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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Glympia und der olympische Zeustempel.

die im hintern (im Westen) von Mamenes, einem Manne, der zur Zeit des
Phidias lebte und in Bezug auf Kunstfertigkeit in Ausarbeitung von Bildsäulen
den zweiten Platz behauptete. Im Giebelfelde hat er den Kampf der Lapithen
gegen die Kentauren bei der Hochzeit des Peirithoos dargestellt."

Die Namen der beiden hier genannten Künstler 'waren bis zu den deutschen
Ausgrabungen nur durch die literarische Überlieferung bekannt, ans deren ein¬
zelnen Angaben man sich für den Charakter ihrer Kunst ein Bild zu konstruiren
suchen mußte. Bei Pä'ouios war dies schwierig, wenn nicht unmöglich, da aus
der Tradition, der Erwähnung der olympischen Giebelgruppe und der (nunmehr
wiedergefundenen) Nikestatue, nur auf den Gegenstand der Darstellung ge¬
schlossen werden konnte. Anders stand es mit Alkamenos. Die Thatsache, daß
er Zeitgenosse und Schüler des großen Phidias war, von Pausanias neben diesem
als zweiter, daß er zusammen mit Praxiteles genannt wird, daß man selbst
aus dem Altertum Zeugnisse über den Charakter seiner Kunst besaß, daß endlich
eine größere Reihe seiner Werke genannt wird, von denen man einige in Nach¬
bildungen erhalten zu haben glaubt, alle diese Umstände ließen ihn als einen
phantasievollen, formvollendeten Künstler, als einen würdigen Nachfolger und
Schüler des großen attischen Meisters erscheinen. Das Urteil mußte sich ändern,
als durch die deutschen Ausgrabungen Originalwerke beider Künstler gefunden
wurden. Man war, niemand verhehlte es sich, enttäuscht über die Thatsachen,
welche die neuen Funde ergaben, man empfand, daß die Ausführung der Giebel-
skulpturcn der Idee des erfindenden Künstlers unmöglich entsprechen könnte, ja
selbst die Idee, die Erfindung der Komposition wurde einer abfälligen Kritik
unterzogen, indem man die des Ostgiebels als "archaisch steif," die des West-
gicbels als "archaisch zügellos" bezeichnete. Dieser Tadel ist nun zwar mit Recht
als unbegründet zurückgewiesen worden. Beide Giebelgruppen find allerdings
in ihrem Gesamteindrncke durchaus von einander verschieden. Die Gewaltsamkeit
und Heftigkeit in den Figuren des Westgiebels (Schlacht der Kentauren gegen
die Lapithen), das Getümmel der einzelnen Kämpfergruppen steht in schärfsten
Widerspruche zu der feierlichen Ruhe der allerdings etwas steifen und sym¬
metrischen Figuren des Ostgiebels, auf denen die Schwüle vor den Gefahren
und ernsten Folgen des Wettkampfes unverkennbar lagert. Aber man muß er¬
wägen, daß uns in diesen Gruppen eine Entwicklungsstufe der Kunst vor Augen
getreten ist, von der man keine Ahnung hatte, eine Entwicklungsstufe, welche
das Bindeglied bildet zwischen den in altertümlich strengen Formen befangenen
Werken der archaischen Kunst, namentlich den Skulpturen des Athenetempels
auf Ägina, und den vollendeten, in absoluter Schönheit glänzenden Schöpfungen
eines Phidias am Parthenon und andern gleichzeitigen attischen Monumenten.
Aber wenn auch die Erfindung der Giebelgruppen uns keinen Bedenken, die
Anlaß für eine strenge Kritik bieten könnten, zu unterliegen erscheint, so ist die
technische Ausführung, deren Mängel in allzu kühnen Verkürzungen und Ver-


Glympia und der olympische Zeustempel.

die im hintern (im Westen) von Mamenes, einem Manne, der zur Zeit des
Phidias lebte und in Bezug auf Kunstfertigkeit in Ausarbeitung von Bildsäulen
den zweiten Platz behauptete. Im Giebelfelde hat er den Kampf der Lapithen
gegen die Kentauren bei der Hochzeit des Peirithoos dargestellt."

Die Namen der beiden hier genannten Künstler 'waren bis zu den deutschen
Ausgrabungen nur durch die literarische Überlieferung bekannt, ans deren ein¬
zelnen Angaben man sich für den Charakter ihrer Kunst ein Bild zu konstruiren
suchen mußte. Bei Pä'ouios war dies schwierig, wenn nicht unmöglich, da aus
der Tradition, der Erwähnung der olympischen Giebelgruppe und der (nunmehr
wiedergefundenen) Nikestatue, nur auf den Gegenstand der Darstellung ge¬
schlossen werden konnte. Anders stand es mit Alkamenos. Die Thatsache, daß
er Zeitgenosse und Schüler des großen Phidias war, von Pausanias neben diesem
als zweiter, daß er zusammen mit Praxiteles genannt wird, daß man selbst
aus dem Altertum Zeugnisse über den Charakter seiner Kunst besaß, daß endlich
eine größere Reihe seiner Werke genannt wird, von denen man einige in Nach¬
bildungen erhalten zu haben glaubt, alle diese Umstände ließen ihn als einen
phantasievollen, formvollendeten Künstler, als einen würdigen Nachfolger und
Schüler des großen attischen Meisters erscheinen. Das Urteil mußte sich ändern,
als durch die deutschen Ausgrabungen Originalwerke beider Künstler gefunden
wurden. Man war, niemand verhehlte es sich, enttäuscht über die Thatsachen,
welche die neuen Funde ergaben, man empfand, daß die Ausführung der Giebel-
skulpturcn der Idee des erfindenden Künstlers unmöglich entsprechen könnte, ja
selbst die Idee, die Erfindung der Komposition wurde einer abfälligen Kritik
unterzogen, indem man die des Ostgiebels als „archaisch steif," die des West-
gicbels als „archaisch zügellos" bezeichnete. Dieser Tadel ist nun zwar mit Recht
als unbegründet zurückgewiesen worden. Beide Giebelgruppen find allerdings
in ihrem Gesamteindrncke durchaus von einander verschieden. Die Gewaltsamkeit
und Heftigkeit in den Figuren des Westgiebels (Schlacht der Kentauren gegen
die Lapithen), das Getümmel der einzelnen Kämpfergruppen steht in schärfsten
Widerspruche zu der feierlichen Ruhe der allerdings etwas steifen und sym¬
metrischen Figuren des Ostgiebels, auf denen die Schwüle vor den Gefahren
und ernsten Folgen des Wettkampfes unverkennbar lagert. Aber man muß er¬
wägen, daß uns in diesen Gruppen eine Entwicklungsstufe der Kunst vor Augen
getreten ist, von der man keine Ahnung hatte, eine Entwicklungsstufe, welche
das Bindeglied bildet zwischen den in altertümlich strengen Formen befangenen
Werken der archaischen Kunst, namentlich den Skulpturen des Athenetempels
auf Ägina, und den vollendeten, in absoluter Schönheit glänzenden Schöpfungen
eines Phidias am Parthenon und andern gleichzeitigen attischen Monumenten.
Aber wenn auch die Erfindung der Giebelgruppen uns keinen Bedenken, die
Anlaß für eine strenge Kritik bieten könnten, zu unterliegen erscheint, so ist die
technische Ausführung, deren Mängel in allzu kühnen Verkürzungen und Ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/189>, abgerufen am 27.09.2024.