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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Mein- und andre Fälschungen.

als ein naturgemäßes, sich von selbst ergebendes bezeichnen kann; ist doch eine
ganze Reihe chemischer Prozesse erforderlich, um dieses Getränk herzustellen,
und ist doch wenigstens ein Zusatz unbedingt wesentlich. Ist es da nicht eine
starke Sache, zu sagen, von min an dürfe in aller Ewigkeit nicht mehr an den
Stoffen und Zusätzen und an der Bereitungsweise gerüttelt werden, wie wir sie
jetzt habe"? und zwar zu einer Zeit, wo wir gewisse Ausnahmen schon zulassen
müssen, wo jedermann weiß, daß gewisse, sehr beliebte Biere nicht ohne Weizen
hergestellt werden können, und daß Reis ein weitverbreiteter und von nie¬
mand angefochtener Zusatz geworden ist? Warum soll es da ausgeschlossen
sein, daß auch noch andre Malzsurrogate, andre Zusätze, andre Bereitnngs-
methoden gefunden werden, und das Produkt daraus doch noch immer Bier
heißt? Daß sich dies nicht auf gesundheitsschädliche Stoffe oder auch nur auf
Stoffe oder auf ein Verfahren beziehen kaun, wodurch die Nährkraft des üb¬
licherweise geforderten Getränkes beeinträchtigt wird, versteht sich ja ohnehin;
dasür haben wir ja das Gesetz gegen Verfälschung von Nahrungs- und Gcnuß-
mittcln. Aber eine Auslegung dieses Gesetzes, welche jede Abweichung vom
Hergebrachten in Material und Verfahren straffällig macht, würde unsers Tr¬
achtens eine sinnlose sein und überdies dem Streben unsrer Zeit nach indu¬
strieller Entwicklung und nach Aufsindung der zweckmäßigsten, mindest kost¬
spieligen Stoffe und Methoden geradezu ins Gesicht schlagen. Das wäre
allerdings das Verfahren eines greisenhafter Konservatismus, am wenigsten
aber das moderner Geschäftsmenschen!

Weiter: der Branntwein. Bekanntlich kommt es heute bei uns in Deutsch¬
land kaum mehr vor, daß aus Früchten, Trestern u. dergl. direkt Branntwein
bereitet wird; fast ausschließlich liegt Kartosfelspiritus zu Grnnde, und dieser
wird mit allerhand sonstigen Stoffen angesetzt, um daraus die verschiednen
Schnäpse und Liköre zu gewinnen. Soll etwa dieses Verfahren verboten, mit
andern Worten, soll unsre ganze Branntweinbereitnng auf den Kopf gestellt
werden? Die Brennereisteuer hat ja dem Publikum und der Industrie diese
'Entwicklung geradezu aufgezwungen! Und nun sollen die in dieselbe gesteckten
Kapitalien verloren sein, weil die Puristen des Genusses wieder wirkliche Kirsch-,
Pflaumen- und Wachholderbeerschnäpse trinken wollen?

Aber wir sind noch nicht zu Ende. Da haben wir die edle Kunstbutter,
ganz gesuudheitsunschädlich und ganz den Zweck wirklicher Butter erfüllend,
wird uns versichert, wenn nur die Ingredienzien gut sind und die Zubereitung
eine sorgfältige ist. Ja, unter dieser Bedingung ist auch ein geschmierter Wein
gut. Wer also trotzdem von letzterem nichts wissen will, weil er eben doch kein
"natürliches" Getränk sei, nun, der empöre sich auch nicht nur im bestimmten
Falle, wo die Kunstbntter einmal nichts taugt, sondern prinzipiell gegen alle
Kunstbutter; Fabrikation muß unterdrückt, Einfuhr verboten werden. Keine
andre Butter erlaubt, als aus reiner Kuhmilch bereitete! Aber wie ist mir


Mein- und andre Fälschungen.

als ein naturgemäßes, sich von selbst ergebendes bezeichnen kann; ist doch eine
ganze Reihe chemischer Prozesse erforderlich, um dieses Getränk herzustellen,
und ist doch wenigstens ein Zusatz unbedingt wesentlich. Ist es da nicht eine
starke Sache, zu sagen, von min an dürfe in aller Ewigkeit nicht mehr an den
Stoffen und Zusätzen und an der Bereitungsweise gerüttelt werden, wie wir sie
jetzt habe»? und zwar zu einer Zeit, wo wir gewisse Ausnahmen schon zulassen
müssen, wo jedermann weiß, daß gewisse, sehr beliebte Biere nicht ohne Weizen
hergestellt werden können, und daß Reis ein weitverbreiteter und von nie¬
mand angefochtener Zusatz geworden ist? Warum soll es da ausgeschlossen
sein, daß auch noch andre Malzsurrogate, andre Zusätze, andre Bereitnngs-
methoden gefunden werden, und das Produkt daraus doch noch immer Bier
heißt? Daß sich dies nicht auf gesundheitsschädliche Stoffe oder auch nur auf
Stoffe oder auf ein Verfahren beziehen kaun, wodurch die Nährkraft des üb¬
licherweise geforderten Getränkes beeinträchtigt wird, versteht sich ja ohnehin;
dasür haben wir ja das Gesetz gegen Verfälschung von Nahrungs- und Gcnuß-
mittcln. Aber eine Auslegung dieses Gesetzes, welche jede Abweichung vom
Hergebrachten in Material und Verfahren straffällig macht, würde unsers Tr¬
achtens eine sinnlose sein und überdies dem Streben unsrer Zeit nach indu¬
strieller Entwicklung und nach Aufsindung der zweckmäßigsten, mindest kost¬
spieligen Stoffe und Methoden geradezu ins Gesicht schlagen. Das wäre
allerdings das Verfahren eines greisenhafter Konservatismus, am wenigsten
aber das moderner Geschäftsmenschen!

