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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Land und Leute in Bulgarien.

Rock, den man mit einem neuen nur deshalb nicht gern vertauscht, weil man
sich diesen erst wieder auf deu Leib gewöhnen muß. So steht die Sache. Ich
bin am Schlüsse.

Lieber Herr Kollege Meisel: Kommen Sie aufs urwüchsige platte Laud,
wo die Hauptmasse der 46 000 000 Deutschen wohnt, und Sie werden mir zu¬
rufen: "Grau, teurer Freund, ist alle Theorie!"




Land und Leute in Bulgarien.
3. Finanzen, Gesetzgebung, Verkehrsmittel, Unterrichtswosen und Armee.

le finanziellen Verhältnisse Bulgariens waren bis 1885 recht
befriedigender Art und konnten noch besser gewesen sein, wenn die
Art, wie die Steuern erhoben werden, nicht sehr primitiv und
mangelhaft wäre, was namentlich von dem System gilt, welches
auf dem Lande üblich ist. Die Eintreibung der Abgaben liegt
hier dem von den Bauern gewählten Gemeindevorstande ob, dessen Schulbildung
Quittungen unthunlich und dessen Denkart ehrliche Ablieferung der Gelder un¬
wahrscheinlich macht. Der gute Mann geht eben, wenn der Termin zur Ab¬
lieferung kommt, umher, sieht, was er einsammeln kann, wobei zu bemerken ist,
daß der Bulgare sich immer ärmer zu stellen Pflegt, als er ist, drückt heraus, soviel
die Zitrone hergeben will, und überlegt daun, was er davon der höhern Behörde
für sich unterschlagen darf, ohne daß sie es merkt. Trotzdem hat sich Bulgarien im
Punkte der Finanzen bisher vergleichsweise nicht übel befunden. Wenigstens hatte
es bis vor kurzem keine Schulden, während sein serbischer Nachbar mit seiner
leidenschaftlichen Neigung zu Kriegshändeln und Niederlagen bereits 260 Millionen
Franks (144 Franks auf den Kopf der Bevölkerung) zusammengeborgt und nun
tüchtig zu arbeiten und zu sparen hat, um deu Juden der Wiener Länderbank
und andern die Politik "fruktifizirenden" Semiten fette Dividenden zahlen zu
können. Der bulgarische Handel, der 1879 nur etwa 52 Millionen Leva (Franks)
umsetzte, hob sich in den nächsten drei Jahren auf 90 Millionen, und so brachten
die Zölle dem Staatsschatze recht ansehnliche Summen ein. An der Ein- und
Ausfuhr waren in erster Linie Österreich-Ungarn, daun England, Rumänien und
Frankreich, letzteres mit drei Millionen, beteiligt. Der Absatz Deutschlands ist
schwer zu schätzen, da er durch österreichische Firmen vermittelt wird.

Das erste Budget des Fürstentums, für das Finanzjahr 1880--1831 ent¬
worfen, wies 23114 000 Leva Einnahmen bei 27 306 267 Leva Ausgaben, also


Land und Leute in Bulgarien.

Rock, den man mit einem neuen nur deshalb nicht gern vertauscht, weil man
sich diesen erst wieder auf deu Leib gewöhnen muß. So steht die Sache. Ich
bin am Schlüsse.

Lieber Herr Kollege Meisel: Kommen Sie aufs urwüchsige platte Laud,
wo die Hauptmasse der 46 000 000 Deutschen wohnt, und Sie werden mir zu¬
rufen: „Grau, teurer Freund, ist alle Theorie!"




Land und Leute in Bulgarien.
3. Finanzen, Gesetzgebung, Verkehrsmittel, Unterrichtswosen und Armee.

