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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Glympm und der olympische Zeustempel.

authentische Urkunden, die Kunstwerke sprachen selbst. Anders dagegen bei den
hoch im Geison des Tempels aufgestellten Giebelgruppen. Hier hatte der
Künstler seinen Namen nicht kommenden Geschlechtern überliefern können, und
wir begreifen es wohl, warum Pausanias die Parthenongiebel nur ganz sum¬
marisch und nur mit dürftigen Worten beschreibt und des Phidias, sei es auch
nur als indirekten Urhebers, garnicht gedenkt. Die Nachrichten über Knust-
Werke, die nicht um ihrer selbst willen geschaffen sind, die nur dekorative
Bestimmung haben, indes den Forderungen einer architektonischen Wirkung ge¬
nügen sollen, Pflegen, wenn sie nicht zufällig mit anekdotenhaften Zügen unter¬
mischt sind, in erstaunlich kurzer Zeit zu verlöschen. Seit der Vollendung des
Zeustempels bis zu den Tagen, wo Pausanias in Olympia weilte, waren sechs
Jahrhunderte vergangen. "Welchen Wert, schreibt Bötticher, würden wir heute
auf die Mitteilung eines Fremdenführers legen, der uns versicherte, dieses in
einer schlesischen Kirche erhaltene Becken sei von der Hand Bernwards von
Hildesheim, oder der uns den Meister der Wechselburger Reliefs namhaft
machte? Und brauchen wir so weite Zeitabstände heranzuziehen? Wie viele
gebildete Berliner wissen denn, von wessen Händen die herrlichen Giebelfcld-
kompositionen am Opernhause und am Schauspielhause herrühren, Meisterwerke,
von denen das eine sechzig, das andre vierzig Jahre zählt?"

Es läßt sich übrigens leicht erklären, warum man gerade den Namen des
Alkamenes mit der einen der beiden Giebelgruppen in Verbindung brachte. Daß
Phidias mit deu Seinen in Olympia lange Zeit geweilt hatte, war nie ver¬
gessen worden; die Inschrift an der Zeusstatue legte davon klares Zeugnis ab,
und noch Pausanias sah außerhalb der Attis ein Gebäude, welches man ihm
als die Werkstatt des großen Meisters bezeichnete und in welchem ein allen
Göttern gemeinsamer Altar errichtet war. Mag nun die Eitelkeit der Eleer
oder der Exegeten in Olympia Schuld gewesen sein, wenn den Fremden der
Name eines möglichst bedeutender, Künstlers genannt wurde, oder mag in späterer
Zeit in Olympia thatsächlich der Glaube verbreitet gewesen sein, daß die Schüler
und Genossen des attischen Meisters nicht ohne Einfluß auf die Ausführung
der Giebelskulpturen gewesen seien, jedenfalls begreifen wir es, warum man
gerade einen so bedeutenden Künstler wie Alkamenes, der in unsrer Überlieferung
einmal geradezu Schüler des Phidias genannt wird und von dem Pausanias
sagt, er sei "ein Mann, der zur Zeit des Phidias lebte und in Bezug auf
Kunstfertigkeit in Ausarbeitung von Bildsäulen den zweiten Platz behauptete,"
als Meister der eiuen Giebelgruppe bezeichnete.

Während die westliche Giebelgruppe aus Gründen, wie sie im Vorstehenden
entwickelt worden sind, fast allgemein jetzt aus der Reihe der Werke des
Alkamenes gestrichen wird, hat man eine gleich strenge Kritik für Päonios und
sein Verhältnis zu dem Ostgiebel als unerlaubt oder wenigstens als unnötig
hinzustellen gesucht. Wir gehen bei der Entscheidung dieser Frage aus von der


Grenzboten IV. 1886. 80
Glympm und der olympische Zeustempel.

authentische Urkunden, die Kunstwerke sprachen selbst. Anders dagegen bei den
hoch im Geison des Tempels aufgestellten Giebelgruppen. Hier hatte der
Künstler seinen Namen nicht kommenden Geschlechtern überliefern können, und
wir begreifen es wohl, warum Pausanias die Parthenongiebel nur ganz sum¬
marisch und nur mit dürftigen Worten beschreibt und des Phidias, sei es auch
nur als indirekten Urhebers, garnicht gedenkt. Die Nachrichten über Knust-
Werke, die nicht um ihrer selbst willen geschaffen sind, die nur dekorative
Bestimmung haben, indes den Forderungen einer architektonischen Wirkung ge¬
nügen sollen, Pflegen, wenn sie nicht zufällig mit anekdotenhaften Zügen unter¬
mischt sind, in erstaunlich kurzer Zeit zu verlöschen. Seit der Vollendung des
Zeustempels bis zu den Tagen, wo Pausanias in Olympia weilte, waren sechs
Jahrhunderte vergangen. „Welchen Wert, schreibt Bötticher, würden wir heute
auf die Mitteilung eines Fremdenführers legen, der uns versicherte, dieses in
einer schlesischen Kirche erhaltene Becken sei von der Hand Bernwards von
Hildesheim, oder der uns den Meister der Wechselburger Reliefs namhaft
machte? Und brauchen wir so weite Zeitabstände heranzuziehen? Wie viele
gebildete Berliner wissen denn, von wessen Händen die herrlichen Giebelfcld-
kompositionen am Opernhause und am Schauspielhause herrühren, Meisterwerke,
von denen das eine sechzig, das andre vierzig Jahre zählt?"