Weiter: der Branntwein. Bekanntlich kommt es heute bei uns in Deutsch¬
land kaum mehr vor, daß aus Früchten, Trestern u. dergl. direkt Branntwein
bereitet wird; fast ausschließlich liegt Kartosfelspiritus zu Grnnde, und dieser
wird mit allerhand sonstigen Stoffen angesetzt, um daraus die verschiednen
Schnäpse und Liköre zu gewinnen. Soll etwa dieses Verfahren verboten, mit
andern Worten, soll unsre ganze Branntweinbereitnng auf den Kopf gestellt
werden? Die Brennereisteuer hat ja dem Publikum und der Industrie diese
'Entwicklung geradezu aufgezwungen! Und nun sollen die in dieselbe gesteckten
Kapitalien verloren sein, weil die Puristen des Genusses wieder wirkliche Kirsch-,
Pflaumen- und Wachholderbeerschnäpse trinken wollen?

Aber wir sind noch nicht zu Ende. Da haben wir die edle Kunstbutter,
ganz gesuudheitsunschädlich und ganz den Zweck wirklicher Butter erfüllend,
wird uns versichert, wenn nur die Ingredienzien gut sind und die Zubereitung
eine sorgfältige ist. Ja, unter dieser Bedingung ist auch ein geschmierter Wein
gut. Wer also trotzdem von letzterem nichts wissen will, weil er eben doch kein
„natürliches" Getränk sei, nun, der empöre sich auch nicht nur im bestimmten
Falle, wo die Kunstbntter einmal nichts taugt, sondern prinzipiell gegen alle
Kunstbutter; Fabrikation muß unterdrückt, Einfuhr verboten werden. Keine
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[0172] Mein- und andre Fälschungen. als ein naturgemäßes, sich von selbst ergebendes bezeichnen kann; ist doch eine ganze Reihe chemischer Prozesse erforderlich, um dieses Getränk herzustellen, und ist doch wenigstens ein Zusatz unbedingt wesentlich. Ist es da nicht eine starke Sache, zu sagen, von min an dürfe in aller Ewigkeit nicht mehr an den Stoffen und Zusätzen und an der Bereitungsweise gerüttelt werden, wie wir sie jetzt habe»? und zwar zu einer Zeit, wo wir gewisse Ausnahmen schon zulassen müssen, wo jedermann weiß, daß gewisse, sehr beliebte Biere nicht ohne Weizen hergestellt werden können, und daß Reis ein weitverbreiteter und von nie¬ mand angefochtener Zusatz geworden ist? Warum soll es da ausgeschlossen sein, daß auch noch andre Malzsurrogate, andre Zusätze, andre Bereitnngs- methoden gefunden werden, und das Produkt daraus doch noch immer Bier heißt? Daß sich dies nicht auf gesundheitsschädliche Stoffe oder auch nur auf Stoffe oder auf ein Verfahren beziehen kaun, wodurch die Nährkraft des üb¬ licherweise geforderten Getränkes beeinträchtigt wird, versteht sich ja ohnehin; dasür haben wir ja das Gesetz gegen Verfälschung von Nahrungs- und Gcnuß- mittcln. Aber eine Auslegung dieses Gesetzes, welche jede Abweichung vom Hergebrachten in Material und Verfahren straffällig macht, würde unsers Tr¬ achtens eine sinnlose sein und überdies dem Streben unsrer Zeit nach indu¬ strieller Entwicklung und nach Aufsindung der zweckmäßigsten, mindest kost¬ spieligen Stoffe und Methoden geradezu ins Gesicht schlagen. Das wäre allerdings das Verfahren eines greisenhafter Konservatismus, am wenigsten aber das moderner Geschäftsmenschen! Weiter: der Branntwein. Bekanntlich kommt es heute bei uns in Deutsch¬ land kaum mehr vor, daß aus Früchten, Trestern u. dergl. direkt Branntwein bereitet wird; fast ausschließlich liegt Kartosfelspiritus zu Grnnde, und dieser wird mit allerhand sonstigen Stoffen angesetzt, um daraus die verschiednen Schnäpse und Liköre zu gewinnen. Soll etwa dieses Verfahren verboten, mit andern Worten, soll unsre ganze Branntweinbereitnng auf den Kopf gestellt werden? Die Brennereisteuer hat ja dem Publikum und der Industrie diese 'Entwicklung geradezu aufgezwungen! Und nun sollen die in dieselbe gesteckten Kapitalien verloren sein, weil die Puristen des Genusses wieder wirkliche Kirsch-, Pflaumen- und Wachholderbeerschnäpse trinken wollen? Aber wir sind noch nicht zu Ende. Da haben wir die edle Kunstbutter, ganz gesuudheitsunschädlich und ganz den Zweck wirklicher Butter erfüllend, wird uns versichert, wenn nur die Ingredienzien gut sind und die Zubereitung eine sorgfältige ist. Ja, unter dieser Bedingung ist auch ein geschmierter Wein gut. Wer also trotzdem von letzterem nichts wissen will, weil er eben doch kein „natürliches" Getränk sei, nun, der empöre sich auch nicht nur im bestimmten Falle, wo die Kunstbntter einmal nichts taugt, sondern prinzipiell gegen alle Kunstbutter; Fabrikation muß unterdrückt, Einfuhr verboten werden. Keine andre Butter erlaubt, als aus reiner Kuhmilch bereitete! Aber wie ist mir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/172>, abgerufen am 20.10.2024.