le finanziellen Verhältnisse Bulgariens waren bis 1885 recht
befriedigender Art und konnten noch besser gewesen sein, wenn die
Art, wie die Steuern erhoben werden, nicht sehr primitiv und
mangelhaft wäre, was namentlich von dem System gilt, welches
auf dem Lande üblich ist. Die Eintreibung der Abgaben liegt
hier dem von den Bauern gewählten Gemeindevorstande ob, dessen Schulbildung
Quittungen unthunlich und dessen Denkart ehrliche Ablieferung der Gelder un¬
wahrscheinlich macht. Der gute Mann geht eben, wenn der Termin zur Ab¬
lieferung kommt, umher, sieht, was er einsammeln kann, wobei zu bemerken ist,
daß der Bulgare sich immer ärmer zu stellen Pflegt, als er ist, drückt heraus, soviel
die Zitrone hergeben will, und überlegt daun, was er davon der höhern Behörde
für sich unterschlagen darf, ohne daß sie es merkt. Trotzdem hat sich Bulgarien im
Punkte der Finanzen bisher vergleichsweise nicht übel befunden. Wenigstens hatte
es bis vor kurzem keine Schulden, während sein serbischer Nachbar mit seiner
leidenschaftlichen Neigung zu Kriegshändeln und Niederlagen bereits 260 Millionen
Franks (144 Franks auf den Kopf der Bevölkerung) zusammengeborgt und nun
tüchtig zu arbeiten und zu sparen hat, um deu Juden der Wiener Länderbank
und andern die Politik „fruktifizirenden" Semiten fette Dividenden zahlen zu
können. Der bulgarische Handel, der 1879 nur etwa 52 Millionen Leva (Franks)
umsetzte, hob sich in den nächsten drei Jahren auf 90 Millionen, und so brachten
die Zölle dem Staatsschatze recht ansehnliche Summen ein. An der Ein- und
Ausfuhr waren in erster Linie Österreich-Ungarn, daun England, Rumänien und
Frankreich, letzteres mit drei Millionen, beteiligt. Der Absatz Deutschlands ist
schwer zu schätzen, da er durch österreichische Firmen vermittelt wird.

Das erste Budget des Fürstentums, für das Finanzjahr 1880—1831 ent¬
worfen, wies 23114 000 Leva Einnahmen bei 27 306 267 Leva Ausgaben, also


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[0214] Land und Leute in Bulgarien. Rock, den man mit einem neuen nur deshalb nicht gern vertauscht, weil man sich diesen erst wieder auf deu Leib gewöhnen muß. So steht die Sache. Ich bin am Schlüsse. Lieber Herr Kollege Meisel: Kommen Sie aufs urwüchsige platte Laud, wo die Hauptmasse der 46 000 000 Deutschen wohnt, und Sie werden mir zu¬ rufen: „Grau, teurer Freund, ist alle Theorie!" Land und Leute in Bulgarien. 3. Finanzen, Gesetzgebung, Verkehrsmittel, Unterrichtswosen und Armee. le finanziellen Verhältnisse Bulgariens waren bis 1885 recht befriedigender Art und konnten noch besser gewesen sein, wenn die Art, wie die Steuern erhoben werden, nicht sehr primitiv und mangelhaft wäre, was namentlich von dem System gilt, welches auf dem Lande üblich ist. Die Eintreibung der Abgaben liegt hier dem von den Bauern gewählten Gemeindevorstande ob, dessen Schulbildung Quittungen unthunlich und dessen Denkart ehrliche Ablieferung der Gelder un¬ wahrscheinlich macht. Der gute Mann geht eben, wenn der Termin zur Ab¬ lieferung kommt, umher, sieht, was er einsammeln kann, wobei zu bemerken ist, daß der Bulgare sich immer ärmer zu stellen Pflegt, als er ist, drückt heraus, soviel die Zitrone hergeben will, und überlegt daun, was er davon der höhern Behörde für sich unterschlagen darf, ohne daß sie es merkt. Trotzdem hat sich Bulgarien im Punkte der Finanzen bisher vergleichsweise nicht übel befunden. Wenigstens hatte es bis vor kurzem keine Schulden, während sein serbischer Nachbar mit seiner leidenschaftlichen Neigung zu Kriegshändeln und Niederlagen bereits 260 Millionen Franks (144 Franks auf den Kopf der Bevölkerung) zusammengeborgt und nun tüchtig zu arbeiten und zu sparen hat, um deu Juden der Wiener Länderbank und andern die Politik „fruktifizirenden" Semiten fette Dividenden zahlen zu können. Der bulgarische Handel, der 1879 nur etwa 52 Millionen Leva (Franks) umsetzte, hob sich in den nächsten drei Jahren auf 90 Millionen, und so brachten die Zölle dem Staatsschatze recht ansehnliche Summen ein. An der Ein- und Ausfuhr waren in erster Linie Österreich-Ungarn, daun England, Rumänien und Frankreich, letzteres mit drei Millionen, beteiligt. Der Absatz Deutschlands ist schwer zu schätzen, da er durch österreichische Firmen vermittelt wird. Das erste Budget des Fürstentums, für das Finanzjahr 1880—1831 ent¬ worfen, wies 23114 000 Leva Einnahmen bei 27 306 267 Leva Ausgaben, also

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/214>, abgerufen am 27.09.2024.