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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Die Ziele der Reform des höhern Schulwesens.

nistische Erziehung als einer interessanten Mode sympathisch gegenübersteht,
wird sie als neue, bedeutsame Kundgebung der sehr rührigen Partei freudig
begrüßen. Eine Äußerung Vonseiten der in den gebildeten und wahrhaft libe¬
ralen Schichten des Volkes sicherlich niemals zu überwindenden Gegenpartei
dürfte daher bei diesem Anlaß auf Nachsicht rechnen.

Parteien scheinen es nun einmal durchaus sein zu wollen, die in dieser
objektivster Sache einander gegenüberstehen. Man weiß, wie kläglich alle Ver¬
suche zur Verständigung zu scheitern pflegen. Die Zeit liebt überhaupt die
Extreme, das Absprechen, das Uneingeschränkte. Aber in dieser Frage sind es
wirklich zwei durchaus entgegengesetzte Weltauffassungen, die zum Ausdruck
kommen, von denen die eine die andre unbarmherzig verneinen muß.

Ich kann nicht umhin, bei diesem Punkte des trübseligen Eindruckes zu
gedenken, den die fortschreitende Verwüstung der Überreste des antiken Roms
vor kurzem in den oben berührten Kreisen hervorrief und der in allen ihren
Organen fast gleichzeitig zu erschütterndem Ausdruck gelangte. War es wirklich
bloß jener äußere Anlaß, der diese tiefe Erregung bewirkte? Erschien er nicht
vielmehr zugleich als deutlicher, greifbarer Anhalt für ein lange unterdrücktes,
überall genährtes Gefühl? Mir kam er wirklich vor wie ein bängliches An¬
zeichen für eine den einzelnen Vorgang getreu im großen spiegelnde Erschei¬
nung, für die kaum mehr hiuwegzudisputireude Thatsache, daß die Schönheit
keinen Raum mehr hat zwischen den Geschäftsstraßen und Volksplätzen der mo¬
dernen Welt. Die arme Schönheit! Sie hat wohl in den letzten fünfhundert
Jahren die Geister zu viel und stellenweise zu ausschließlich beschäftigt. Aber
es berührt doch schmerzlich, wenn mau sieht, wie man die erste gebotene Ge¬
legenheit am liebsten benutzen möchte, sie wieder gänzlich auf und davon zu
jagen, wie man sich anstellt, als wäre man ein halbes Jahrtausend am Narren¬
seile geführt worden, wie man ihr, gleich einem endlich zu seinem Ziele ge¬
langten Angeber, triumphirend den Prozeß macht und sich so ungeheuer be¬
haglich fühlt bei diesem grausamen, häßlichen Geschäfte. Die arme Schönheit!
Sie kann sich nicht verteidigen, sie kann bloß wirken, durch sich selbst wirken,
und muß sich entsagungsvoll ergeben, wenn sie diese Wirkung nicht erreicht.
Ich finde es nicht ritterlich gehandelt gegen die arme Schönheit, daß ihrer
Richter und Angreifer gar so viele sind.

Und daß die Angriffe gegen die humanistische Erziehung letzten Endes
Augriffe gegen die Schönheit sind, die bedrohlichsten, ja die ausschlaggebenden,
darüber kann sich nur der täuschen, dem die Grundbedingungen für die Mög¬
lichkeit und Wirksamkeit der Schönheit in einer stets von nächsten Zwecken be¬
stimmten Welt gleichgiltig oder gänzlich fremd sind. Für das, was man in
Deutschland seit Schiller als "ästhetische Erziehung" schätzt, nämlich die Me¬
thode, "den sinnlichen Menschen durch die Schönheit zur Form und zum Denken
(im allgemeinen) zu geleiten," dafür ist die Idee der humanistischen Erziehung


Die Ziele der Reform des höhern Schulwesens.

nistische Erziehung als einer interessanten Mode sympathisch gegenübersteht,
wird sie als neue, bedeutsame Kundgebung der sehr rührigen Partei freudig
begrüßen. Eine Äußerung Vonseiten der in den gebildeten und wahrhaft libe¬
ralen Schichten des Volkes sicherlich niemals zu überwindenden Gegenpartei
dürfte daher bei diesem Anlaß auf Nachsicht rechnen.

Parteien scheinen es nun einmal durchaus sein zu wollen, die in dieser
objektivster Sache einander gegenüberstehen. Man weiß, wie kläglich alle Ver¬
suche zur Verständigung zu scheitern pflegen. Die Zeit liebt überhaupt die
Extreme, das Absprechen, das Uneingeschränkte. Aber in dieser Frage sind es
wirklich zwei durchaus entgegengesetzte Weltauffassungen, die zum Ausdruck
kommen, von denen die eine die andre unbarmherzig verneinen muß.

