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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Glympia und der olympische Zeustempel.

deren Erfüllung er nicht erleben sollte. Dem großen Genius war es gelungen,
wie mit einem Schlage das Gebäude einer neuen Wissenschaft zu errichten und
auf die Schätze der Antike, die mehr der Liebhaberei wegen und, namentlich
von fürstlichen Personen, mehr aus vornehmer Laune als aus wissenschaftlichem
Interesse gesammelt worden waren, hinzuweisen und sie als das aufzufassen,
was sie waren und was sie sind: als Werke der Kunst. Der weitere Ausbau
der neugegründeten Wissenschaft mußte kommenden Geschlechtern überlassen
werden, und erst diese waren imstande, vermöge der im Laufe eines Jahrhunderts
gewonnenen Erkenntnis den Funden von Olympia ihre Stellung in der Kunst¬
geschichte anzuweisen.

Der Gedanke Winckelmanns wurde im Jahre 1821 von dem Direktor des
Gymnasiums in Hildburghausen, Friedrich Karl Ludwig Sickler, wieder aus¬
genommen, der in "Schorns Kunstblatt" seinen wohlgemeinten, aber unpraktischen
und undurchführbaren Plan in die Worte zusammenfaßte: "Man ergreife die
Winckelmannsche, sicher sehr glückliche Idee zu einer in größerm Umfang mit
möglichster Genauigkeit und Vorsicht anzustellenden Nachgrabung in Olympia
auf Subskription! Man vereinige alle teils daselbst, teils an andern Orten in
Griechenland vermöge derselben Subskription dem Licht des Tages wieder¬
gewonnenen Werke der alten griechischen Kunst in einem und demselben Lokal,
welches in einer, entweder durch das Loos (!) oder auf sonstige Weise zu be¬
stimmenden Hauptstadt von Deutschland, durch die Architektur würdig errichtet
und durch die Skulptur würdig ausgeschmückt werden müßte, und gebe diesem
die Bestimmung, Winckelmanns Denkmal uuter uns zu sein." Dieser Plan
war ein Produkt der Gelehrtcnstube. Wie wäre es bei den damaligen in
Griechenland herrschenden politischen Wirren möglich gewesen, eine für eine
systematische Ausgrabung durch eine fremde Nation nötige Garantie zu erhalten!

Die ersten Funde von größerer Bedeutung knüpfen sich an die französische
Okkupation von Morea unter Marschall Maison in den Jahren 1829 bis 1831.
Eine hiermit verbundene, von Dubois geleitete wissenschaftliche Expedition legte
in wenig Wochen die Hauptmasse des Zeustempels frei, wobei größere, zum
Teil sehr gut erhaltene Fragmente der Mctopenplatten gefunden wurden, die
in das Museum des Louvre übergeführt wurden und dort noch heute zu den
wertvollsten Denkmälern der alten Kunst gehören. Die Gründe für die Ein¬
stellung der französischen Ausgrabungsarbeiten wurden erst durch die deutsche
Expedition ermittelt. Adolf Bötticher berichtet hierüber in seinem Buche über
Olympia,") daß ein Hauptmann im griechischen Heere, Antonios Pappan-
danopulos (der als hochbetagter Greis deu deutschen Kommissären das Ge-



") Olympia. Das Fest und seine Stätte. Nach den Berichten der Alten und
den Ergebnissen der deutschen Ausgrabungen. Zweite Auflage. Berlin, 1336. Das schöne
Werk mag den Lesern dieser Blätter bei dieser Gelegenheit warm empfohlen sein.
Grenzboten IV. 1L86. 23
Glympia und der olympische Zeustempel.

deren Erfüllung er nicht erleben sollte. Dem großen Genius war es gelungen,
wie mit einem Schlage das Gebäude einer neuen Wissenschaft zu errichten und
auf die Schätze der Antike, die mehr der Liebhaberei wegen und, namentlich
von fürstlichen Personen, mehr aus vornehmer Laune als aus wissenschaftlichem
Interesse gesammelt worden waren, hinzuweisen und sie als das aufzufassen,
was sie waren und was sie sind: als Werke der Kunst. Der weitere Ausbau
der neugegründeten Wissenschaft mußte kommenden Geschlechtern überlassen
werden, und erst diese waren imstande, vermöge der im Laufe eines Jahrhunderts
gewonnenen Erkenntnis den Funden von Olympia ihre Stellung in der Kunst¬
geschichte anzuweisen.

Der Gedanke Winckelmanns wurde im Jahre 1821 von dem Direktor des
Gymnasiums in Hildburghausen, Friedrich Karl Ludwig Sickler, wieder aus¬
genommen, der in „Schorns Kunstblatt" seinen wohlgemeinten, aber unpraktischen
und undurchführbaren Plan in die Worte zusammenfaßte: „Man ergreife die
Winckelmannsche, sicher sehr glückliche Idee zu einer in größerm Umfang mit
möglichster Genauigkeit und Vorsicht anzustellenden Nachgrabung in Olympia
auf Subskription! Man vereinige alle teils daselbst, teils an andern Orten in
Griechenland vermöge derselben Subskription dem Licht des Tages wieder¬
gewonnenen Werke der alten griechischen Kunst in einem und demselben Lokal,
welches in einer, entweder durch das Loos (!) oder auf sonstige Weise zu be¬
stimmenden Hauptstadt von Deutschland, durch die Architektur würdig errichtet
und durch die Skulptur würdig ausgeschmückt werden müßte, und gebe diesem
die Bestimmung, Winckelmanns Denkmal uuter uns zu sein." Dieser Plan
war ein Produkt der Gelehrtcnstube. Wie wäre es bei den damaligen in
Griechenland herrschenden politischen Wirren möglich gewesen, eine für eine
systematische Ausgrabung durch eine fremde Nation nötige Garantie zu erhalten!

Die ersten Funde von größerer Bedeutung knüpfen sich an die französische
Okkupation von Morea unter Marschall Maison in den Jahren 1829 bis 1831.
Eine hiermit verbundene, von Dubois geleitete wissenschaftliche Expedition legte
in wenig Wochen die Hauptmasse des Zeustempels frei, wobei größere, zum
Teil sehr gut erhaltene Fragmente der Mctopenplatten gefunden wurden, die
in das Museum des Louvre übergeführt wurden und dort noch heute zu den
wertvollsten Denkmälern der alten Kunst gehören. Die Gründe für die Ein¬
stellung der französischen Ausgrabungsarbeiten wurden erst durch die deutsche
Expedition ermittelt. Adolf Bötticher berichtet hierüber in seinem Buche über
Olympia,") daß ein Hauptmann im griechischen Heere, Antonios Pappan-
danopulos (der als hochbetagter Greis deu deutschen Kommissären das Ge-



») Olympia. Das Fest und seine Stätte. Nach den Berichten der Alten und
den Ergebnissen der deutschen Ausgrabungen. Zweite Auflage. Berlin, 1336. Das schöne
Werk mag den Lesern dieser Blätter bei dieser Gelegenheit warm empfohlen sein.
Grenzboten IV. 1L86. 23
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/185>, abgerufen am 27.09.2024.