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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Der ewige Jude,

den Weg reich Rom. Der Germane Widumar wundert sich, einen Priester in
so jungen Jahren zu sehen: "Bei uns giebts Priester nur in grauen Haaren."
Darauf Walafried:


Nicht würdig bin ich noch, das sag' ich gern,
Daß man ans meinem Mund das Wort des Herrn
Schon hören soll. Doch ich vernahm
Den Uns aus seinem Mund und kam.


Ahasver.

Ich hörte gern -- doch hör' ich etwas schwer --
Den Ruf! Wie hört man ihn?


Walnsricd.

Bon innen her:
Wer ihn nicht hören will, dem bleibt er stumm.


Die Zwerge zeigen dem jungen Pilger den Weg nach Rom und weissagen die
bevorstehende Völkerverwirrung. Ahasver aber drängt es, die Wunderwelt der
Geistcrhöhle zu schauen. Ein Zwerg will ihn bis an das Thor derselben
führen, und Widnmar lädt den zögernden Walafried ein, anzuthun: "Die
Romfahrt währt noch lange! Geh erst mit uns!" Ahasver spottet:


Die alten Heidengötter fürchtet er.
Wenn seine Angen nackte Weiber sehen,
Dann könnte wohl sein Glaube nicht bestehen!


Walafried.

Nein! Der besteht! Trotz aller Teufelei!

(für sich)
Das ist Versuchung! Soll ich bleibe"V Gehen?


Widnmar.

Bist dn ein Manu?

So kommt! Gott steh' mir bei!

Walafried.

Die folgende Szene macht uns mit den Bewohnerinnen der Geisterhöhle bekannt.
In einer hohen Felsgrotte, bei Sonnenuntergang, kommen die "Erscheinungen"
Saelde, Aventiure, Minne und die Beherrscherin aller, Perachta (die Sage),
zusammen. Die Mädchen sehnen sich, die Welt kennen zu lernen und zu er¬
fahren, wer sie selbst seien; die Königin Perachta klärt sie über ihr Wesen auf:


Im Schoße der Zeit, verborgen und zart,
Erwachsen Kinder voll luftiger Art.
Dem Menschengeschlecht aufs engste verwandt,
Werden sie einmal hinausgesandt.
Dann wandern sie waltend durch Volk und Lande
Und schaffen Geschicke und binden Bande.
Dort, wo der Herzschlag des Volkes hämmert,
Wo Sitte erwächst und Sage verdämmert,
Da Hausen sie dann, und locken und leiten
Zum Sinnen und Sehnen, zum Streben und Streiten.
Sie lassen den einen werben und wagen,
Als Dulder den andern Leiden ertragen;
Und schafft sich der Mensch auch das eigene Leben,
Unsichtbare Mächte stehen daneben;
Bald helfen sie ihm in Güte zum Ende,
Bald hemmen sie ihm die haftenden Hände.
Das werdet auch ihr, seid ihr einst frei
Und unter den Menschen alle drei!

Der ewige Jude,

den Weg reich Rom. Der Germane Widumar wundert sich, einen Priester in
so jungen Jahren zu sehen: „Bei uns giebts Priester nur in grauen Haaren."
Darauf Walafried:


Nicht würdig bin ich noch, das sag' ich gern,
Daß man ans meinem Mund das Wort des Herrn
Schon hören soll. Doch ich vernahm
Den Uns aus seinem Mund und kam.


Ahasver.

Ich hörte gern — doch hör' ich etwas schwer —
Den Ruf! Wie hört man ihn?


Walnsricd.

Bon innen her:
Wer ihn nicht hören will, dem bleibt er stumm.


Die Zwerge zeigen dem jungen Pilger den Weg nach Rom und weissagen die
bevorstehende Völkerverwirrung. Ahasver aber drängt es, die Wunderwelt der
Geistcrhöhle zu schauen. Ein Zwerg will ihn bis an das Thor derselben
führen, und Widnmar lädt den zögernden Walafried ein, anzuthun: „Die
Romfahrt währt noch lange! Geh erst mit uns!" Ahasver spottet:


Die alten Heidengötter fürchtet er.
Wenn seine Angen nackte Weiber sehen,
Dann könnte wohl sein Glaube nicht bestehen!


Walafried.

Nein! Der besteht! Trotz aller Teufelei!

(für sich)
Das ist Versuchung! Soll ich bleibe»V Gehen?


Widnmar.

