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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Aus der Chronik derer von Riffelshauscn.

Tifteritis! rief der Heinrich ausdrucksvoll.

Sie schlug die Hände zusammen: Um Gottes Willen! Das ist ja furcht¬
bar! -- und ansteckend! Johann, wir fahren gleich wieder; den kleinen Baron
nehme ich mit.

Der Kutscher Friede, der herzugetreten war, erfuhr unterdessen von Bürger¬
meisters Johann, daß sein Fuchs in Nummelshausen wohlbehalten im Stalle
stehe und nur abgeholt zu werden brauche. Zu gleicher Zeit bemühte sich
Heinrich zu erfahren, was denn eigentlich mit dem Baron Anton vorgefallen
sei, und der Johann schrie bald diesem, bald jenem Antwort zu. Trcckelberg
aber protestirte schwach gegen die zuletzt ausgesprochene Absicht der Frau Bürger¬
meisterin.

Zum Glück trat in diesem Augenblick ein Friedensengel zwischen die streitenden
Parteien in Gestalt des Doktors Petri.

Was giebt es denn hier, meine Herrschaften? rief er in dem ihm eignen
höflich strengen Ton. Ah! Ihr Diener, Frau Bürgermeisterin, Ihr Diener.

Stellen Sie sich vor, Herr Doktor, Diphtheritis im Hause, und er will
mir das zarte Kind nicht lassen! Der Unmensch!

Erlauben Sie, Herr Doktor, es scheint mir doch -- ich muß sagen --

Dabei hat der unglückliche Knabe einen Blutsturz gehabt und Ohnmachten!
und --

Der Arzt sah die Umstehenden der Reihe nach an. Vlutsturz? Ohnmachten?
Befindet sich der Patient hier im Wagen?
Ja, da ist er.

Der Doktor rief die beiden Diener herbei und befahl, ohne weiter auf die
sich sträubende Dame zu achten, den Knaben in das Hans zu tragen. Die
Bürgermeisterin beteuerte, mit Blutstürzen herrlich umgehen zu können. Ihr
Onkel und dessen sämtliche Söhne und Töchter Hütten fast täglich -- Er rief
ihr zu, er habe es heute besonders eilig, mehrere "schwere Fälle," werde sie jedoch
nächstens einmal aufsuchen. Damit verbeugte er sich und eilte den Männern
nach, die deu eingemummten Anton in Baron Georgs Zimmer getragen
hatten. Mit dem Doktor erschien auch dort Herr Tralelberg. geisterbleich vor
Schrecke".

Nun nun, beruhigte Petri, hier geht's noch nicht ans Leben. Holen Sie
mir Branntwein und Wasser, Friede. Hier, Herr Tralelberg, reiben Sie dem
Kleinen die Stirne! Die Ohnmacht kommt einzig und allein von der tollen
Hitze in der Glaskutsche.

Ach, sagte Tralelberg, angstvoll über das farblose Gesicht seines Pflege¬
befohlenen gebeugt, ach! die Schale des Zornes ergießt sich über unsre Häupter!

Ein Unglück kommt selten allein, wie das Sprichwort geht, bemerkte der
Heinrich. Aber was für ein hübscher Junge unser Baron Anton ist! Wie ein
gemaltes Bild!


Aus der Chronik derer von Riffelshauscn.

Tifteritis! rief der Heinrich ausdrucksvoll.

Sie schlug die Hände zusammen: Um Gottes Willen! Das ist ja furcht¬
bar! — und ansteckend! Johann, wir fahren gleich wieder; den kleinen Baron
nehme ich mit.

Der Kutscher Friede, der herzugetreten war, erfuhr unterdessen von Bürger¬
meisters Johann, daß sein Fuchs in Nummelshausen wohlbehalten im Stalle
stehe und nur abgeholt zu werden brauche. Zu gleicher Zeit bemühte sich
Heinrich zu erfahren, was denn eigentlich mit dem Baron Anton vorgefallen
sei, und der Johann schrie bald diesem, bald jenem Antwort zu. Trcckelberg
aber protestirte schwach gegen die zuletzt ausgesprochene Absicht der Frau Bürger¬
meisterin.

Zum Glück trat in diesem Augenblick ein Friedensengel zwischen die streitenden
Parteien in Gestalt des Doktors Petri.

Was giebt es denn hier, meine Herrschaften? rief er in dem ihm eignen
höflich strengen Ton. Ah! Ihr Diener, Frau Bürgermeisterin, Ihr Diener.

Stellen Sie sich vor, Herr Doktor, Diphtheritis im Hause, und er will
mir das zarte Kind nicht lassen! Der Unmensch!

Erlauben Sie, Herr Doktor, es scheint mir doch — ich muß sagen —

Dabei hat der unglückliche Knabe einen Blutsturz gehabt und Ohnmachten!
und —

Der Arzt sah die Umstehenden der Reihe nach an. Vlutsturz? Ohnmachten?
Befindet sich der Patient hier im Wagen?
Ja, da ist er.

