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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Glympia mit der olympische Zeustempel.

ist es, welche uns den Schluß aufdrängt, daß auch der Name des Päonios
mit einer der beiden Giebelgruppen in keinerlei Zusammenhang zu bringen ist.

In den Erwartungen, daß mit den Giebelgruppen des Zeustempels von
Olympia ein Kunstwerk ersten Ranges, ein Werk von der Bedeutung der
Parthenvnsknlptnren, unserm Deukmälervorrate eingereiht werden wurde, hat
man sich getäuscht; ebensosehr in der Hoffnung, daß der Kunstcharakter des
Nlkamenes und des Päouios uns nun in einem klaren Bilde vor Augen treten
würde. So ist es begreiflich, daß mau sich nur schwer entschließen konnte,
die Nichtigkeit der Überlieferung in Frage zu stellen.

Es hat nicht an Versuchen gefehlt, den Skulpturen des Zenstempels durch
Vergleichung andrer Monumente eine positive Stellung in der Geschichte der
griechischen Kunst anzuweisen. Man glaubte Spuren gefunden zu haben, welche
nach Westen deuteten, und man wies mit Nachdruck auf Sizilien und Gro߬
griechenland hin; von dort sei der Einfluß einer eigenartigen Kunstrichtung nach
Olympia hinübergedrungen. In den jüngsten Meivpen des Tempels von Selinunt
glaubte man namentlich in Haltung und Bewegung einzelner Figuren eine Reihe
von Vergleichungspunkten gefunden zu haben, die einen den Bildwerken des
Zeustempels verwandten Geist atmeten, und die deshalb "entweder von der
nämlichen Bildhauerschule herrührten, welche in Selinunt, also im Westen, thätig
war, oder doch von einer Bildhauerschule, welche mit jener im Westen thätigen
nahe verwandt war und mit ihr in lebendigster Wechselwirkung stand." Von
andrer Seite wurde dagegen ans die Verwandtschaft mit den Parthenonsknlpturen
hingewiesen, und die Frage, je nach der Datirnng der beiden Monumente, in
verschiednen Sinne beantwortet. Diese Verwandtschaft zeigt sich weniger in den
fteifsymmetrischen Figuren des Ostgiebels von Olympia, als besonders in der
Kompositionsweise der westlichen Giebelgrnppe, wo Anklänge an bestimmte
Parthenonmetopen, namentlich in einzelnen originellen Motiven, unverkennbar
sind. Gegenüber der gesteigerten und energischen, ja kühnen Bewegung empfand
man bei den zum Vergleich herangezogenen Parthenonmetopen eine gewisse
Flausen der Komposition, eine Gebundenheit und wenig energische Motivirung
einzelner Kämpfergruppen, eine Erscheinung, welche den Schluß berechtigt er¬
scheinen ließ, daß die Priorität der Erfindung den Parthenonskulpturen angehöre.
Und da die technische Ausführung und die Formgebung der beiden olympischen
Giebelgruppen unzweifelhaft eine gleichartige ist, so mußte man die Zeitbestimmung
der einen auch auf die der andern übertragen und dem Ostgiebel ebenfalls ein
jüngeres Datum, als das der Bildwerke des Parthenon ist, anweisen. Die Er¬
klärung für die Reminiszenzen würde sich, wenn wir vorläufig den Skulpturen
des Parthenon eine frühere Entstehungszeit einräumen wollen, aus den äußern
Thatsachen aus Phidias' Leben, wie sie bisher in ihrer historischen Aufeinander¬
folge aufgefaßt wurden, ergeben.

Über Phidias' Tod bestehen zwei Überlieferungen, die sich direkt wider-


Glympia mit der olympische Zeustempel.

ist es, welche uns den Schluß aufdrängt, daß auch der Name des Päonios
mit einer der beiden Giebelgruppen in keinerlei Zusammenhang zu bringen ist.

In den Erwartungen, daß mit den Giebelgruppen des Zeustempels von
Olympia ein Kunstwerk ersten Ranges, ein Werk von der Bedeutung der
Parthenvnsknlptnren, unserm Deukmälervorrate eingereiht werden wurde, hat
man sich getäuscht; ebensosehr in der Hoffnung, daß der Kunstcharakter des
Nlkamenes und des Päouios uns nun in einem klaren Bilde vor Augen treten
würde. So ist es begreiflich, daß mau sich nur schwer entschließen konnte,
die Nichtigkeit der Überlieferung in Frage zu stellen.

