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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Olympia und der olympische Zeustempel.

stoßen gegen die Gesetze der Proportion wie nicht minder in der unorganischen
Gliederung des menschlichen Körpers scharf zu Tage treten, mit Recht und wohl
auch einstimmig als allen Erwartungen widersprechend beurteilt worden. Das
wollte sich mit dem Bilde, welches mau sich von der Bedeutung des Mmneues
gemacht hatte, schwer vereinigen lassen. Und umgekehrt, wenn auch der Name
des Päonios nicht viel mehr als historischen Wert gehabt hatte, so mußte doch
die Auffindung seiner Nikestatne in ihrer durchaus freien, aus den Gesetzen der
statuarischen Plastik heraustretenden Auffassung in einem strengen Gegensatz zu
der früheren Kunstübung des Meisters stehen. Aber die Überlieferung des Pau-
sanias? Wenn ihm auch schou mancherlei Fehler und Irrtümer nachgewiesen
worden waren, durfte man sich zu der Annahme verstehen, daß er bei Be¬
schreibung so wichtiger Kunstwerke wissentlich oder in falschem Glauben die
Namen von Künstlern angegeben haben würde, die mit den Bildwerken in keinem
Zusammenhange standen?

Man schlug einen Ausweg ein, der eine befriedigende Lösung versprach.
Die erhöhte Bedeutung, welche der Feststätte von Olympia seit den Perserkriegen
und der Erstarkung des nationalen Selbstgefühles der griechischen Stämme zu
Teil geworden war, hatte die Eleer veranlaßt, dem höchsten Gotte das prächtige
Heiligtum zu errichten, wozu die Mittel aus der Beute eiues Kriegszuges gegen
Pisa gewonnen worden waren. Der Tempelbau an und für sich nud die Er¬
richtung des großen Zcuskolosses durch Phidias, für die, wenn sie sich nicht
zeitlich unmittelbar an jenen anschloß, doch die Mittel garantirt sein mußten,
mochte -- so schloß man -- an die Eleer derartige Ansprüche gestellt haben,
daß man sich nur unter gewissen Bedingungen entschließen konnte, das Heiligtum
äußerlich mit plastischen Schmücke zu versehen. Man habe sich denn da an
berühmte Meister, deren Namen Pausanias nennt, gewendet und diese beauftragt,
die nötigen Skulpturen in kleinen Modellen oder Skizzen zu entwerfen, die
Ausführung derselben aber einer aus Kräften verschiednen Ranges bestehenden
einheimischen Arbeiterschaft übertragen, woraus Art und Stil der Ausführung,
das Handwerksmäßige in der Technik und eine Reihe von Nachlässigkeiten, wie
wir sie oben berührt haben, zu erklären seien.

Diese Ansicht fand anfangs fast allgemeinen Beifall, erwies sich aber bei
der genanen stilistischen Analyse der Monumente doch als unhaltbar. Adolf
Bötticher wies z. B. darauf hin, daß in der Behandlung der Gewänder durchaus
keine handwerksmäßige, sondern eine mit Überlegung, ja mit gewissem Raffinement
durchgebildete Arbeit vorliege, und hierfür sei nicht der ausführende, sondern
der entwerfende Künstler maßgebend gewesen. Und abgesehen hiervon, hätte je
ein Künstler bei der plastischen Ausschmückung eines monumentalen Baues von
der Bedeutung, wie sie der Zeustempel in Olympia besaß, wo die ganze
hellenische Welt zusammenströmte, sich, trotz aller politischen Dissonanzen, die
sonst die einzelnen Stämme nud Länder von einander schieden, ein Ganzes


Olympia und der olympische Zeustempel.

stoßen gegen die Gesetze der Proportion wie nicht minder in der unorganischen
Gliederung des menschlichen Körpers scharf zu Tage treten, mit Recht und wohl
auch einstimmig als allen Erwartungen widersprechend beurteilt worden. Das
wollte sich mit dem Bilde, welches mau sich von der Bedeutung des Mmneues
gemacht hatte, schwer vereinigen lassen. Und umgekehrt, wenn auch der Name
des Päonios nicht viel mehr als historischen Wert gehabt hatte, so mußte doch
die Auffindung seiner Nikestatne in ihrer durchaus freien, aus den Gesetzen der
statuarischen Plastik heraustretenden Auffassung in einem strengen Gegensatz zu
der früheren Kunstübung des Meisters stehen. Aber die Überlieferung des Pau-
sanias? Wenn ihm auch schou mancherlei Fehler und Irrtümer nachgewiesen
worden waren, durfte man sich zu der Annahme verstehen, daß er bei Be¬
schreibung so wichtiger Kunstwerke wissentlich oder in falschem Glauben die
Namen von Künstlern angegeben haben würde, die mit den Bildwerken in keinem
Zusammenhange standen?