Es läßt sich übrigens leicht erklären, warum man gerade den Namen des
Alkamenes mit der einen der beiden Giebelgruppen in Verbindung brachte. Daß
Phidias mit deu Seinen in Olympia lange Zeit geweilt hatte, war nie ver¬
gessen worden; die Inschrift an der Zeusstatue legte davon klares Zeugnis ab,
und noch Pausanias sah außerhalb der Attis ein Gebäude, welches man ihm
als die Werkstatt des großen Meisters bezeichnete und in welchem ein allen
Göttern gemeinsamer Altar errichtet war. Mag nun die Eitelkeit der Eleer
oder der Exegeten in Olympia Schuld gewesen sein, wenn den Fremden der
Name eines möglichst bedeutender, Künstlers genannt wurde, oder mag in späterer
Zeit in Olympia thatsächlich der Glaube verbreitet gewesen sein, daß die Schüler
und Genossen des attischen Meisters nicht ohne Einfluß auf die Ausführung
der Giebelskulpturen gewesen seien, jedenfalls begreifen wir es, warum man
gerade einen so bedeutenden Künstler wie Alkamenes, der in unsrer Überlieferung
einmal geradezu Schüler des Phidias genannt wird und von dem Pausanias
sagt, er sei „ein Mann, der zur Zeit des Phidias lebte und in Bezug auf
Kunstfertigkeit in Ausarbeitung von Bildsäulen den zweiten Platz behauptete,"
als Meister der eiuen Giebelgruppe bezeichnete.

Während die westliche Giebelgruppe aus Gründen, wie sie im Vorstehenden
entwickelt worden sind, fast allgemein jetzt aus der Reihe der Werke des
Alkamenes gestrichen wird, hat man eine gleich strenge Kritik für Päonios und
sein Verhältnis zu dem Ostgiebel als unerlaubt oder wenigstens als unnötig
hinzustellen gesucht. Wir gehen bei der Entscheidung dieser Frage aus von der


Grenzboten IV. 1886. 80
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[0241] Glympm und der olympische Zeustempel. authentische Urkunden, die Kunstwerke sprachen selbst. Anders dagegen bei den hoch im Geison des Tempels aufgestellten Giebelgruppen. Hier hatte der Künstler seinen Namen nicht kommenden Geschlechtern überliefern können, und wir begreifen es wohl, warum Pausanias die Parthenongiebel nur ganz sum¬ marisch und nur mit dürftigen Worten beschreibt und des Phidias, sei es auch nur als indirekten Urhebers, garnicht gedenkt. Die Nachrichten über Knust- Werke, die nicht um ihrer selbst willen geschaffen sind, die nur dekorative Bestimmung haben, indes den Forderungen einer architektonischen Wirkung ge¬ nügen sollen, Pflegen, wenn sie nicht zufällig mit anekdotenhaften Zügen unter¬ mischt sind, in erstaunlich kurzer Zeit zu verlöschen. Seit der Vollendung des Zeustempels bis zu den Tagen, wo Pausanias in Olympia weilte, waren sechs Jahrhunderte vergangen. „Welchen Wert, schreibt Bötticher, würden wir heute auf die Mitteilung eines Fremdenführers legen, der uns versicherte, dieses in einer schlesischen Kirche erhaltene Becken sei von der Hand Bernwards von Hildesheim, oder der uns den Meister der Wechselburger Reliefs namhaft machte? Und brauchen wir so weite Zeitabstände heranzuziehen? Wie viele gebildete Berliner wissen denn, von wessen Händen die herrlichen Giebelfcld- kompositionen am Opernhause und am Schauspielhause herrühren, Meisterwerke, von denen das eine sechzig, das andre vierzig Jahre zählt?" Es läßt sich übrigens leicht erklären, warum man gerade den Namen des Alkamenes mit der einen der beiden Giebelgruppen in Verbindung brachte. Daß Phidias mit deu Seinen in Olympia lange Zeit geweilt hatte, war nie ver¬ gessen worden; die Inschrift an der Zeusstatue legte davon klares Zeugnis ab, und noch Pausanias sah außerhalb der Attis ein Gebäude, welches man ihm als die Werkstatt des großen Meisters bezeichnete und in welchem ein allen Göttern gemeinsamer Altar errichtet war. Mag nun die Eitelkeit der Eleer oder der Exegeten in Olympia Schuld gewesen sein, wenn den Fremden der Name eines möglichst bedeutender, Künstlers genannt wurde, oder mag in späterer Zeit in Olympia thatsächlich der Glaube verbreitet gewesen sein, daß die Schüler und Genossen des attischen Meisters nicht ohne Einfluß auf die Ausführung der Giebelskulpturen gewesen seien, jedenfalls begreifen wir es, warum man gerade einen so bedeutenden Künstler wie Alkamenes, der in unsrer Überlieferung einmal geradezu Schüler des Phidias genannt wird und von dem Pausanias sagt, er sei „ein Mann, der zur Zeit des Phidias lebte und in Bezug auf Kunstfertigkeit in Ausarbeitung von Bildsäulen den zweiten Platz behauptete," als Meister der eiuen Giebelgruppe bezeichnete. Während die westliche Giebelgruppe aus Gründen, wie sie im Vorstehenden entwickelt worden sind, fast allgemein jetzt aus der Reihe der Werke des Alkamenes gestrichen wird, hat man eine gleich strenge Kritik für Päonios und sein Verhältnis zu dem Ostgiebel als unerlaubt oder wenigstens als unnötig hinzustellen gesucht. Wir gehen bei der Entscheidung dieser Frage aus von der Grenzboten IV. 1886. 80

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/241>, abgerufen am 27.09.2024.