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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Noch ein Wort über Schöffengerichte.

fnhruugen zwar manches Beherzigenswerte für die Praxis der Schöffengerichte,
wie wir sie min einmal haben, enthalten, daß ich jedoch nicht anzuerkennen
vermag, daß eine Besserung der Zustände gegen früher erreicht werde, auch
wenn alle von dem Herrn Verfasser den Berufsrichtern gegebenen Winke genau
befolgt werden.

Der Verfasser stellt die beiden Begriffe "Juristeurecht" und "Rechts¬
bewußtsein des Volkes" zu einander in Gegensatz. Mir will es zunächst scheinen,
als wenn er den Gegensatz nicht scharf genug präzisirt hätte. Ein Recht neben
dem Juristenrecht, unter welchem man in dem gegebenen Zusammenhange Straf¬
gesetzbuch, Strafprozeßordnung, polizeiliche und sonstige, für die strafrechtliche
Jurisdiktion der Untergeriehte maßgebende Kodifikationen zu verstehen hat, ein
etwa in Gewohnheiten und Anschauungen der großen Masse beruhendes und
neben den erwähnten Kodifikationen anwendbares Recht giebt es garnicht, folglich
auch kein Bewußtsein eines solchen Rechtes. Meisel will einen solchen Gegensatz
indes wohl auch nicht gemacht haben, sondern stellt nur die verschiedene Art
und Weise einander gegenüber, auf welche hier der Jurist und dort der Mann
aus dem Volke die geschriebenen Gesetze im gegebenen Falle auszulegen geneigt
sein könnte und in der That oft auch geneigt ist. Er würde dann besser von
einem "Rechtsbewußtsein der Juristen" und einem "Rechtsbewußtsein des Volkes"
gesprochen haben -- wobei ich nur beiläufig bemerken möchte, daß der Ausdruck
"Voll" immer noch ein sehr mißlicher bleibt, denn zum Volke gehört jeder, auch
der Jurist; unter Volk wird Meisel also wohl die Laien im Gegensatz zu den
Juristen verstanden wissen wollen, dabei freilich noch selber zuzugestehen haben,
daß innerhalb des Rechtsbewußtseins dieser Menschenklasse noch die gewaltigsten
Unterschiede obwalten, da sich wohl nicht bestreiten lassen dürfte, daß z. B. das
Rechtsbewußtsein eines Professors der Philosophie vielfach ein ganz andres sein
wird als dasjenige eines Dorfschulthcißen.

Sagen wir also gleich: Der Verfasser unterscheidet zwischen der Auffassung
des Fachjuristen und der Auffassung des Nichtjuristeu mit normalem, gesundem
Menschenverstande, und er verlangt, daß beide sich bei Anwendung des geschriebenen
Strafrechtes durchdringen, gegenseitig klären und ergänzen sollen.

Demgegenüber behaupte ich nun: Der Fachjurist hat auch gesunden Menschen¬
verstand, dieser allein verbürgt aber eben die richtige Handhabung der geschrie¬
benen Gesetze nicht. Wäre dies der Fall, so brauchten wir eben keine Fach-
juristen. Der gesunde Menschenverstand muß zu diesem Zwecke durch die Fähigkeit,
juristisch zu denken, die nur durch lange Studien und Erfahrungen erworben
werden kann, sozusagen höher potenzirt sein. Wer aber behauptet, eben wegen
seiner juristischen Dressur müsse der Verufsrichter notwendiger- oder wenigstens
zweckmäßigerweise Laienrichter als gleichberechtigte Kollegen zur Seite haben,
der behauptet weiter nichts als: Der gesunde Menschenverstand des Richters ist
infolge seiner juristischen Schulung korrumpirt!


Noch ein Wort über Schöffengerichte.

fnhruugen zwar manches Beherzigenswerte für die Praxis der Schöffengerichte,
wie wir sie min einmal haben, enthalten, daß ich jedoch nicht anzuerkennen
vermag, daß eine Besserung der Zustände gegen früher erreicht werde, auch
wenn alle von dem Herrn Verfasser den Berufsrichtern gegebenen Winke genau
befolgt werden.

Der Verfasser stellt die beiden Begriffe „Juristeurecht" und „Rechts¬
bewußtsein des Volkes" zu einander in Gegensatz. Mir will es zunächst scheinen,
als wenn er den Gegensatz nicht scharf genug präzisirt hätte. Ein Recht neben
dem Juristenrecht, unter welchem man in dem gegebenen Zusammenhange Straf¬
gesetzbuch, Strafprozeßordnung, polizeiliche und sonstige, für die strafrechtliche
Jurisdiktion der Untergeriehte maßgebende Kodifikationen zu verstehen hat, ein
etwa in Gewohnheiten und Anschauungen der großen Masse beruhendes und
neben den erwähnten Kodifikationen anwendbares Recht giebt es garnicht, folglich
auch kein Bewußtsein eines solchen Rechtes. Meisel will einen solchen Gegensatz
indes wohl auch nicht gemacht haben, sondern stellt nur die verschiedene Art
und Weise einander gegenüber, auf welche hier der Jurist und dort der Mann
aus dem Volke die geschriebenen Gesetze im gegebenen Falle auszulegen geneigt
sein könnte und in der That oft auch geneigt ist. Er würde dann besser von
einem „Rechtsbewußtsein der Juristen" und einem „Rechtsbewußtsein des Volkes"
gesprochen haben — wobei ich nur beiläufig bemerken möchte, daß der Ausdruck
„Voll" immer noch ein sehr mißlicher bleibt, denn zum Volke gehört jeder, auch
der Jurist; unter Volk wird Meisel also wohl die Laien im Gegensatz zu den
Juristen verstanden wissen wollen, dabei freilich noch selber zuzugestehen haben,
daß innerhalb des Rechtsbewußtseins dieser Menschenklasse noch die gewaltigsten
Unterschiede obwalten, da sich wohl nicht bestreiten lassen dürfte, daß z. B. das
Rechtsbewußtsein eines Professors der Philosophie vielfach ein ganz andres sein
wird als dasjenige eines Dorfschulthcißen.

Sagen wir also gleich: Der Verfasser unterscheidet zwischen der Auffassung
des Fachjuristen und der Auffassung des Nichtjuristeu mit normalem, gesundem
Menschenverstande, und er verlangt, daß beide sich bei Anwendung des geschriebenen
Strafrechtes durchdringen, gegenseitig klären und ergänzen sollen.

Demgegenüber behaupte ich nun: Der Fachjurist hat auch gesunden Menschen¬
verstand, dieser allein verbürgt aber eben die richtige Handhabung der geschrie¬
benen Gesetze nicht. Wäre dies der Fall, so brauchten wir eben keine Fach-
juristen. Der gesunde Menschenverstand muß zu diesem Zwecke durch die Fähigkeit,
juristisch zu denken, die nur durch lange Studien und Erfahrungen erworben
werden kann, sozusagen höher potenzirt sein. Wer aber behauptet, eben wegen
seiner juristischen Dressur müsse der Verufsrichter notwendiger- oder wenigstens
zweckmäßigerweise Laienrichter als gleichberechtigte Kollegen zur Seite haben,
der behauptet weiter nichts als: Der gesunde Menschenverstand des Richters ist
infolge seiner juristischen Schulung korrumpirt!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/210>, abgerufen am 27.09.2024.