Bist dn ein Manu?

So kommt! Gott steh' mir bei!

Walafried.

Die folgende Szene macht uns mit den Bewohnerinnen der Geisterhöhle bekannt.
In einer hohen Felsgrotte, bei Sonnenuntergang, kommen die „Erscheinungen"
Saelde, Aventiure, Minne und die Beherrscherin aller, Perachta (die Sage),
zusammen. Die Mädchen sehnen sich, die Welt kennen zu lernen und zu er¬
fahren, wer sie selbst seien; die Königin Perachta klärt sie über ihr Wesen auf:


Im Schoße der Zeit, verborgen und zart,
Erwachsen Kinder voll luftiger Art.
Dem Menschengeschlecht aufs engste verwandt,
Werden sie einmal hinausgesandt.
Dann wandern sie waltend durch Volk und Lande
Und schaffen Geschicke und binden Bande.
Dort, wo der Herzschlag des Volkes hämmert,
Wo Sitte erwächst und Sage verdämmert,
Da Hausen sie dann, und locken und leiten
Zum Sinnen und Sehnen, zum Streben und Streiten.
Sie lassen den einen werben und wagen,
Als Dulder den andern Leiden ertragen;
Und schafft sich der Mensch auch das eigene Leben,
Unsichtbare Mächte stehen daneben;
Bald helfen sie ihm in Güte zum Ende,
Bald hemmen sie ihm die haftenden Hände.
Das werdet auch ihr, seid ihr einst frei
Und unter den Menschen alle drei!

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[0234] Der ewige Jude, den Weg reich Rom. Der Germane Widumar wundert sich, einen Priester in so jungen Jahren zu sehen: „Bei uns giebts Priester nur in grauen Haaren." Darauf Walafried: Nicht würdig bin ich noch, das sag' ich gern, Daß man ans meinem Mund das Wort des Herrn Schon hören soll. Doch ich vernahm Den Uns aus seinem Mund und kam. Ahasver. Ich hörte gern — doch hör' ich etwas schwer — Den Ruf! Wie hört man ihn? Walnsricd. Bon innen her: Wer ihn nicht hören will, dem bleibt er stumm. Die Zwerge zeigen dem jungen Pilger den Weg nach Rom und weissagen die bevorstehende Völkerverwirrung. Ahasver aber drängt es, die Wunderwelt der Geistcrhöhle zu schauen. Ein Zwerg will ihn bis an das Thor derselben führen, und Widnmar lädt den zögernden Walafried ein, anzuthun: „Die Romfahrt währt noch lange! Geh erst mit uns!" Ahasver spottet: Die alten Heidengötter fürchtet er. Wenn seine Angen nackte Weiber sehen, Dann könnte wohl sein Glaube nicht bestehen! Walafried. Nein! Der besteht! Trotz aller Teufelei! (für sich) Das ist Versuchung! Soll ich bleibe»V Gehen? Widnmar. Bist dn ein Manu? So kommt! Gott steh' mir bei! Walafried. Die folgende Szene macht uns mit den Bewohnerinnen der Geisterhöhle bekannt. In einer hohen Felsgrotte, bei Sonnenuntergang, kommen die „Erscheinungen" Saelde, Aventiure, Minne und die Beherrscherin aller, Perachta (die Sage), zusammen. Die Mädchen sehnen sich, die Welt kennen zu lernen und zu er¬ fahren, wer sie selbst seien; die Königin Perachta klärt sie über ihr Wesen auf: Im Schoße der Zeit, verborgen und zart, Erwachsen Kinder voll luftiger Art. Dem Menschengeschlecht aufs engste verwandt, Werden sie einmal hinausgesandt. Dann wandern sie waltend durch Volk und Lande Und schaffen Geschicke und binden Bande. Dort, wo der Herzschlag des Volkes hämmert, Wo Sitte erwächst und Sage verdämmert, Da Hausen sie dann, und locken und leiten Zum Sinnen und Sehnen, zum Streben und Streiten. Sie lassen den einen werben und wagen, Als Dulder den andern Leiden ertragen; Und schafft sich der Mensch auch das eigene Leben, Unsichtbare Mächte stehen daneben; Bald helfen sie ihm in Güte zum Ende, Bald hemmen sie ihm die haftenden Hände. Das werdet auch ihr, seid ihr einst frei Und unter den Menschen alle drei!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/234>, abgerufen am 27.09.2024.