Man schlug einen Ausweg ein, der eine befriedigende Lösung versprach.
Die erhöhte Bedeutung, welche der Feststätte von Olympia seit den Perserkriegen
und der Erstarkung des nationalen Selbstgefühles der griechischen Stämme zu
Teil geworden war, hatte die Eleer veranlaßt, dem höchsten Gotte das prächtige
Heiligtum zu errichten, wozu die Mittel aus der Beute eiues Kriegszuges gegen
Pisa gewonnen worden waren. Der Tempelbau an und für sich nud die Er¬
richtung des großen Zcuskolosses durch Phidias, für die, wenn sie sich nicht
zeitlich unmittelbar an jenen anschloß, doch die Mittel garantirt sein mußten,
mochte — so schloß man — an die Eleer derartige Ansprüche gestellt haben,
daß man sich nur unter gewissen Bedingungen entschließen konnte, das Heiligtum
äußerlich mit plastischen Schmücke zu versehen. Man habe sich denn da an
berühmte Meister, deren Namen Pausanias nennt, gewendet und diese beauftragt,
die nötigen Skulpturen in kleinen Modellen oder Skizzen zu entwerfen, die
Ausführung derselben aber einer aus Kräften verschiednen Ranges bestehenden
einheimischen Arbeiterschaft übertragen, woraus Art und Stil der Ausführung,
das Handwerksmäßige in der Technik und eine Reihe von Nachlässigkeiten, wie
wir sie oben berührt haben, zu erklären seien.

Diese Ansicht fand anfangs fast allgemeinen Beifall, erwies sich aber bei
der genanen stilistischen Analyse der Monumente doch als unhaltbar. Adolf
Bötticher wies z. B. darauf hin, daß in der Behandlung der Gewänder durchaus
keine handwerksmäßige, sondern eine mit Überlegung, ja mit gewissem Raffinement
durchgebildete Arbeit vorliege, und hierfür sei nicht der ausführende, sondern
der entwerfende Künstler maßgebend gewesen. Und abgesehen hiervon, hätte je
ein Künstler bei der plastischen Ausschmückung eines monumentalen Baues von
der Bedeutung, wie sie der Zeustempel in Olympia besaß, wo die ganze
hellenische Welt zusammenströmte, sich, trotz aller politischen Dissonanzen, die
sonst die einzelnen Stämme nud Länder von einander schieden, ein Ganzes


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[0190] Olympia und der olympische Zeustempel. stoßen gegen die Gesetze der Proportion wie nicht minder in der unorganischen Gliederung des menschlichen Körpers scharf zu Tage treten, mit Recht und wohl auch einstimmig als allen Erwartungen widersprechend beurteilt worden. Das wollte sich mit dem Bilde, welches mau sich von der Bedeutung des Mmneues gemacht hatte, schwer vereinigen lassen. Und umgekehrt, wenn auch der Name des Päonios nicht viel mehr als historischen Wert gehabt hatte, so mußte doch die Auffindung seiner Nikestatne in ihrer durchaus freien, aus den Gesetzen der statuarischen Plastik heraustretenden Auffassung in einem strengen Gegensatz zu der früheren Kunstübung des Meisters stehen. Aber die Überlieferung des Pau- sanias? Wenn ihm auch schou mancherlei Fehler und Irrtümer nachgewiesen worden waren, durfte man sich zu der Annahme verstehen, daß er bei Be¬ schreibung so wichtiger Kunstwerke wissentlich oder in falschem Glauben die Namen von Künstlern angegeben haben würde, die mit den Bildwerken in keinem Zusammenhange standen? Man schlug einen Ausweg ein, der eine befriedigende Lösung versprach. Die erhöhte Bedeutung, welche der Feststätte von Olympia seit den Perserkriegen und der Erstarkung des nationalen Selbstgefühles der griechischen Stämme zu Teil geworden war, hatte die Eleer veranlaßt, dem höchsten Gotte das prächtige Heiligtum zu errichten, wozu die Mittel aus der Beute eiues Kriegszuges gegen Pisa gewonnen worden waren. Der Tempelbau an und für sich nud die Er¬ richtung des großen Zcuskolosses durch Phidias, für die, wenn sie sich nicht zeitlich unmittelbar an jenen anschloß, doch die Mittel garantirt sein mußten, mochte — so schloß man — an die Eleer derartige Ansprüche gestellt haben, daß man sich nur unter gewissen Bedingungen entschließen konnte, das Heiligtum äußerlich mit plastischen Schmücke zu versehen. Man habe sich denn da an berühmte Meister, deren Namen Pausanias nennt, gewendet und diese beauftragt, die nötigen Skulpturen in kleinen Modellen oder Skizzen zu entwerfen, die Ausführung derselben aber einer aus Kräften verschiednen Ranges bestehenden einheimischen Arbeiterschaft übertragen, woraus Art und Stil der Ausführung, das Handwerksmäßige in der Technik und eine Reihe von Nachlässigkeiten, wie wir sie oben berührt haben, zu erklären seien. Diese Ansicht fand anfangs fast allgemeinen Beifall, erwies sich aber bei der genanen stilistischen Analyse der Monumente doch als unhaltbar. Adolf Bötticher wies z. B. darauf hin, daß in der Behandlung der Gewänder durchaus keine handwerksmäßige, sondern eine mit Überlegung, ja mit gewissem Raffinement durchgebildete Arbeit vorliege, und hierfür sei nicht der ausführende, sondern der entwerfende Künstler maßgebend gewesen. Und abgesehen hiervon, hätte je ein Künstler bei der plastischen Ausschmückung eines monumentalen Baues von der Bedeutung, wie sie der Zeustempel in Olympia besaß, wo die ganze hellenische Welt zusammenströmte, sich, trotz aller politischen Dissonanzen, die sonst die einzelnen Stämme nud Länder von einander schieden, ein Ganzes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/190>, abgerufen am 27.09.2024.