Es hat nicht an Versuchen gefehlt, den Skulpturen des Zenstempels durch
Vergleichung andrer Monumente eine positive Stellung in der Geschichte der
griechischen Kunst anzuweisen. Man glaubte Spuren gefunden zu haben, welche
nach Westen deuteten, und man wies mit Nachdruck auf Sizilien und Gro߬
griechenland hin; von dort sei der Einfluß einer eigenartigen Kunstrichtung nach
Olympia hinübergedrungen. In den jüngsten Meivpen des Tempels von Selinunt
glaubte man namentlich in Haltung und Bewegung einzelner Figuren eine Reihe
von Vergleichungspunkten gefunden zu haben, die einen den Bildwerken des
Zeustempels verwandten Geist atmeten, und die deshalb „entweder von der
nämlichen Bildhauerschule herrührten, welche in Selinunt, also im Westen, thätig
war, oder doch von einer Bildhauerschule, welche mit jener im Westen thätigen
nahe verwandt war und mit ihr in lebendigster Wechselwirkung stand." Von
andrer Seite wurde dagegen ans die Verwandtschaft mit den Parthenonsknlpturen
hingewiesen, und die Frage, je nach der Datirnng der beiden Monumente, in
verschiednen Sinne beantwortet. Diese Verwandtschaft zeigt sich weniger in den
fteifsymmetrischen Figuren des Ostgiebels von Olympia, als besonders in der
Kompositionsweise der westlichen Giebelgrnppe, wo Anklänge an bestimmte
Parthenonmetopen, namentlich in einzelnen originellen Motiven, unverkennbar
sind. Gegenüber der gesteigerten und energischen, ja kühnen Bewegung empfand
man bei den zum Vergleich herangezogenen Parthenonmetopen eine gewisse
Flausen der Komposition, eine Gebundenheit und wenig energische Motivirung
einzelner Kämpfergruppen, eine Erscheinung, welche den Schluß berechtigt er¬
scheinen ließ, daß die Priorität der Erfindung den Parthenonskulpturen angehöre.
Und da die technische Ausführung und die Formgebung der beiden olympischen
Giebelgruppen unzweifelhaft eine gleichartige ist, so mußte man die Zeitbestimmung
der einen auch auf die der andern übertragen und dem Ostgiebel ebenfalls ein
jüngeres Datum, als das der Bildwerke des Parthenon ist, anweisen. Die Er¬
klärung für die Reminiszenzen würde sich, wenn wir vorläufig den Skulpturen
des Parthenon eine frühere Entstehungszeit einräumen wollen, aus den äußern
Thatsachen aus Phidias' Leben, wie sie bisher in ihrer historischen Aufeinander¬
folge aufgefaßt wurden, ergeben.

Über Phidias' Tod bestehen zwei Überlieferungen, die sich direkt wider-


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[0243] Glympia mit der olympische Zeustempel. ist es, welche uns den Schluß aufdrängt, daß auch der Name des Päonios mit einer der beiden Giebelgruppen in keinerlei Zusammenhang zu bringen ist. In den Erwartungen, daß mit den Giebelgruppen des Zeustempels von Olympia ein Kunstwerk ersten Ranges, ein Werk von der Bedeutung der Parthenvnsknlptnren, unserm Deukmälervorrate eingereiht werden wurde, hat man sich getäuscht; ebensosehr in der Hoffnung, daß der Kunstcharakter des Nlkamenes und des Päouios uns nun in einem klaren Bilde vor Augen treten würde. So ist es begreiflich, daß mau sich nur schwer entschließen konnte, die Nichtigkeit der Überlieferung in Frage zu stellen. Es hat nicht an Versuchen gefehlt, den Skulpturen des Zenstempels durch Vergleichung andrer Monumente eine positive Stellung in der Geschichte der griechischen Kunst anzuweisen. Man glaubte Spuren gefunden zu haben, welche nach Westen deuteten, und man wies mit Nachdruck auf Sizilien und Gro߬ griechenland hin; von dort sei der Einfluß einer eigenartigen Kunstrichtung nach Olympia hinübergedrungen. In den jüngsten Meivpen des Tempels von Selinunt glaubte man namentlich in Haltung und Bewegung einzelner Figuren eine Reihe von Vergleichungspunkten gefunden zu haben, die einen den Bildwerken des Zeustempels verwandten Geist atmeten, und die deshalb „entweder von der nämlichen Bildhauerschule herrührten, welche in Selinunt, also im Westen, thätig war, oder doch von einer Bildhauerschule, welche mit jener im Westen thätigen nahe verwandt war und mit ihr in lebendigster Wechselwirkung stand." Von andrer Seite wurde dagegen ans die Verwandtschaft mit den Parthenonsknlpturen hingewiesen, und die Frage, je nach der Datirnng der beiden Monumente, in verschiednen Sinne beantwortet. Diese Verwandtschaft zeigt sich weniger in den fteifsymmetrischen Figuren des Ostgiebels von Olympia, als besonders in der Kompositionsweise der westlichen Giebelgrnppe, wo Anklänge an bestimmte Parthenonmetopen, namentlich in einzelnen originellen Motiven, unverkennbar sind. Gegenüber der gesteigerten und energischen, ja kühnen Bewegung empfand man bei den zum Vergleich herangezogenen Parthenonmetopen eine gewisse Flausen der Komposition, eine Gebundenheit und wenig energische Motivirung einzelner Kämpfergruppen, eine Erscheinung, welche den Schluß berechtigt er¬ scheinen ließ, daß die Priorität der Erfindung den Parthenonskulpturen angehöre. Und da die technische Ausführung und die Formgebung der beiden olympischen Giebelgruppen unzweifelhaft eine gleichartige ist, so mußte man die Zeitbestimmung der einen auch auf die der andern übertragen und dem Ostgiebel ebenfalls ein jüngeres Datum, als das der Bildwerke des Parthenon ist, anweisen. Die Er¬ klärung für die Reminiszenzen würde sich, wenn wir vorläufig den Skulpturen des Parthenon eine frühere Entstehungszeit einräumen wollen, aus den äußern Thatsachen aus Phidias' Leben, wie sie bisher in ihrer historischen Aufeinander¬ folge aufgefaßt wurden, ergeben. Über Phidias' Tod bestehen zwei Überlieferungen, die sich direkt wider-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/243>, abgerufen am 27.09.2024.