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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Glympia und der olympische Zeustempel.

verdienten und unverdienten Tadel gefunden; sogar der Vorwurf, daß er gar
uicht in Olympia gewesen sei, ist ihm nicht erspart geblieben. Dieser Vorwurf,
der eine, mich den Begriffen der Alten allerdings zu entschuldigende Kompilation
seines Werkes in sich schließen würde, wird nun für jeden, der sehen will und
sehen kann, auf Schritt und Tritt widerlegt. Pausanias war in Olympia, er
hat gesehen, was er beschreibt, aber er berichtet daneben auch, was er gelesen
und was nun ihm erzählt hat. Bei Beschreibung der Zeusstatue sagt er:
"Was über die Maße des Zeus in Bezug auf Höhe und Breite geschrieben
worden ist, weiß ich, kann aber die Vermesscr nicht loben." Er hat also offenbar
eine Schrift vor sich gehabt, in der unter anderm die Maße der Statue ange¬
geben waren; aber eben so offenbar kennt er die Statue aus eigner An¬
schauung. Wichtiger noch sür die Kritik seines Werkes ist eine andre That¬
sache. Das alte Olympia mit all seinen Sehenswürdigkeiten und Kunstschätzen,
die trotz der durch die Römer im umfangreichsten Maße betriebenen Plünde¬
rungen noch im zweiten nachchristlichen Jahrhundert in einer Menge vorhanden
waren, von der wir uns nur eine schwache Vorstellung machen können, hatte
seine Fremdenführer, geradeso wie heutigen Tages die besuchtesten Städte
Italiens, und wenn auch Parallelen ans moderner Zeit für das praktische
Leben im Altertume oft wenig verbindlich sind, so dürften sich doch die heutigen
italienischen Ciceroni mit ihrer erborgten Wissenschaft von den alten griechischen
"Exegeten" nur wenig unterscheiden. Wer jemals z. B. in Rom das kaum
zu vermeidende Unglück gehabt hat, sich eines Cicerone zu bedienen, der wird
Dinge erfahren haben, die er trotz aller Wissenschaft bisher nicht gewußt hat.
Auch in Pompeji, wo die Führer staatlicher Kontrole unterworfen sind, wird
der Laie mit manchen dem Fachmanne unbekannten Ergebnissen der Forschung
überrascht. Das ist in der Natur der Sache begründet. Die Führer lieben
es, sich mit einem besondern Nimbus zu umkleiden, der ihre Autorität bei den
Fremden erhöhen soll; sie bleiben -- weshalb nimmt man ihre Hilfe in An¬
spruch? -- wohl in den seltensten Fällen die Antwort auf eine Frage schuldig,
sie wissen auch den unbekanntesten Meister eines Kunstwerkes zu nennen.
Naffael hat viel gemalt -- warum uicht auch dies oder jenes Bild? Wir
wollen hier nun nicht die Frage entscheiden, inwieweit Pausanias "Kunstkenner"
war; genug, auch er hat angehört, was die Exegeten ihm erzählten, wenn er
auch bisweilen mit seinem Urteil über die Glaubwürdigkeit der Angaben nicht
zurückhält. "Der Mann, welcher dem Pelops (im Ostgiebel) den Wagen lenkte,
hieß uach der Sage der Troizenier Sphairos. Der Exegct in Olympia nannte
ihn Kittas" -- erzählt Pausanias. Hatte der Führer vielleicht auch gesagt:
Die Namen der Künstler sind Päonios und Alkamenes? Ja, woher sollte sie
denn Pausanias sonst erfahren haben? Bei den vielen Wcihgeschcnken, welche
in den Tempeln und in der Attis aufgestellt waren, nannte die Knnstlerinschrift
den Meister, sie las Pausanias, ihren Inhalt schrieb er sich auf, es waren


Glympia und der olympische Zeustempel.

verdienten und unverdienten Tadel gefunden; sogar der Vorwurf, daß er gar
uicht in Olympia gewesen sei, ist ihm nicht erspart geblieben. Dieser Vorwurf,
der eine, mich den Begriffen der Alten allerdings zu entschuldigende Kompilation
seines Werkes in sich schließen würde, wird nun für jeden, der sehen will und
sehen kann, auf Schritt und Tritt widerlegt. Pausanias war in Olympia, er
hat gesehen, was er beschreibt, aber er berichtet daneben auch, was er gelesen
und was nun ihm erzählt hat. Bei Beschreibung der Zeusstatue sagt er:
„Was über die Maße des Zeus in Bezug auf Höhe und Breite geschrieben
worden ist, weiß ich, kann aber die Vermesscr nicht loben." Er hat also offenbar
eine Schrift vor sich gehabt, in der unter anderm die Maße der Statue ange¬
geben waren; aber eben so offenbar kennt er die Statue aus eigner An¬
schauung. Wichtiger noch sür die Kritik seines Werkes ist eine andre That¬
sache. Das alte Olympia mit all seinen Sehenswürdigkeiten und Kunstschätzen,
die trotz der durch die Römer im umfangreichsten Maße betriebenen Plünde¬
rungen noch im zweiten nachchristlichen Jahrhundert in einer Menge vorhanden
waren, von der wir uns nur eine schwache Vorstellung machen können, hatte
seine Fremdenführer, geradeso wie heutigen Tages die besuchtesten Städte
Italiens, und wenn auch Parallelen ans moderner Zeit für das praktische
Leben im Altertume oft wenig verbindlich sind, so dürften sich doch die heutigen
italienischen Ciceroni mit ihrer erborgten Wissenschaft von den alten griechischen
„Exegeten" nur wenig unterscheiden. Wer jemals z. B. in Rom das kaum
zu vermeidende Unglück gehabt hat, sich eines Cicerone zu bedienen, der wird
Dinge erfahren haben, die er trotz aller Wissenschaft bisher nicht gewußt hat.
Auch in Pompeji, wo die Führer staatlicher Kontrole unterworfen sind, wird
der Laie mit manchen dem Fachmanne unbekannten Ergebnissen der Forschung
überrascht. Das ist in der Natur der Sache begründet. Die Führer lieben
es, sich mit einem besondern Nimbus zu umkleiden, der ihre Autorität bei den
Fremden erhöhen soll; sie bleiben — weshalb nimmt man ihre Hilfe in An¬
spruch? — wohl in den seltensten Fällen die Antwort auf eine Frage schuldig,
sie wissen auch den unbekanntesten Meister eines Kunstwerkes zu nennen.
Naffael hat viel gemalt — warum uicht auch dies oder jenes Bild? Wir
wollen hier nun nicht die Frage entscheiden, inwieweit Pausanias „Kunstkenner"
war; genug, auch er hat angehört, was die Exegeten ihm erzählten, wenn er
auch bisweilen mit seinem Urteil über die Glaubwürdigkeit der Angaben nicht
zurückhält. „Der Mann, welcher dem Pelops (im Ostgiebel) den Wagen lenkte,
hieß uach der Sage der Troizenier Sphairos. Der Exegct in Olympia nannte
ihn Kittas" — erzählt Pausanias. Hatte der Führer vielleicht auch gesagt:
Die Namen der Künstler sind Päonios und Alkamenes? Ja, woher sollte sie
denn Pausanias sonst erfahren haben? Bei den vielen Wcihgeschcnken, welche
in den Tempeln und in der Attis aufgestellt waren, nannte die Knnstlerinschrift
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/240>, abgerufen am 27.09.2024.