Ich kann nicht umhin, bei diesem Punkte des trübseligen Eindruckes zu
gedenken, den die fortschreitende Verwüstung der Überreste des antiken Roms
vor kurzem in den oben berührten Kreisen hervorrief und der in allen ihren
Organen fast gleichzeitig zu erschütterndem Ausdruck gelangte. War es wirklich
bloß jener äußere Anlaß, der diese tiefe Erregung bewirkte? Erschien er nicht
vielmehr zugleich als deutlicher, greifbarer Anhalt für ein lange unterdrücktes,
überall genährtes Gefühl? Mir kam er wirklich vor wie ein bängliches An¬
zeichen für eine den einzelnen Vorgang getreu im großen spiegelnde Erschei¬
nung, für die kaum mehr hiuwegzudisputireude Thatsache, daß die Schönheit
keinen Raum mehr hat zwischen den Geschäftsstraßen und Volksplätzen der mo¬
dernen Welt. Die arme Schönheit! Sie hat wohl in den letzten fünfhundert
Jahren die Geister zu viel und stellenweise zu ausschließlich beschäftigt. Aber
es berührt doch schmerzlich, wenn mau sieht, wie man die erste gebotene Ge¬
legenheit am liebsten benutzen möchte, sie wieder gänzlich auf und davon zu
jagen, wie man sich anstellt, als wäre man ein halbes Jahrtausend am Narren¬
seile geführt worden, wie man ihr, gleich einem endlich zu seinem Ziele ge¬
langten Angeber, triumphirend den Prozeß macht und sich so ungeheuer be¬
haglich fühlt bei diesem grausamen, häßlichen Geschäfte. Die arme Schönheit!
Sie kann sich nicht verteidigen, sie kann bloß wirken, durch sich selbst wirken,
und muß sich entsagungsvoll ergeben, wenn sie diese Wirkung nicht erreicht.
Ich finde es nicht ritterlich gehandelt gegen die arme Schönheit, daß ihrer
Richter und Angreifer gar so viele sind.

Und daß die Angriffe gegen die humanistische Erziehung letzten Endes
Augriffe gegen die Schönheit sind, die bedrohlichsten, ja die ausschlaggebenden,
darüber kann sich nur der täuschen, dem die Grundbedingungen für die Mög¬
lichkeit und Wirksamkeit der Schönheit in einer stets von nächsten Zwecken be¬
stimmten Welt gleichgiltig oder gänzlich fremd sind. Für das, was man in
Deutschland seit Schiller als „ästhetische Erziehung" schätzt, nämlich die Me¬
thode, „den sinnlichen Menschen durch die Schönheit zur Form und zum Denken
(im allgemeinen) zu geleiten," dafür ist die Idee der humanistischen Erziehung


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[0222] Die Ziele der Reform des höhern Schulwesens. nistische Erziehung als einer interessanten Mode sympathisch gegenübersteht, wird sie als neue, bedeutsame Kundgebung der sehr rührigen Partei freudig begrüßen. Eine Äußerung Vonseiten der in den gebildeten und wahrhaft libe¬ ralen Schichten des Volkes sicherlich niemals zu überwindenden Gegenpartei dürfte daher bei diesem Anlaß auf Nachsicht rechnen. Parteien scheinen es nun einmal durchaus sein zu wollen, die in dieser objektivster Sache einander gegenüberstehen. Man weiß, wie kläglich alle Ver¬ suche zur Verständigung zu scheitern pflegen. Die Zeit liebt überhaupt die Extreme, das Absprechen, das Uneingeschränkte. Aber in dieser Frage sind es wirklich zwei durchaus entgegengesetzte Weltauffassungen, die zum Ausdruck kommen, von denen die eine die andre unbarmherzig verneinen muß. Ich kann nicht umhin, bei diesem Punkte des trübseligen Eindruckes zu gedenken, den die fortschreitende Verwüstung der Überreste des antiken Roms vor kurzem in den oben berührten Kreisen hervorrief und der in allen ihren Organen fast gleichzeitig zu erschütterndem Ausdruck gelangte. War es wirklich bloß jener äußere Anlaß, der diese tiefe Erregung bewirkte? Erschien er nicht vielmehr zugleich als deutlicher, greifbarer Anhalt für ein lange unterdrücktes, überall genährtes Gefühl? Mir kam er wirklich vor wie ein bängliches An¬ zeichen für eine den einzelnen Vorgang getreu im großen spiegelnde Erschei¬ nung, für die kaum mehr hiuwegzudisputireude Thatsache, daß die Schönheit keinen Raum mehr hat zwischen den Geschäftsstraßen und Volksplätzen der mo¬ dernen Welt. Die arme Schönheit! Sie hat wohl in den letzten fünfhundert Jahren die Geister zu viel und stellenweise zu ausschließlich beschäftigt. Aber es berührt doch schmerzlich, wenn mau sieht, wie man die erste gebotene Ge¬ legenheit am liebsten benutzen möchte, sie wieder gänzlich auf und davon zu jagen, wie man sich anstellt, als wäre man ein halbes Jahrtausend am Narren¬ seile geführt worden, wie man ihr, gleich einem endlich zu seinem Ziele ge¬ langten Angeber, triumphirend den Prozeß macht und sich so ungeheuer be¬ haglich fühlt bei diesem grausamen, häßlichen Geschäfte. Die arme Schönheit! Sie kann sich nicht verteidigen, sie kann bloß wirken, durch sich selbst wirken, und muß sich entsagungsvoll ergeben, wenn sie diese Wirkung nicht erreicht. Ich finde es nicht ritterlich gehandelt gegen die arme Schönheit, daß ihrer Richter und Angreifer gar so viele sind. Und daß die Angriffe gegen die humanistische Erziehung letzten Endes Augriffe gegen die Schönheit sind, die bedrohlichsten, ja die ausschlaggebenden, darüber kann sich nur der täuschen, dem die Grundbedingungen für die Mög¬ lichkeit und Wirksamkeit der Schönheit in einer stets von nächsten Zwecken be¬ stimmten Welt gleichgiltig oder gänzlich fremd sind. Für das, was man in Deutschland seit Schiller als „ästhetische Erziehung" schätzt, nämlich die Me¬ thode, „den sinnlichen Menschen durch die Schönheit zur Form und zum Denken (im allgemeinen) zu geleiten," dafür ist die Idee der humanistischen Erziehung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/222>, abgerufen am 27.09.2024.