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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Die Briefe Turgenjews.

von der Bärenjagd angefangen bis auf die Grnndeljagd," der Koch Stephan
und endlich Zachar, der im Alter von siebzig Jahren das Augenlicht verlor
und dem Turgenjew auf seinem Gute Spaßkoe freie Wohnung gab und zudem
eine Pension zahlte.

Die letzten Briefe sind von fremder Hand geschrieben und von Iwan
Sergejewitsch nur unterzeichnet. Der allerletzte ist an den Grafen L, N. Tolstoi,
den "Erben Turgenjews," gerichtet; er trägt keine Unterschrift und wurde mit
Bleistift geschrieben. Wahrscheinlich ist er in Bvugival am 27. oder 23. Juni 1883
ans die Post gegeben; in Tula wurde er am 9. Juli abgestempelt. "Lieber und
teurer Leo Nikolajewitsch -- schreibt Turgenjew --, ich habe Ihnen lange nicht
geschrieben; denn ich lag und liege, kurzweg gesagt, auf dem Sterbebette. Ge¬
nesen kaun ich nicht, daran ist gar kein Gedanke. Ich schreibe Ihnen aber in
der Absicht, um Ihnen zu sagen, wie sehr ich mich freue, Ihr Zeitgenosse zu
sein, und um Ihnen meine letzte und aufrichtige Bitte vorzutragen. Mein
Freund, kehren Sie zu der literarischen Thätigkeit zurück! Es stammt ja dieses
Ihr Talent dorther, woher alles andre kommt. Ach, wie glücklich wäre ich,
könnte ich glauben, daß meine Bitte bei Ihnen Erfolg hat! Ich aber bin ein
Mensch, mit welchem es zu Ende geht -- die Ärzte wissen nicht einmal, wie
sie meine Krankheit nennen sollen, novriüg'lo LtoivÄvalö Fvutteusv. Ich kann
weder stehen, noch essen, noch schlafen, aber was rede ich! Es ist sogar lang¬
weilig, dieses alles zu wiederholen! Mein Freund, großer Schriftsteller des
russischen Landes -- geben Sie Acht auf meine Bitte! Benachrichtigen Sie
mich, wenn Sie dieses Vlättchen erhalten, und erlauben Sie mir, Sie, Ihre
Frau, alle die Ihrigen noch einmal fest, fest zu umarmen____ Ich kann nicht
mehr____ Ich bin müde!"

Wenn die Briefe Ciceros uns ein ziemlich wahrheitsgetreues Bild der da¬
maligen Politik Roms entwerfen, und wenn die Briefe des jünger" Plinius
uns mit dem literarischen Leben seiner Zeit bekannt machen, so wird in den
Briefen des großen russischen Romaneiers das ganze politische, soziale und
litcmrische Leben des heutigen Rußlands in kurzen, aber packenden Zügen uns
vor Augen geführt, und es dürfte sich der Mühe lohnen, dieses dreifache Leben
einer Nation einer eingehenden Prüfung zu unterziehen.


Heinrich Ruhe.


Die Briefe Turgenjews.

von der Bärenjagd angefangen bis auf die Grnndeljagd," der Koch Stephan
und endlich Zachar, der im Alter von siebzig Jahren das Augenlicht verlor
und dem Turgenjew auf seinem Gute Spaßkoe freie Wohnung gab und zudem
eine Pension zahlte.

Die letzten Briefe sind von fremder Hand geschrieben und von Iwan
Sergejewitsch nur unterzeichnet. Der allerletzte ist an den Grafen L, N. Tolstoi,
den „Erben Turgenjews," gerichtet; er trägt keine Unterschrift und wurde mit
Bleistift geschrieben. Wahrscheinlich ist er in Bvugival am 27. oder 23. Juni 1883
ans die Post gegeben; in Tula wurde er am 9. Juli abgestempelt. „Lieber und
teurer Leo Nikolajewitsch — schreibt Turgenjew —, ich habe Ihnen lange nicht
geschrieben; denn ich lag und liege, kurzweg gesagt, auf dem Sterbebette. Ge¬
nesen kaun ich nicht, daran ist gar kein Gedanke. Ich schreibe Ihnen aber in
der Absicht, um Ihnen zu sagen, wie sehr ich mich freue, Ihr Zeitgenosse zu
sein, und um Ihnen meine letzte und aufrichtige Bitte vorzutragen. Mein
Freund, kehren Sie zu der literarischen Thätigkeit zurück! Es stammt ja dieses
Ihr Talent dorther, woher alles andre kommt. Ach, wie glücklich wäre ich,
könnte ich glauben, daß meine Bitte bei Ihnen Erfolg hat! Ich aber bin ein
Mensch, mit welchem es zu Ende geht — die Ärzte wissen nicht einmal, wie
sie meine Krankheit nennen sollen, novriüg'lo LtoivÄvalö Fvutteusv. Ich kann
weder stehen, noch essen, noch schlafen, aber was rede ich! Es ist sogar lang¬
weilig, dieses alles zu wiederholen! Mein Freund, großer Schriftsteller des
russischen Landes — geben Sie Acht auf meine Bitte! Benachrichtigen Sie
mich, wenn Sie dieses Vlättchen erhalten, und erlauben Sie mir, Sie, Ihre
Frau, alle die Ihrigen noch einmal fest, fest zu umarmen____ Ich kann nicht
mehr____ Ich bin müde!"

Wenn die Briefe Ciceros uns ein ziemlich wahrheitsgetreues Bild der da¬
maligen Politik Roms entwerfen, und wenn die Briefe des jünger» Plinius
uns mit dem literarischen Leben seiner Zeit bekannt machen, so wird in den
Briefen des großen russischen Romaneiers das ganze politische, soziale und
litcmrische Leben des heutigen Rußlands in kurzen, aber packenden Zügen uns
vor Augen geführt, und es dürfte sich der Mühe lohnen, dieses dreifache Leben
einer Nation einer eingehenden Prüfung zu unterziehen.


Heinrich Ruhe.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/182>, abgerufen am 27.09.2024.