbarn und
Nebenbuhler, wie es schien, unbesonnen gestürzt hatten. Aber von dem Augen¬
blicke an, wo diese nach raschem Erfolge im Lande Fuß faßten und sich einzu¬
richten begannen, machte diese Freude wesentlich anderen Empfindungen Platz.
Man sah, daß jene vorsichtige Haltung ein arger politischer Fehler gewesen
war, indem sie dem britischen Rivalen die Erlangung von Vorurteilen gestattet
hatte, die er natürlich nicht mit Frankreich zu teilen geneigt war. Der Ver¬
druß darüber äußerte sich in lauter Klage, und da Freycinet es gewesen war,
welcher der französischen Flotte den Befehl erteilt hatte, vor der Beschießung
Alexandriens von der Seite der englischen wegzudampfen, wurde er nicht mit
Unrecht für die Einbuße an Einfluß verantwortlich gemacht, die Frankreich im
Thale des Nil erlitten hatte. Daher jetzt sein Bestreben, diesen Vorwurf los¬
zuwerden, und dies die Erklärung, wenn er jetzt in der That begonnen hat,
England zum Abzüge und zur Rückerstattung des Anteils von Einfluß zu
drängen, den man französischcrseits, als er Verantwortlichkeit einschloß, aufzu¬
geben sich beeilte. Kurz: Freycinet wünscht, das Ansehen wiederzuerlangen,
welches er bei dieser Gelegenheit verloren hat, und es versteht sich von selbst,
daß er sich bei den Bestrebungen, welche diesem Wunsche entspringen, der eifrigen
Unterstützung aller französischen Politiker zu erfreuen hat. Wie weit auch die
gemäßigten Republikaner in ihren Meinungen und Zielen von den Konservativen
entfernt stehen, welche breite Kluft die roten Sozialdemokraten von beiden
scheidet, alle sind einig, daß auf England jeder Druck ausgeübt werdeu müsse,
um es zum Rückzüge aus dem Pharaonenlande zu nötigen. Auch Clemenceau,
der in allen übrigen Dingen andrer Meinung als der jetzt am Nuder stehende
Staatsmann ist, stimmt in dieser Angelegenheit durchaus mit ihm überein.
Dazu kommt noch, daß die Franzosen bei der Stellung, die sie hierbei ein¬
nehmen, starke Nechtsgrttude für sich anführen können. Die Mächte, deren


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[0262] Wieder die ägyptische Frage. betont und auf eine baldige Entfernung der britischen Streitkräfte aus demselben dringt; aber die Zeitungen sind oft nur die vorausgeschickten Plänkler, wenn eine Regierung sich zu einer diplomatischen Campagne anschickt, und es wäre nicht unmöglich, daß die Gerüchte, nach welchen das Ministerium Freycinet dem¬ nächst in London Vorstellungen wegen einer endlichen Räumung Ägyptens von- seiten der Engländer macheu werde, sich als begründet erwiesen. Jedenfalls beschäftigt die ägyptische Frage nicht bloß die Zeitungsschreiber, sondern auch die Staatsmänner Frankreichs gegenwärtig mehr als die bulgarische Schwierig¬ keit, und da jene wahrscheinlich einige Zeit im Vordergründe verbleiben wird, so erscheint es nützlich, die Sache einmal näher zu betrachten und zu beleuchten. Seit der Schlacht bei Tel-El-Kebir, welche der Herrschaft Arabis ein Ziel setzte, ist das Nilland für die Franzosen ein Punkt gewesen, an den sie fast mit demselben Schmerze dachten wie an Elsaß-Lothringen. So lange der Feldzug dauerte, mochten viele unter ihnen sich Glück wünschen, daß ihre Regierung sich von einem Wagnisse fern gehalten habe, in das sich die englischen Nachbarn und Nebenbuhler, wie es schien, unbesonnen gestürzt hatten. Aber von dem Augen¬ blicke an, wo diese nach raschem Erfolge im Lande Fuß faßten und sich einzu¬ richten begannen, machte diese Freude wesentlich anderen Empfindungen Platz. Man sah, daß jene vorsichtige Haltung ein arger politischer Fehler gewesen war, indem sie dem britischen Rivalen die Erlangung von Vorurteilen gestattet hatte, die er natürlich nicht mit Frankreich zu teilen geneigt war. Der Ver¬ druß darüber äußerte sich in lauter Klage, und da Freycinet es gewesen war, welcher der französischen Flotte den Befehl erteilt hatte, vor der Beschießung Alexandriens von der Seite der englischen wegzudampfen, wurde er nicht mit Unrecht für die Einbuße an Einfluß verantwortlich gemacht, die Frankreich im Thale des Nil erlitten hatte. Daher jetzt sein Bestreben, diesen Vorwurf los¬ zuwerden, und dies die Erklärung, wenn er jetzt in der That begonnen hat, England zum Abzüge und zur Rückerstattung des Anteils von Einfluß zu drängen, den man französischcrseits, als er Verantwortlichkeit einschloß, aufzu¬ geben sich beeilte. Kurz: Freycinet wünscht, das Ansehen wiederzuerlangen, welches er bei dieser Gelegenheit verloren hat, und es versteht sich von selbst, daß er sich bei den Bestrebungen, welche diesem Wunsche entspringen, der eifrigen Unterstützung aller französischen Politiker zu erfreuen hat. Wie weit auch die gemäßigten Republikaner in ihren Meinungen und Zielen von den Konservativen entfernt stehen, welche breite Kluft die roten Sozialdemokraten von beiden scheidet, alle sind einig, daß auf England jeder Druck ausgeübt werdeu müsse, um es zum Rückzüge aus dem Pharaonenlande zu nötigen. Auch Clemenceau, der in allen übrigen Dingen andrer Meinung als der jetzt am Nuder stehende Staatsmann ist, stimmt in dieser Angelegenheit durchaus mit ihm überein. Dazu kommt noch, daß die Franzosen bei der Stellung, die sie hierbei ein¬ nehmen, starke Nechtsgrttude für sich anführen können. Die Mächte, deren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/262>, abgerufen am 27.09.2024.