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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Zur Reform des juristischen Studiums.

Die Jahresprüfungen werden nicht bloß zum Fleiß anhalten, sie werden
auch den Vorteil haben, Aspiranten, welche durchaus keine Anlage zum ju¬
ristischen Studium haben, bei Zeiten auf eine andre Laufbahn zu verweisen,
während jetzt eine solche Erkenntnis dem Einzelnen erst kommt, nachdem er die
besten Lebensjahre vergeblich verwendet hat.

Der ganze Gang der Vorbildung ist auf ein ernstes Lernen gerichtet, ohne
der akademischen Freiheit und der Wissenschaftlichkeit Eintrag zu thun. Es
wird, abgesehen von den Ferien, immer noch so viel Zeit übrig bleiben, daß
der Einzelne sich mit dieser und jener Materie wissenschaftlich abgeben kann,
auch imstande ist, ein historisches oder philosophisches Kolleg dabei zu hören.

Wenn wir uns nicht täuschen, läuft die Universitätsstudienreform schon
jetzt auf dieses Ziel hinaus. In Berlin giebt es gegenwärtig einige Repetenten,
welche den Studenten nicht in einem halben Jahre einpauken, sondern ihn zwei
Jahre lang in der oben geschilderten Weise zum Studium des Rechts an¬
leiten, und diese Repetenten werden von deu Professoren geradezu empfohlen.
Es ist dies ein Beweis, daß auch die letzteren das Vorhandensein des Bedürfnisses
anerkennen und auf eine Befriedigung desselben Bedacht nehmen. In Berlin
sind Richter und jüngere Anwälte, welche mit den Referendarien wiederum das
geltende Recht in disputatorischer und Vortrcigsform betreiben, und diese Männer
erfreuen sich sogar der Begünstigung der vorgesetzten Behörden. Man hält
also auch von dieser Seite eine solche Unterstützung und Anleitung der Re-
ferendarien für erforderlich.

Man darf deshalb hoffen, daß das Gerücht, es werde im preußischen
Justizministerium an einer Reform der Studienorduung gearbeitet, nicht der
Grundlage entbehrt. Es ist aber erforderlich, daß man auch den Mut hat, die
Sache ganz zu thun, selbst auf die Gefahr hin, Institutionen, deren einziger
Vorzug in ihrem Alter besteht, gründlich zu beseitigen und an deren Stelle
Einrichtungen zu setzen, welche dem Volke die Ausbildung eines tüchtigen
Beamtentums gewährleisten. Denn Studiren heißt nicht: hören oder schreiben,
sondern lernen, und eine praktische Vorbildung besteht nicht in der Routine, ein
Formular richtig auszufüllen oder ein Protokoll zu führen, sondern eine Frage
des wirklichen Lebens mit Gründlichkeit und Schärfe zu behandeln.

Das preußische Heer und sein Offizierstand bildet den Neid und das Vorbild
für andre Nationen. Gerade die Ausbildung unsrer Offiziere ist ähnlich wie
die oben vorgeschlagene, und wir sollten meinen, daß auch der heimische Zivil¬
dienst von dein militärischen lernen könnte, wie man ein wissenschaftliches und
tüchtiges Beamtentum heranbildet.




Grenzboten IV. 1SL6.20
Zur Reform des juristischen Studiums.

Die Jahresprüfungen werden nicht bloß zum Fleiß anhalten, sie werden
auch den Vorteil haben, Aspiranten, welche durchaus keine Anlage zum ju¬
ristischen Studium haben, bei Zeiten auf eine andre Laufbahn zu verweisen,
während jetzt eine solche Erkenntnis dem Einzelnen erst kommt, nachdem er die
besten Lebensjahre vergeblich verwendet hat.

Der ganze Gang der Vorbildung ist auf ein ernstes Lernen gerichtet, ohne
der akademischen Freiheit und der Wissenschaftlichkeit Eintrag zu thun. Es
wird, abgesehen von den Ferien, immer noch so viel Zeit übrig bleiben, daß
der Einzelne sich mit dieser und jener Materie wissenschaftlich abgeben kann,
auch imstande ist, ein historisches oder philosophisches Kolleg dabei zu hören.

Wenn wir uns nicht täuschen, läuft die Universitätsstudienreform schon
jetzt auf dieses Ziel hinaus. In Berlin giebt es gegenwärtig einige Repetenten,
welche den Studenten nicht in einem halben Jahre einpauken, sondern ihn zwei
Jahre lang in der oben geschilderten Weise zum Studium des Rechts an¬
leiten, und diese Repetenten werden von deu Professoren geradezu empfohlen.
Es ist dies ein Beweis, daß auch die letzteren das Vorhandensein des Bedürfnisses
anerkennen und auf eine Befriedigung desselben Bedacht nehmen. In Berlin
sind Richter und jüngere Anwälte, welche mit den Referendarien wiederum das
geltende Recht in disputatorischer und Vortrcigsform betreiben, und diese Männer
erfreuen sich sogar der Begünstigung der vorgesetzten Behörden. Man hält
also auch von dieser Seite eine solche Unterstützung und Anleitung der Re-
ferendarien für erforderlich.

