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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Der Gid vor Gericht.

Auch dem, was der Verfasser in dieser Richtung vorschlägt, können wir
in manchen Beziehungen bereitwillig zustimmen. Gleich ihm würden wir es
vorziehen, wenn die Zeugen erst nach Abgabe ihrer Aussage vereidigt wurden,
weil dann bedenkliche Punkte leichter vor der Vereidigung berichtigt, auch manche
Eide wohl ganz erspart werden könnten. Ebenso sind wir darin einverstanden,
daß auch das unbeschwvrene unwahre Zeugnis mit einer, wenn auch geringeren,
Strafe bedroht sein sollte.

Für einen Irrtum aber halten wir es, wenn der Verfasser meint, dem
Verbrechen des Mcineids könne auch dadurch begegnet werden, daß man im
Zivilprozeß an die Stelle des Partcieneides "die Vernehmung der Parteien als
Zeugen" setzte. Der Gedanke ist ja an sich nicht neu, hat vielmehr eine gewisse
Geschichte. Der englische Prozeß -- beiläufig bemerkt, eines der kläglichsten Rechts¬
verfahren, welche die Welt aufzuweisen hat -- kannte ursprünglich den Parteieneid
garnicht. Da ist man denn aus Not darauf gekommen, denselben in der Form
einzuführen, daß man "die Partei als Zeuge vernimmt." Natürlich hat es nun
auch sofort deutsche Juristen gegeben, welche sich für diesen Gedanken begeisterten.
In der Neichsjustizkommisston wurde ein hierauf bezüglicher Antrag gestellt.
Obgleich die Verteidiger dieser Neuerung dieselbe als die "letzte Konsequenz des
Prinzips der freien Beweiswürdigung" und als die eigentliche "Kcönuug des Neu¬
baues" anpriesen, vermochten sie doch nur sieben Stimmen für sich zu gewinnen.
Seitdem nun auch die neue Prozeßordnung in ihrer praktischen Bethätigung so
manche zur Zeit ihres Erlasses bestehende Illusionen beseitigt hat, durfte man
glauben, daß auch dieser Gedanke wohl der Vergessenheit anheimgefallen sei.
Wenn derselbe jetzt in der verführerischen Form eines sich empfehlenden Mittels
wider die "Meineidpest" wieder auftaucht, so fühlen wir uus berufen, dem¬
selben umsomehr entgegenzutreten, als wir überzeugt sind, daß gerade aus dieser
Neuerung die Meineide erst recht emporwuchern würden.

Da diese Zeitschrift nicht ausschließlich für Juristen bestimmt ist, so wollen
wir versuchen, die Sache, die ja in ihrer ethischen Bedeutung auch für den Laien
großes Interesse hat, in einer möglichst allgemein verständlichen Weise darzustellen.

Parteien und Zeugen unterscheiden sich in ihrer Stellung zum Prozeß
dadurch, daß jene bei den Thatsachen, auf welche es ankommt, beteiligt, diese
in der Negel unbeteiligt sind. Daran knüpft sich für den Eid beider die
natürliche Folge, daß der Zeugeneid in der Negel unbedenklich ist, der Parteieneid
dagegen nur allzuoft die Versuchung in sich trägt, Unwahres eidlich zu er¬
härten und so zum Meilleid zu werden.

Diese Natur des Parteieneides hat in allen verständigen Prozeßgesetz¬
gebungen dahin geführt, möglichst sparsam damit umzugehen und ihn nnr da
zu verwenden, wo alle übrigen Beweismittel nicht ausreichen. Eben deshalb
wird sich dann aber auch an diesen Eid, als das letzte Mittel der Wahrheits¬
erforschung, in der Regel der Ausgang des Prozesses knüpfen. Und diese schwer-


Der Gid vor Gericht.

Auch dem, was der Verfasser in dieser Richtung vorschlägt, können wir
in manchen Beziehungen bereitwillig zustimmen. Gleich ihm würden wir es
vorziehen, wenn die Zeugen erst nach Abgabe ihrer Aussage vereidigt wurden,
weil dann bedenkliche Punkte leichter vor der Vereidigung berichtigt, auch manche
Eide wohl ganz erspart werden könnten. Ebenso sind wir darin einverstanden,
daß auch das unbeschwvrene unwahre Zeugnis mit einer, wenn auch geringeren,
Strafe bedroht sein sollte.

Für einen Irrtum aber halten wir es, wenn der Verfasser meint, dem
Verbrechen des Mcineids könne auch dadurch begegnet werden, daß man im
Zivilprozeß an die Stelle des Partcieneides „die Vernehmung der Parteien als
Zeugen" setzte. Der Gedanke ist ja an sich nicht neu, hat vielmehr eine gewisse
Geschichte. Der englische Prozeß — beiläufig bemerkt, eines der kläglichsten Rechts¬
verfahren, welche die Welt aufzuweisen hat — kannte ursprünglich den Parteieneid
garnicht. Da ist man denn aus Not darauf gekommen, denselben in der Form
einzuführen, daß man „die Partei als Zeuge vernimmt." Natürlich hat es nun
auch sofort deutsche Juristen gegeben, welche sich für diesen Gedanken begeisterten.
In der Neichsjustizkommisston wurde ein hierauf bezüglicher Antrag gestellt.
Obgleich die Verteidiger dieser Neuerung dieselbe als die „letzte Konsequenz des
Prinzips der freien Beweiswürdigung" und als die eigentliche „Kcönuug des Neu¬
baues" anpriesen, vermochten sie doch nur sieben Stimmen für sich zu gewinnen.
Seitdem nun auch die neue Prozeßordnung in ihrer praktischen Bethätigung so
manche zur Zeit ihres Erlasses bestehende Illusionen beseitigt hat, durfte man
glauben, daß auch dieser Gedanke wohl der Vergessenheit anheimgefallen sei.
Wenn derselbe jetzt in der verführerischen Form eines sich empfehlenden Mittels
wider die „Meineidpest" wieder auftaucht, so fühlen wir uus berufen, dem¬
selben umsomehr entgegenzutreten, als wir überzeugt sind, daß gerade aus dieser
Neuerung die Meineide erst recht emporwuchern würden.

Da diese Zeitschrift nicht ausschließlich für Juristen bestimmt ist, so wollen
wir versuchen, die Sache, die ja in ihrer ethischen Bedeutung auch für den Laien
großes Interesse hat, in einer möglichst allgemein verständlichen Weise darzustellen.

Parteien und Zeugen unterscheiden sich in ihrer Stellung zum Prozeß
dadurch, daß jene bei den Thatsachen, auf welche es ankommt, beteiligt, diese
in der Negel unbeteiligt sind. Daran knüpft sich für den Eid beider die
natürliche Folge, daß der Zeugeneid in der Negel unbedenklich ist, der Parteieneid
dagegen nur allzuoft die Versuchung in sich trägt, Unwahres eidlich zu er¬
härten und so zum Meilleid zu werden.

Diese Natur des Parteieneides hat in allen verständigen Prozeßgesetz¬
gebungen dahin geführt, möglichst sparsam damit umzugehen und ihn nnr da
zu verwenden, wo alle übrigen Beweismittel nicht ausreichen. Eben deshalb
wird sich dann aber auch an diesen Eid, als das letzte Mittel der Wahrheits¬
erforschung, in der Regel der Ausgang des Prozesses knüpfen. Und diese schwer-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/16>, abgerufen am 27.09.2024.