Der Doktor rief die beiden Diener herbei und befahl, ohne weiter auf die
sich sträubende Dame zu achten, den Knaben in das Hans zu tragen. Die
Bürgermeisterin beteuerte, mit Blutstürzen herrlich umgehen zu können. Ihr
Onkel und dessen sämtliche Söhne und Töchter Hütten fast täglich — Er rief
ihr zu, er habe es heute besonders eilig, mehrere „schwere Fälle," werde sie jedoch
nächstens einmal aufsuchen. Damit verbeugte er sich und eilte den Männern
nach, die deu eingemummten Anton in Baron Georgs Zimmer getragen
hatten. Mit dem Doktor erschien auch dort Herr Tralelberg. geisterbleich vor
Schrecke».

Nun nun, beruhigte Petri, hier geht's noch nicht ans Leben. Holen Sie
mir Branntwein und Wasser, Friede. Hier, Herr Tralelberg, reiben Sie dem
Kleinen die Stirne! Die Ohnmacht kommt einzig und allein von der tollen
Hitze in der Glaskutsche.

Ach, sagte Tralelberg, angstvoll über das farblose Gesicht seines Pflege¬
befohlenen gebeugt, ach! die Schale des Zornes ergießt sich über unsre Häupter!

Ein Unglück kommt selten allein, wie das Sprichwort geht, bemerkte der
Heinrich. Aber was für ein hübscher Junge unser Baron Anton ist! Wie ein
gemaltes Bild!


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[0197] Aus der Chronik derer von Riffelshauscn. Tifteritis! rief der Heinrich ausdrucksvoll. Sie schlug die Hände zusammen: Um Gottes Willen! Das ist ja furcht¬ bar! — und ansteckend! Johann, wir fahren gleich wieder; den kleinen Baron nehme ich mit. Der Kutscher Friede, der herzugetreten war, erfuhr unterdessen von Bürger¬ meisters Johann, daß sein Fuchs in Nummelshausen wohlbehalten im Stalle stehe und nur abgeholt zu werden brauche. Zu gleicher Zeit bemühte sich Heinrich zu erfahren, was denn eigentlich mit dem Baron Anton vorgefallen sei, und der Johann schrie bald diesem, bald jenem Antwort zu. Trcckelberg aber protestirte schwach gegen die zuletzt ausgesprochene Absicht der Frau Bürger¬ meisterin. Zum Glück trat in diesem Augenblick ein Friedensengel zwischen die streitenden Parteien in Gestalt des Doktors Petri. Was giebt es denn hier, meine Herrschaften? rief er in dem ihm eignen höflich strengen Ton. Ah! Ihr Diener, Frau Bürgermeisterin, Ihr Diener. Stellen Sie sich vor, Herr Doktor, Diphtheritis im Hause, und er will mir das zarte Kind nicht lassen! Der Unmensch! Erlauben Sie, Herr Doktor, es scheint mir doch — ich muß sagen — Dabei hat der unglückliche Knabe einen Blutsturz gehabt und Ohnmachten! und — Der Arzt sah die Umstehenden der Reihe nach an. Vlutsturz? Ohnmachten? Befindet sich der Patient hier im Wagen? Ja, da ist er. Der Doktor rief die beiden Diener herbei und befahl, ohne weiter auf die sich sträubende Dame zu achten, den Knaben in das Hans zu tragen. Die Bürgermeisterin beteuerte, mit Blutstürzen herrlich umgehen zu können. Ihr Onkel und dessen sämtliche Söhne und Töchter Hütten fast täglich — Er rief ihr zu, er habe es heute besonders eilig, mehrere „schwere Fälle," werde sie jedoch nächstens einmal aufsuchen. Damit verbeugte er sich und eilte den Männern nach, die deu eingemummten Anton in Baron Georgs Zimmer getragen hatten. Mit dem Doktor erschien auch dort Herr Tralelberg. geisterbleich vor Schrecke». Nun nun, beruhigte Petri, hier geht's noch nicht ans Leben. Holen Sie mir Branntwein und Wasser, Friede. Hier, Herr Tralelberg, reiben Sie dem Kleinen die Stirne! Die Ohnmacht kommt einzig und allein von der tollen Hitze in der Glaskutsche. Ach, sagte Tralelberg, angstvoll über das farblose Gesicht seines Pflege¬ befohlenen gebeugt, ach! die Schale des Zornes ergießt sich über unsre Häupter! Ein Unglück kommt selten allein, wie das Sprichwort geht, bemerkte der Heinrich. Aber was für ein hübscher Junge unser Baron Anton ist! Wie ein gemaltes Bild!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/197>, abgerufen am 27.09.2024.