Man darf deshalb hoffen, daß das Gerücht, es werde im preußischen
Justizministerium an einer Reform der Studienorduung gearbeitet, nicht der
Grundlage entbehrt. Es ist aber erforderlich, daß man auch den Mut hat, die
Sache ganz zu thun, selbst auf die Gefahr hin, Institutionen, deren einziger
Vorzug in ihrem Alter besteht, gründlich zu beseitigen und an deren Stelle
Einrichtungen zu setzen, welche dem Volke die Ausbildung eines tüchtigen
Beamtentums gewährleisten. Denn Studiren heißt nicht: hören oder schreiben,
sondern lernen, und eine praktische Vorbildung besteht nicht in der Routine, ein
Formular richtig auszufüllen oder ein Protokoll zu führen, sondern eine Frage
des wirklichen Lebens mit Gründlichkeit und Schärfe zu behandeln.

Das preußische Heer und sein Offizierstand bildet den Neid und das Vorbild
für andre Nationen. Gerade die Ausbildung unsrer Offiziere ist ähnlich wie
die oben vorgeschlagene, und wir sollten meinen, daß auch der heimische Zivil¬
dienst von dein militärischen lernen könnte, wie man ein wissenschaftliches und
tüchtiges Beamtentum heranbildet.




Grenzboten IV. 1SL6.20
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[0161] Zur Reform des juristischen Studiums. Die Jahresprüfungen werden nicht bloß zum Fleiß anhalten, sie werden auch den Vorteil haben, Aspiranten, welche durchaus keine Anlage zum ju¬ ristischen Studium haben, bei Zeiten auf eine andre Laufbahn zu verweisen, während jetzt eine solche Erkenntnis dem Einzelnen erst kommt, nachdem er die besten Lebensjahre vergeblich verwendet hat. Der ganze Gang der Vorbildung ist auf ein ernstes Lernen gerichtet, ohne der akademischen Freiheit und der Wissenschaftlichkeit Eintrag zu thun. Es wird, abgesehen von den Ferien, immer noch so viel Zeit übrig bleiben, daß der Einzelne sich mit dieser und jener Materie wissenschaftlich abgeben kann, auch imstande ist, ein historisches oder philosophisches Kolleg dabei zu hören. Wenn wir uns nicht täuschen, läuft die Universitätsstudienreform schon jetzt auf dieses Ziel hinaus. In Berlin giebt es gegenwärtig einige Repetenten, welche den Studenten nicht in einem halben Jahre einpauken, sondern ihn zwei Jahre lang in der oben geschilderten Weise zum Studium des Rechts an¬ leiten, und diese Repetenten werden von deu Professoren geradezu empfohlen. Es ist dies ein Beweis, daß auch die letzteren das Vorhandensein des Bedürfnisses anerkennen und auf eine Befriedigung desselben Bedacht nehmen. In Berlin sind Richter und jüngere Anwälte, welche mit den Referendarien wiederum das geltende Recht in disputatorischer und Vortrcigsform betreiben, und diese Männer erfreuen sich sogar der Begünstigung der vorgesetzten Behörden. Man hält also auch von dieser Seite eine solche Unterstützung und Anleitung der Re- ferendarien für erforderlich. Man darf deshalb hoffen, daß das Gerücht, es werde im preußischen Justizministerium an einer Reform der Studienorduung gearbeitet, nicht der Grundlage entbehrt. Es ist aber erforderlich, daß man auch den Mut hat, die Sache ganz zu thun, selbst auf die Gefahr hin, Institutionen, deren einziger Vorzug in ihrem Alter besteht, gründlich zu beseitigen und an deren Stelle Einrichtungen zu setzen, welche dem Volke die Ausbildung eines tüchtigen Beamtentums gewährleisten. Denn Studiren heißt nicht: hören oder schreiben, sondern lernen, und eine praktische Vorbildung besteht nicht in der Routine, ein Formular richtig auszufüllen oder ein Protokoll zu führen, sondern eine Frage des wirklichen Lebens mit Gründlichkeit und Schärfe zu behandeln. Das preußische Heer und sein Offizierstand bildet den Neid und das Vorbild für andre Nationen. Gerade die Ausbildung unsrer Offiziere ist ähnlich wie die oben vorgeschlagene, und wir sollten meinen, daß auch der heimische Zivil¬ dienst von dein militärischen lernen könnte, wie man ein wissenschaftliches und tüchtiges Beamtentum heranbildet. Grenzboten IV. 1SL6.20

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/161>, abgerufen am 27.09.2024.