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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Zur Reform des juristischen Studiums.

stände eine besondre Broschüre gewidmet.^) Er lehnt den Schmollerschen Vor¬
schlag ab, zum Teil weil derselbe die Universitätsfreiheit beeinträchtige und den
Studenten zum Schüler degradire, zum Teil weil er, und namentlich an großen
Universitäten, undurchführbar sei. Beide Grüude sind nicht so durchschlagend wie
der bereits oben erörterte, daß der Kollegienbesuch in seiner jetzigen Gestaltung
dem juristischem Hörer keinen Nutzen bringt. Das muß mau auszusprechen
wagen, und darüber darf man sich keiner Täuschung hingeben. Es kann jemand
noch so fleißig die Kollegien besuchen und doch kein Examen bestehen, es kann
jemand recht tüchtige wissenschaftliche Arbeite" liefern, ohne je ein Kolleg besucht
zu haben. Dies läßt sich durch zahlreiche, der Praxis entnommene Fälle beweisen.
Auch Professor Demiurg will die bestehende Methode nicht ändern, er will sie nur
dadurch für den Studirenden nutzbringender machen, daß er Theorie und Praxis
abwechseln läßt. Sein Vorschlag ist folgender: "Zuerst theoretisches Studium
von fünf, ausnahmsweise vier Semestern, dann Nefercndariatsexamen, darauf
zwei Jahre Vorbereitung in der Praxis, wiederum anderthalbjähriges Studium
auf der Universität und schließlich anderthalbjähriger Dienst in der Praxis,
worauf das Nssessorcxamen folgt." Daß damit ein vierjähriges Universitäts¬
studium hineingeschmuggelt wird -- ein Ausweg, auf welchen schon früher einige
Professoren gekommen sind --, sei dem Vorschlage nicht zum Vormurf gemacht.
Wenn er überhaupt von Nutzen wäre, so käme es nicht darauf an, wo der
Student mehr Zeit zu seiner Vorbereitung verwendet, in der Theorie oder in
er Praxis. Aber der Vorschlag ist überhaupt nicht billigenswert.

Es würde eine" gewaltigen Einschnitt in das Universitätsleben abgeben,
wenn junge Männer in dem durchschnittlichen Lebensalter von fünfundzwanzig bis
sechsundzwanzig Jahren, nachdem sie bereits in amtlicher Stellung gewesen sind,
wieder als Zuhörer in die Lehre gehen sollen. Es würde eine Vermischung
der Disziplinarverhältnisse eintreten, welche der Universitätsfreiheit oder der
Beamtcndisziplin oder beiden zugleich Schaden brächte. Der ganze Vorschlag
aber enthält einen Hintergedanken, man muß uoch etwas zwischen den Zeilen
lesen. Zugegeben mag werden, daß der zweite Teil des Universitätsstudiums
fruchtbringender sein würde als jetzt, aber nicht bloß deshalb, weil durch die
praktische Vorbildung für den Hörer die sonst abstrakten Begriffe eine konkrete Be¬
deutung gewonnen hätten, sondern vorzugsweise deshalb, weil der Referendar
während seiner praktischen Beschäftigung das theoretische Studium aus Lehr¬
büchern hätte betreiben müssen. Denn ohne ein solches Studium wird kein Re¬
ferendar in der Praxis irgend etwas leisten können. Dernburg sagt, ganz
anders werde der Student der Vorlesung über Wechselrecht folgen, wenn er
erst einmal in der Praxis einen Wechsel gesehen habe. Einen solchen zu zeigen



Die Reform der juristischen Studienordnung. Verlag von H, W, Müller. 41 S.
Berlin 188V,
Zur Reform des juristischen Studiums.

stände eine besondre Broschüre gewidmet.^) Er lehnt den Schmollerschen Vor¬
schlag ab, zum Teil weil derselbe die Universitätsfreiheit beeinträchtige und den
Studenten zum Schüler degradire, zum Teil weil er, und namentlich an großen
Universitäten, undurchführbar sei. Beide Grüude sind nicht so durchschlagend wie
der bereits oben erörterte, daß der Kollegienbesuch in seiner jetzigen Gestaltung
dem juristischem Hörer keinen Nutzen bringt. Das muß mau auszusprechen
wagen, und darüber darf man sich keiner Täuschung hingeben. Es kann jemand
noch so fleißig die Kollegien besuchen und doch kein Examen bestehen, es kann
jemand recht tüchtige wissenschaftliche Arbeite» liefern, ohne je ein Kolleg besucht
zu haben. Dies läßt sich durch zahlreiche, der Praxis entnommene Fälle beweisen.
Auch Professor Demiurg will die bestehende Methode nicht ändern, er will sie nur
dadurch für den Studirenden nutzbringender machen, daß er Theorie und Praxis
abwechseln läßt. Sein Vorschlag ist folgender: „Zuerst theoretisches Studium
von fünf, ausnahmsweise vier Semestern, dann Nefercndariatsexamen, darauf
zwei Jahre Vorbereitung in der Praxis, wiederum anderthalbjähriges Studium
auf der Universität und schließlich anderthalbjähriger Dienst in der Praxis,
worauf das Nssessorcxamen folgt." Daß damit ein vierjähriges Universitäts¬
studium hineingeschmuggelt wird — ein Ausweg, auf welchen schon früher einige
Professoren gekommen sind —, sei dem Vorschlage nicht zum Vormurf gemacht.
Wenn er überhaupt von Nutzen wäre, so käme es nicht darauf an, wo der
Student mehr Zeit zu seiner Vorbereitung verwendet, in der Theorie oder in
er Praxis. Aber der Vorschlag ist überhaupt nicht billigenswert.

Es würde eine» gewaltigen Einschnitt in das Universitätsleben abgeben,
wenn junge Männer in dem durchschnittlichen Lebensalter von fünfundzwanzig bis
sechsundzwanzig Jahren, nachdem sie bereits in amtlicher Stellung gewesen sind,
wieder als Zuhörer in die Lehre gehen sollen. Es würde eine Vermischung
der Disziplinarverhältnisse eintreten, welche der Universitätsfreiheit oder der
Beamtcndisziplin oder beiden zugleich Schaden brächte. Der ganze Vorschlag
aber enthält einen Hintergedanken, man muß uoch etwas zwischen den Zeilen
lesen. Zugegeben mag werden, daß der zweite Teil des Universitätsstudiums
fruchtbringender sein würde als jetzt, aber nicht bloß deshalb, weil durch die
praktische Vorbildung für den Hörer die sonst abstrakten Begriffe eine konkrete Be¬
deutung gewonnen hätten, sondern vorzugsweise deshalb, weil der Referendar
während seiner praktischen Beschäftigung das theoretische Studium aus Lehr¬
büchern hätte betreiben müssen. Denn ohne ein solches Studium wird kein Re¬
ferendar in der Praxis irgend etwas leisten können. Dernburg sagt, ganz
anders werde der Student der Vorlesung über Wechselrecht folgen, wenn er
erst einmal in der Praxis einen Wechsel gesehen habe. Einen solchen zu zeigen



Die Reform der juristischen Studienordnung. Verlag von H, W, Müller. 41 S.
Berlin 188V,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/158>, abgerufen am 27.09.2024.